Anlässlich des Jahrestags der Aufkündigung des Waffenstillstands am 1. Juni 2004 beantwortete Murat Karayilan, Mitglied des Exekutivrates der Arbeiter*innenpartei Kurdistans PKK (Partiya Karkerên Kurdistan), im Gespräch mit ANF Fragen zu den Ursachen der aufgehobenen Waffenruhe vor 14 Jahren, die Herangehensweise der AKP zur Lösung der kurdischen Frage und zu den anstehenden Neuwahlen am 24. Juni in der Türkei und Nordkurdistan.
Karayilan sagte, der türkische Staat unter Federführung der AKP-MHP-Allianz, der seine Existenz von Kurdenfeindlichkeit abhängig mache, versuche die erzwungenen Präsidentschafts-und Parlamentswahlen unter dem anhaltenden Notstand mit allen erdenklichen Mitteln des Wahlbetrugs zu gewinnen, um die HDP an der Zehn-Prozent-Hürde zum Scheitern zu bringen. Trotz aller Angriffe und Betrugsplänen habe die HDP das Potenzial, weitaus mehr Stimmen als erwartet zu gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen und der AKP einen Strich durch die Rechnung zu machen, liege es am Einsatz der Helfer*innen der HDP, des kurdischen Volkes, der sozialistischen Bewegung der Türkei, am armenischen sowie am Volk der Suryoye, den Alevit*innen sowie allen Kräften außerhalb des Systems, damit der HDP der Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde gelinge. Jeder solle sich stets vor Augen halten, dass der Erfolg der HDP den Weg für eine demokratische Ära ebnen wird, so Karayilan.
Was waren die Beweggründe für die Entscheidung, den Waffenstillstand am 1. Juni 2004 zu beenden?
Auf Anweisung und Empfehlung unseres Vorsitzenden beendete unsere Bewegung am 2. August 1999 den Krieg. Damit die Grundlage für eine politische Lösung gegeben ist, der türkische Staat positive Schritte in Richtung unseres Volkes unternimmt und einen Dialog für eine friedliche, demokratische Lösung der kurdischen Frage einleitet, haben wir bis Juni 2004, also insgesamt fünf Jahre lang, keine einzige Kugel abgegeben. Der türkische Staat jedoch hat keine Schritte in dieser Richtung unternommen. Lediglich das Verbot der kurdischen Sprache wurde unter der Ecevit-Regierung aufgehoben.
Weshalb wurden keine Schritte unternommen?
Die Erwartung des türkischen Staates war die Zerschlagung der kurdischen Freiheitsbewegung. Die Entführung unseres Vorsitzenden im Zuge des internationalen Komplotts gehörte ebenfalls zu diesen Absichten. Mit den Wahlen im Jahr 2002 wurde die AKP zur Regierungspartei, die auf gleiche Weise die Politik der Zerstörung und Verleugnung fortsetzte, wie es schon ihre Vorgänger taten. Man kann sagen, dass die AKP eine sehr verschleierte und heuchlerische Politik an den Tag legte.
Was meinen Sie mit einer verschleierten und heuchlerischen Politik?
Sie sagten beispielsweise, dass die Kurden ihre Geschwister seien, haben in dieser Hinsicht jedoch keine Schritte unternommen. Auf der anderen Seite taten sie alles Erdenkliche, um die kurdische Freiheitsbewegung zu zerschlagen. 2003 haben sie in Beşiri (Qubîn) eine Gruppe unserer Freunde, die von Mahir Dersim angeführt wurde, ermordet. Im gleichen Jahr wurden in Bingöl (Çewlîg) Heval Şevger und 13 weitere Freunde getötet. Wo auch immer sie die Gelegenheit hatten, griffen sie unsere Kräfte an und versuchten sie auszulöschen. Allgemein gesehen haben sie nie aufgehört, ihre Politik, die auf Verleugnung, Zerstörung und Assimilation basiert, fortzusetzen. Zu guter Letzt versuchten sie, einige Kreise innerhalb unserer Bewegung für ihre Absichten zu benutzen, uns auszulöschen. Auf diese Weise wollten sie Ergebnisse für sich erzielen.
