YPG-Kommandant Sipan Hemo zu Besuch in Moskau – Teil I.

Der Generalkommandant der YPG Sipan Hemo erklärt, dass wichtige Treffen mit Verantwortlichen aus dem russischen Verteidigungsministerium, dem Geheimdienst und dem Generalstab stattgefunden haben.

Sipan Hemo bewertet das Jahr 2017, seinen Besuch in Moskau und die dort geführten Treffen gegenüber ANF. Er erklärt, dass er das Versprechen erhalten habe, dass trotz aller Verhinderungsversuche von Seiten der Türkei eine 155-köpfige Delegation der Demokratisch Autonomen Selbstverwaltung Nordsyriens an den Gesprächen in Sotschi teilnehmen wird.

Sipan Hemo sprach über die Operationen von Dêra Zor und Raqqa und den Angriff des türkischen Staates auf das Hauptquartier in Qereçox (Karachok), der parallel zu diesen Operationen stattgefunden hat und betonte: „Die Koalitionstruppen haben selbst gesehen, wie durch den Angriff versucht wurde, unseren Kampf gegen den IS zu behindern. Sie haben selbst gesehen, dass die Türkei versucht, das Leben des IS zu verlängern. Deshalb hat die Unterstützung [der internationalen Kräfte für die QSD] nach Qereçox zugenommen. So konnte Erdoğan seine Ziele nicht erreichen. Natürlich lasten die Gefallenen des Qereçox-Angriffs schwer auf uns. Aber heute sind Raqqa und Tabqa frei und Dêra Zor ist gerade dabei befreit zu werden. Dies ist in dem Gedenken an die Gefallenen umgesetzt worden."

Hemo erklärte, dass die YPG in den Kämpfen von 2017 zu 100% erfolgreich gewesen sei: „Aber für die kommenden Jahre müssen stärkere Vorkehrungen mit feineren Methoden getroffen werden, damit wir die notwendigen Ergebnisse in der politischen Arena und am Verhandlungstisch erzielen können."

Hemo bewertete auch die Beziehung der QSD und YPG mit Russland und den Koalitionstruppen und sagte: „Wir danken all diesen Kräften. Sie haben uns geholfen. Aber wir stehen ihnen gegenüber in keiner Schuld. Wir stehen unter keiner Kontrolle. Wir kämpfen zuerst für das kurdische Volk und für alle Völker in Syrien. Und in diesem Rahmen haben wir mit dem Fortschritt unseres Kampfes die Aufmerksamkeit großer internationaler Mächte auf uns gezogen. Sie haben mit uns Beziehungen aufgebaut. Unsere Beziehung zu diesen Kräften setzt sich, basierend auf diesen Prinzipien, bis heute fort."

Sipan Hemo erklärte, dass viele Kreise glaubten, dass das Jahr 2018 das Jahr sein wird, in dem der Krieg beendet, und die politischen Diskussionen in den Vordergrund rücken würden, aber „das Gegenteil wird geschehen. Die Kämpfe der Konfliktgruppen in Syrien dauern fort. Nach unserer Einschätzung wird der Krieg sich 2018 in Damaskus und Idlib unter dem Deckmantel einer Intervention gegen Jabhat Al-Nusra oder Tahrir Al Sham verschärfen. Es wird möglicherweise politische Gespräche im Jahr 2018 geben, aber ich glaube, dass mehr die militärischen Auseinandersetzungen im Vordergrund stehen werden. Wir bereiten uns auf alle Entwicklungen vor und gehen mit solchen Planungen in das Jahr 2018“.

Wie bewerten Sie die Entwicklungen von 2017 in Bezug auf ihre Kräfte und ganz Syrien?

Das Jahr 2017 war insbesondere für die Revolution in Rojava, für die die Völker Syriens und der Region ein sehr wichtiges Jahr. Es war schon vorher zu erkennen, dass das Jahr 2017 ein besonderes Jahr wird. Es war klar, dass es einen großen Einfluss auf alle Organisationen und Völker in Syrien haben wird.