Kam es zu der Aufkündigung der Waffenruhe aus eben diesem Grund?
Nachdem der Plan des türkischen Besatzungsstaates weitestgehend entlarvt war, wurde die Entscheidung zur Aufkündigung des Waffenstillstands ab dem 1. Juni auf der zweiten Versammlung des Kongra-Gel (Volkskongress Kurdistan) getroffen. Seither ist diese Entscheidung in Kraft.
War diese Entscheidung das Ergebnis einer Notwendigkeit?
Wir waren gezwungen, uns gegenüber der schmutzigen Politik des türkischen Staates zu verteidigen. Der Krieg, den wir führen, ist ein Selbstverteidigungskampf. Der türkische Staat verfolgte eine Politik der Liquidierung sowohl von uns als auch von unserem Volk. Natürlich verteidigen wir uns auf ideologische, kulturelle und politische Weise. Aber in einer Phase, in der diese Optionen behindert werden, müssen wir auf unsere Verteidigung mit der Waffe zurückgreifen. Gäbe es diese Waffen nicht, wären wir und unser Volk heute möglicherweise bereits ausgelöscht. Daher ist es unser natürliches Recht, uns gegen einen solch umfassenden Angriff auf aktive Weise zu verteidigen. In diesem Sinne gelten mein tiefer Respekt und meine Dankbarkeit allen Gefallenen, die nach der Waffenruhe ihr Leben verloren haben. Die Erinnerungen an sie werden in unserem Kampf stets weiterleben.
Aber die Forderung nach einer Lösung und deren Ausnutzung hat sich doch stets wiederholt?
Wir möchten die kurdische Frage mit politischen Methoden lösen. Da wir in dieser Angelegenheit keinen Ansprechpartner finden konnten, haben wir eine neue Phase eingeleitet. Wann immer wir eine politische Anstrengung sahen, drückten wir unsere Absicht aus. Der türkische Staat und die AKP-Regierung haben jedoch all unsere Bemühungen vereitelt und immer wieder den Versuch gewagt, uns zu zerschlagen, um daraus Gewinne zu erzielen. Stets haben sie bezweckt, den Lösungsprozess auf Grundlage der speziellen Kriegsführung zu ihren Gunsten zu nutzen und verhielten sich zu keinem Zeitpunkt aufrichtig hinsichtlich der Phasen, in denen die Lösung der kurdischen Frage möglich gewesen wäre oder den Friedensbemühungen unseres Vorsitzenden Apo (Öcalan).
2013-2014 begann ein neuer Prozess, wodurch sogar ein Waffenstillstand und eine Verhandlungsphase erreicht werden konnten, die allerdings geplatzt ist. Glauben Sie, dass die AKP Angst vor Frieden und Demokratisierung hat?
Zunächst einmal glaube ich, dass mittlerweile jede Person die Realität der AKP vor Augen hat. Die AKP-Regierung ist eine nationalistische Regierung, die die Existenz anderer Völker nicht toleriert. In der Türkei leben unzählige Völker, doch die AKP sagt, „die Türkei gehört der türkischen Nation“. Diese Regierung hat viele Initiativen, sei es ihr sogenanntes Projekt der ‚Annäherung an die kurdische Frage‘ oder die Demokratie-Anerkennung, die Oslo-Verhandlungen oder der Dialog mit dem Vorsitzenden Apo, im Rahmen einer sehr speziellen Kriegspolitik ausgenutzt. Sie plante uns zu schwächen, marginalisieren und zu zerschlagen. Intentionen für eine Lösung hat es auf Regierungsseite nie gegeben. Während dieser ‚Lösungsprozesse‘ hat der Staat für seine Absichten auf aktive Weise einige kurdische Kollaborateure benutzt. Einer von ihnen ist beispielsweise Mehdi Eker, der behauptet: „Den Lösungsprozess hat die PKK verpfuscht. Das sage ich als Kurde“. Es ist richtig, dass Eker ein Kurde ist - allerdings ist er ein verräterischer Kurde, der Unwahrheiten verbreitet. Die AKP hat zu keiner Zeit eine Lösung gewollt. Erdoğan hat sogar den Dolmabahçe-Plan (Zehn-Punkte-Plan für die Lösung der kurdischen Frage) umgeworfen und gesagt, dass er ihn nicht akzeptiert. Die schmutzigen Machenschaften der AKP wurden ignoriert und man versuchte auf heuchlerische Weise, die Schuld in unsere Schuhe zu schieben. Ich nehme an, dass sie mit ihren Lügen einen Teil der Kurden überlisten wollen. Unsere Absichten für eine Lösung des Problems sind aufrichtig, was man von der Regierung nicht behaupten kann, ganz im Gegenteil. Sie beabsichtigt nicht nur die Zerschlagung unserer Bewegung, sondern die Vernichtung unseres gesamten Volkes. Würde die AKP-Regierung der Existenz des kurdischen Volkes Glauben schenken - wir haben die Voraussetzungen für eine Lösung heruntergeschraubt, haben Schritte wie die Verteidigung der Einheit der Türkei sowie der Geschwisterlichkeit des kurdischen und türkischen Volkes unternommen und eine Perspektive für eine Lösung entwickelt - so hätte sie nicht alles daran gesetzt, uns zu vernichten. Jeder sollte sich den Dolmabahçe-Plan nochmal durchlesen. Der Vorsitzende Apo hat diesen Plan akzeptiert und auch wir haben erhebliche Anstrengungen für eine Lösung der kurdischen Frage unternommen.
Der Waffenstillstand von 2013 hat sich von anderen Waffenruhen unterschieden. Ist er nicht akzeptiert worden?
Die Lösungsprozesse in den Jahren 2013-2015 wurden vom Vorsitzenden Apo entwickelt. Zu dieser Zeit hatte sich unser Kampf in Bakur (Nordkurdistan) vertieft. Gleichzeitig entwickelten sich die Revolution in Rojava und neue Dynamiken im Mittleren Osten. Der türkische Staat war überfordert und hat die Waffenruhe unter diesen Begebenheiten aus taktischen Gründen akzeptiert und nicht in der Absicht, eine Lösung der Probleme herbeizuführen. Bis auf den Waffenstillstand von 2013 waren bisher alle Waffenruhen einseitig und gingen von uns aus. 2013 wollten sie uns überzeugen, um die Entwaffnung zu beschleunigen. Mit dieser Politik hatte man es jedoch nicht nur auf unsere Bewegung abgesehen, was jedem klar sein sollte.
Was waren die Ziele der AKP-Regierung?
Wenn die Umsetzung ihrer Pläne, damit meine ich die Entwaffnung der PKK, vollzogen worden wäre, hätten sie auch Rojava und Başûr (Südkurdistan) zerschlagen. Dieser Plan ging nicht auf.
Aus welchem Grund?
Wir kennen den türkischen Staat nur zu gut, deshalb hat er sie nicht gleich Erwartungen bei uns geweckt. Dass wir sowohl für den Krieg als auch für den Frieden bereit sind, haben wir mitgeteilt. Wir sind nicht naiv; wir können zurückblicken auf 40 Jahre heldenmütige Widerstandsgeschichte. Wir haben uns aus militärischer Sicht gesammelt und den politischen Kampf anhand der Perspektiven des Vorsitzenden Apo vertieft.
Es muss gesagt werden, dass sich die AKP-Regierung durch und durch vor dem HDP-Projekt fürchtete, weil dadurch die monistische Staatsmentalität auseinanderbrach. Es gab ihrerseits keine Intentionen für eine Lösung und trotz der Existenz der AKP entwickelte sich mit dem HDP-Projekt ein Lösungsweg, der abgeschnitten werden sollte. Die HDP erhielt zu der Zeit einen nennenswerten Stimmenanteil. Als der Lösungsprozess auf die Tagesordnung der türkischen Öffentlichkeit kam, flößte das den Machthabenden enorme Angst ein. Eine Lösung der kurdischen Frage entsteht über eine Demokratisierung der Türkei. Wenn sich das Land demokratisiert, wird auch die Lösung real.
Hat das auch mit Erdoğans persönlichen Ängsten und Sorgen zu tun?
Natürlich plagen Erdoğan gewisse Ängste. Seine Beutelschneiderei würde offensichtlich werden. Erdoğan ist von monistischer Natur und das Präsidialsystem, das er entwickeln möchte, ist in Gefahr. Sollte sich die Demokratie entwickeln, so wird Erdoğan und seinem Team der Prozess gemacht. Weil er sich dessen bewusst ist, hat er den Dolmabahçe-Plan umgeworfen und im Juli 2015 den Krieg wieder aufgenommen.
Gab es denn nicht bereits davor Schritte in diese Richtung?
Ja, die gab es. Im April beispielsweise ist unser Vorsitzender einer verschärften Isolation ausgesetzt worden. Alles in allem; in ihren Köpfen gibt es so etwas wie eine Problemlösung nicht. Erdoğan hat sich vor der Entwicklung der Demokratie gefürchtet, sich gegen den Lösungsprozess gestellt und den Krieg erklärt. Nachdem er realisierte, dass er die Kurden nicht mit leeren Versprechungen hinters Licht führen kann, um ihre Stimmen für sich zu gewinnen, erklärte er ganz offen seine Kurdenfeindlichkeit, um mit Unterstützung aus dem nationalistischen Lager der MHP seine weitere Herrschaft zu garantieren. Gleichzeitig wurde der Krieg in Kurdistan noch weiter vertieft.
Bestehen zwischen der AKP und den USA, der NATO sowie der EU ernsthafte Probleme, oder sind die Differenzen nicht von struktureller Natur, sondern basieren auf der Herangehensweise?
Einen tiefen Widerspruch zwischen der AKP und dem türkischen Staat und dem System der NATO, EU und den USA gibt es nicht. Lediglich die Ansätze widersprechen sich. Es gibt einige Unstimmigkeiten zwischen ihnen, was den Umgang mit Problemen betrifft. Zum Beispiel unterstützen Erdoğan und die AKP Organisationen wie die al-Nusra und den Islamischen Staat gegen die kurdische Freiheitsbewegung. Doch weder die NATO, noch die USA und EU haben dies akzeptiert. Es ist zwar richtig, dass in dieser Hinsicht einige Widersprüche aufgetreten sind, sie haben ihre Basis allerdings nicht im System. Im Zentrum der Kräfte, von denen wir sprechen, gibt es Kreise, die das Fortbestehen der AKP befürworten und sie unterstützen. Veränderungen liegen nicht im Interesse dieser Kräfte. Erdoğan bleibt jetzt aufgrund des anhaltenden Ausnahmezustands an der Macht. Er hat die Zügel einiger Institutionen in die Hand genommen und erhält Unterstützung aus den Kreisen von Ergenekon und chauvinistischen Gruppen.
Was ist mit der Unterstützung der externen Kräfte?
Zwar ist die Unterstützung der externen Kräfte für die AKP nicht mehr so gegeben wie in der Vergangenheit, aber sie ist da. Erdoğan will seine Politik der Verleugnung und Vernichtung fortsetzen. Es ist richtig, dass er in dieser Hinsicht allein dasteht. Die NATO erpresst er unter dem Motto: ‚Solltet ihr meine Kriegspolitik gegen das kurdische Volk nicht unterstützen, habe ich auch andere Alternativen parat’. Ebenfalls lässt er Sätze wie ‚Wenn ihr einen Verbündeten in der Region habt, so ist es die Türkei‘ fallen, ohne jedoch auf den Schulterschluss mit Russland einzugehen. Erdoğan droht und flucht zwar, eine Anspielung darauf, aus der NATO auszutreten, hört man von ihm nicht.
Von den externen Kräften erhält die Türkei für ihre kurdische Völkermordspolitik folglich nicht mehr den Rückhalt, den sie gewohnt ist. Seine monistische Politik, die er in der Praxis durch die Ergreifung der politischen Machteliten einseitig betreibt, findet international keine Beachtung. Aus diesem Grund hebt er den Ausnahmezustand nicht auf. Erdoğan hat sich quasi der gesamten Presse bemächtigt und wirft Kritiker ins Gefängnis. Er hat ein Imperium der Angst geschaffen und bringt kritische Stimmen mit Gewalt zum Schweigen. Tausende Menschen in der Türkei und Kurdistan sind hinter Gittern gelandet. Nur durch Unterdrückung kann er im Moment noch bleiben, sein Ende ist nah.
Unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes werden am 24. Juni Wahlen abgehalten. Der HDP-Präsidentschaftskandidat Demirtaş und mehrere Tausend Kader, Mitarbeiter und Helfer der HDP sowie unzählige Journalisten befinden sich in den Gefängnissen in Geiselhaft. Können unter diesen Umständen demokratische Wahlen durchgeführt werden?
Zunächst möchte ich erwähnen, dass wir in dem Sinne keine wählbare Partei sind. Wir wollen unsere Ziele mit dem Widerstand und der Kraft des Volkes erreichen. Unseren Kampf haben wir bisher in diesem Rahmen geführt und unser Volk hat uns dabei sowohl verteidigt als auch gestärkt. Dieser Kampf brachte verschiedene Entwicklungen mit sich. Die Quelle unseres Widerstandes ist die gesellschaftliche Bewegung. Einen Sieg mit Wahlen können wir nicht erringen, mit einem sozialen Kampf aber schon. Durch diesen sozialen Kampf ist in vieler Hinsicht Fläche entstanden. Eine davon ist die Basis für eine legale Politik. Unser Volk und unsere Freunde sollten wissen, dass uns Wahlen nicht zu Ergebnissen bringen werden, die legale Politik jedoch Raum für den Widerstand bietet, in dem jeder Anstrengungen machen muss, um einige Ergebnisse zu erzielen.
Die Wahlen werden unter dem Ausnahmezustand abgehalten, daher ist es wichtig, sich den Wahlen auch mit diesem Ansatz zuzuwenden. Das Notstandsgesetz richtet sich vor allem gegen das kurdische Volk. In Bakur wird Druck auf die Bevölkerung ausgeübt, um mit einem erfolgreichen Ergebnis den Ausnahmezustand für eine Intervention in Rojava und Südkurdistan aufrecht zu erhalten.
Das Notstandsgesetzt richtet sich nur gegen die Kurden?
Wen außer den Kurden gibt es denn? Die Gülen-Bewegung? Alle Gülen-Kader wurden verhaftet. Aus welchem Grund wird der Ausnahmezustand aufrechterhalten? Um das kurdische Volk zu unterwerfen. Seit drei Jahren wird auf Imrali eine systematische Folter praktiziert, damit der Vorsitzende Apo einen Schritt zurückweicht, was jedoch nicht geschieht. Die versuchte Zerschlagung der kurdischen Freiheitsbewegung und die daraus resultierenden Angriffe, all die Verhaftungen auf politischer Bühne wie die der Ko-Vorsitzenden und Abgeordneten, die Beschlagnahme der vom Volk gewählten Gemeinden und der totale Angriff auf das kurdische Volk; hinter all diesen Machenschaften steckt die Absicht, dass wir zurückweichen. Gegen die Guerilla werden alle erdenklichen Arten von Angriffen mit neuester Waffentechnik durchgeführt. Das Resultat? In jeder Provinz ist die Guerilla noch stärker als je zuvor.
Was erhoffen sich Erdoğan und seine Regierung von den Wahlen und was beabsichtigen sie?
Für ihre Zukunft setzen Erdoğan und die türkische Regierung auf die Liquidierung des kurdischen Volkes. Ihre Devise lautet: ‚Wenn die Kurden gewinnen, werden wir verlieren‘. Die AKP und der Staat haben beschlossen, die HDP unter der Zehn-Prozent-Hürde zu halten. Hier möchte ich nachdrücklich unterstreichen, dass es sich um einen Beschluss handelt. Trotz Kritik von außen, den Vereinten Nationen und anderer externer Kräfte wird daran festgehalten, die Wahlen unter dem Ausnahmezustand abzuhalten. Zunächst sollen die Kurden in der Türkei ausgelöscht werden, um im Anschluss die Kurden im Irak, Iran und Syrien anzugreifen. Es mag sein, dass einige Kurden das nicht verstehen oder ihre Augen davor verschließen, die Strategie der Allianz zwischen AKP und MHP kam jedoch in diesem Rahmen zustande. Sie werden in jedem Fall alles daran setzen, die HDP an der Wahl-Hürde scheitern zu lassen.
Weil sie es wollen, heißt es doch nicht, dass es sich tatsächlich bewahrheitet?
Natürlich läuft nicht alles so, wie sie es sich erhofft haben. Im Moment gibt es die sogenannte Präsidentenallianz mit der MHP. Ehemalige MHP-Politiker haben sich unter einem anderen Namen neu formiert und mit anderen Parteien die Volksallianz gegründet. Beide Allianzen sind nationalistisch. Allein die HDP stellt den Demokratieblock. Alle vom System Ausgegrenzten und Kreise außerhalb des Systems sowie die unterschiedlichen Glaubensgruppen sehen ihre Zukunft bei der HDP. Gegenwärtig kämpft die HDP als Alternative zum System für Demokratie. Die erwähnten Bündnisse besitzen nichts weiter als eine monistische und chauvinistische Mentalität. Bedürfnisse wie Freiheit oder Rechte kommen in ihrer Politik nicht vor. Trotz aller Angriffe und Manipulationspläne hat die HDP das Potenzial, weitaus mehr Stimmen als erwartet zu gewinnen. Um der AKP einen Strich durch die Rechnung zu machen, liegt es am Einsatz der Helfer der HDP, dem kurdischen Volk, der sozialistischen Bewegung der Türkei, am armenischen sowie am aramäischen und assyrischen Volk, den Aleviten sowie allen Kräften außerhalb des Systems, damit der HDP der Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde gelingt. Es wird nicht einfach sein. Sie müssen stets im Hinterkopf behalten, dass der türkische Staat beschlossen hat, die HDP aus dem Rennen zu schicken. Sie müssen sich ins Zeug legen, damit 100.000, oder sogar auch 200.000 gestohlene Stimmen der HDP nichts ausmachen.
Es werden auch Schritte unternommen, um zu verhindern, dass die Menschen überhaupt wählen gehen. Was soll die Bevölkerung tun?
Selbstverständlich werden sie alles in ihrer Macht Liegende tun, damit die HDP verliert. Die Zusammenlegung der Wahllokale, die Verlegung der Wahlurnen in Militärwachen sind nur zwei Beispiele. Unser Volk sollte sich im Klaren darüber sein. Jede Person, deren Wunsch es ist, dass sich dieses monistische, diktatorische System ändert, sollte sich den Wahlen auch in diesem Rahmen nähern. In der Türkei hat sich bereits ein Klima der Veränderung breitgemacht. Gegenüber der staatlichen Allianz haben sich alle demokratischen Kräfte unter einem Dach vereint. Insbesondere das kurdische Volk, aber auch alle anderen Personen - ob sie mit der HDP sympathisieren oder nicht - sollten wissen, dass der Nährboden der AKP ihr Krieg gegen das kurdische Volk ist. Um diese Politik zunichte zu machen, sollte jeder die HDP unterstützen, ohne persönliche Interessen zu berücksichtigen, und eine Einheit gegen die schmutzige Politik des türkischen Staates bilden. Es geht hier nicht um den Erfolg einzelner Kandidaten. Der Erfolg der HDP wird uns auch nicht die Tore für das Himmelreich öffnen. Er wird aber den Weg für eine demokratische Ära der Türkei ebnen.