Wir befinden uns nun im 7. Jahr der syrischen Revolution. Es sind viele verschiedene Kräfte und Organisationen entstanden. Aber das Jahr 2017 hat deutlich gemacht, wer die Kraft hat sich selbst zu verteidigen und eine eigenständige Politik zu entwickeln. Anfang 2017 gab es so gut wie keine Kraft mehr, die sich selbst auf den Beinen halten konnte. Eine nach der anderen sind vernichtet worden. Die syrische Opposition hat eine Phase der Marginalisierung und Vernichtung erreicht. Sie existierten nur nach dem Gutdünken der Patrone, die sie unterstützten, weiter. Aber die Revolution von Rojava hat 2017 in Rojava und ganz Syrien unsere Stärke sowohl auf politischer als auch auf militärischer Ebene gezeigt. Dazu reicht ein Blick auf die Landkarte aus.

Es gibt mittlerweile nur noch zwei Kräfte auf der Landkarte Syriens. Es gibt unsere Kraft, die den demokratischen Wandel unterstützt und sich vor allem auf die eigene Kraft stützt und auf der anderen Seite das Baath-Regime, das von den Großmächten wie Russland und Iran unterstützt wird.

Wenn Sie sich die Landkarte von vor 2–3 Jahren anschauen, dann sehen sie eine sehr bunte Karte. Es gab alle möglichen Kräfte und Organisationen. Alle Dörfer waren in den Händen von verschiedenen bewaffneten Gruppen und Organisationen. Aber im Jahr 2017 gab es eine Klärung. Die Linien sind deutlicher geworden. Es gibt nur noch die Linie des Status quo und die, die auf einer demokratischen Erneuerung besteht.

2017 haben Sie die heute noch andauernde Raqqa-Offensive begonnen und Sie beenden nun die Offensive Cizîrê Sturm. Das sind die großen Offensiven, die das Ende des IS bringen werden. Was haben diese Offensiven und der 2017 geführte Kampf gebracht?

Wie Sie schon in Ihrer Frage erwähnten, wir haben diese Offensiven in diesem Jahr begonnen, und sie waren wirklich sehr wichtig. Insbesondere unsere Raqqa-Offensive, die den IS an sein Ende gebracht hat. Diese Offensive hatte viele Mühen und viele Opfer gekostet und konnte im Herbst 2017 beendet werden. Die Hauptstadt des IS war gefallen und die Legende des IS beendet worden. Natürlich, wie wir es schon vorher gesagt haben, dieser Krieg ist weder ein normaler Krieg noch ein Krieg gegen ein Volk. Er richtete sich nicht nur gegen die Kurd*innen, es wird wahrhaftig gegen die ganze Welt gekämpft. Von Kobanê 2014 bis heute wird ein solcher Kampf geführt.

Das Jahr 2017 war wahrhaftig für die Kurd*innen und für die Völker in Syrien ein Schicksalsjahr. Die Gewinne, die dieses Jahr gebracht hat, werden in der Zukunft deutlich werden. Wenn heute die Welt mit lauter Stimme über eine politische Lösung spricht und sagt, dass die Syrienkrise am Verhandlungstisch gelöst werden muss, dann ist das auch ein Ergebnis von 2017, des in diesem Jahr geführten Kriegs.

Der Krieg, den wir 2017 geführt haben, war zu 100% erfolgreich. Aber für die kommenden Jahre müssen stärkere Vorkehrungen mit feineren Methoden getroffen werden, damit wir die notwendigen Ergebnisse auf der politischen Arena und am Verhandlungstisch erzielen können. Die Anzeichen dafür sind jetzt deutlich geworden. Denn nach den Überlegungen der internationalen Mächte, wird sich die Politik im Kriegsjahr 2018 auf höchstes Niveau entwickeln. Wir können, sollte diese Ebene erreicht werden, auch im politischen Krieg und den politischen Diskussionen eine wichtige Rolle spielen. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit den Erfolgen von 2017 eine wichtige Grundlage für das Jahr 2018 geschaffen haben.

Wie hat sich die militärische Lage der YPG 2017 entwickelt? Welche Rolle spielen sie in den befreiten Gebieten, insbesondere in Minbic, Raqqa und Dêra Zor?

Wie Sie wissen, haben wir all unsere Offensiven zusammen mit den QSD ausgeführt. Aber die YPG hat in diesen Kriegen eine grundlegende Rolle gespielt und spielt sie weiter. Sie nimmt an den Offensiven zur Befreiung dieser Regionen mit starken Kräften teil. Das war und ist offensichtlich und kann auch in der Presse verfolgt werden.

Aber unser Status, unser öffentliches Auftreten, steht im Rahmen der QSD. Die YPG haben in den Offensiven einer Führungsrolle. YPG und YPJ sind Teile der QSD und auch die anderen Völker und Strukturen haben das legitime Recht, sich als eigene Strukturen unter diesem Dach zu sammeln. Wir und die Kräfte der anderen Völker kommen unter einem Dach zusammen und schaffen einen demokratischen Status. Wir führen in einem demokratischen Rahmen gemeinsam mit allen Völkern und Farben den Kampf für ein neues, demokratisches, föderales Syrien.

Als wir als YPG und YPJ unseren Kampf in Rojava begonnen haben, sind wir mit einer solchen Parole angefangen. Unser Ziel war eine solche Dachorganisation aufzubauen, damit die Kräfte der Völker zusammenkommen. Alle Völker Syriens sind Teil der QSD. In Zukunft wird sie sich über ganz Syrien ausweiten

Es ist bekannt, dass die Syrienkrise schon lange eine internationale Dimension eingenommen hat. An der Front gibt es sowohl Koalitionskräfte als auch internationale Kräfte wie Russland. Wie sind die aktuellen Konflikte und Beziehungen?

Ja, das ist richtig und es scheint, als wird dies auch die Zukunft bestimmen. Heute sind die als Supermächte bekannten Kräfte der Welt in Syrien. Amerika, wie auch Russland, wollen mit ihren eigenen Blöcken voneinander Abstand halten. Sie befinden sich im Moment in einem politischen Widerspruch. Das ist kein Geheimnis. Wir haben von Beginn an bis jetzt mit der Koalition im Kampf gegen den IS zusammengearbeitet. Wir haben in Kobanê begonnen mit den Koalitionskräften gemeinsam vorzugehen, und das dauert bis heute an. Die Beziehungen wachsen. Wir hatten mit den Koalitionskräften viele offizielle Verständigungen. Die Kämpfe in den Regionen Kobanê, Minbic, Tabka, Raqqa, Cizîrê, Til Ebiyad, Til Hemis, Til Berak, Hesekê und Umgebung und auch Dêra Zor wurden durch eine tiefgehende und pausenlose Koordination zwischen uns und den Koalitionskräften geführt. Als Ergebnis wurde eine Kraft wie der IS besiegt.

Aber auch die Beziehungen mit Russland haben sich für uns auf offizieller Ebene entwickelt. Wir hatten eine ernsthafte Koordination mit Russland in Şehba, Aleppo und Efrîn, gegen die Angriffe etlicher Milizen haben wir in diesem Rahmen gekämpft und etliche Erfolge erzielt. So wenig vollendet diese Erfolge auch sind, auch wenn sie nicht das gewünschte Niveau erreicht haben, so bedeutend sind sie dennoch.

Natürlich sind viele Parteien aufgrund dieser Beziehungen schockiert. Wir möchten unser Volk diesbezüglich offen informieren. So wie unser Kampf Vorteile für unsere Bevölkerung und unsere Organisation erzielen will, so werden auch unsere Beziehungen geführt. Ich möchte es noch deutlicher sagen, wir sind an keine Seite einer Kraft gebunden. Unser Kampf, die Haltung unseres Volkes, der Widerstand unserer Kämpfer*innen an der Front und die Ernsthaftigkeit unserer Kräfte haben diese Mächte an unsere Seite gebracht. Denn um sich auf diesem Schlachtfeld zu behaupten, mussten sie sich mit uns in Beziehung setzen.

Wir danken all diesen Kräften. Sie haben uns geholfen. Aber wir sind niemanden etwas schuldig. Wir stehen unter keiner Kontrolle. Wir kämpfen für das kurdische Volk und für alle Völker in Syrien. Und in diesem Rahmen haben wir mit dem Fortschritt unseres Kampfes die Aufmerksamkeit großer internationaler Mächte auf uns gezogen. Sie haben mit uns Beziehungen aufgebaut. Diese Beziehungen mit diesen Kräften setzen sich bis heute fort, basierend auf diesen Prinzipien.

Wir führen keine Geheimbeziehungen sondern stehen an einigen Orten in Cizîrê ganz offen mit den Koalitionskräften in Beziehung und führen einen gemeinsamen Kampf. Und in Şehba, Efrîn und Aleppo sind wir an vielen Orten in Beziehungen mit Russland.

Hier ist Teil II des Interviews mit Sipan Hemo: