Hamburg: Die Türkei nach den Wahlen

Im Centro Sociale in Hamburg haben Mitglieder einer Beobachtungsdelegation über die Wahlen in der Türkei und Nordkurdistan berichtet. Die im Exil lebende ehemalige Bürgermeisterin von Cizîr, Leyla Imret, war live zugeschaltet.

Aus Hamburg beobachtete eine zwölfköpfige Delegation auf Einladung der Demokratischen Partei der Völker (HDP) die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai in der Türkei. Im Centro Sociale in Hamburg berichteten sie am Mittwoch über ihre Erfahrungen. Live dazu geschaltet war die im Exil lebende ehemalige Bürgermeisterin von Cizîr (tr. Cizre), Leyla Imret.

Der erhoffte plötzliche Wandel hin zu einer Demokratisierung der Republik Türkei und zur Einleitung eines neuen Friedensprozesses durch das Parlament ist ausgeblieben. Vielmehr ist es den nationalistisch-islamistischen Kräften mit allen Mitteln gelungen, ihren Einfluss noch weiter auszubauen. Im Café der Kampagne Tatort Kurdistan wurde die Frage gestellt, wie es weitergeht.

Norbert Hackbusch, Ricardo Bolanos González, Andrea Benkert und Ada Amed hatten mit weiteren acht Personen in Amed (Diyarbakir), Cizîr und Silopiya die Wahlen beobachtet. Ada erklärte, dass 175 Personen aus ganz Europa auf Einladung der HDP als Wahlbeobachtungsdelegationen in der Türkei waren.

Ricardo Bolanos González war am 14. Mai mit seiner Gruppe in der Gegend von Cizîr unterwegs, nachdem man sich in kleine Gruppen aufgeteilt hatte. Schnell hörten sie von Unregelmäßigkeiten. Überall sei vor und in den Wahllokalen Militär anwesend gewesen, dies sei auch in der Türkei illegal, so Bolanos González. Andrea Benkert war mit ihrer Gruppe in verschiedenen Wahllokalen in Silopiya, auch hier waren Polizeikräfte direkt in den Wahllokalen. Junge Soldaten seien in Zivilkleidung in Bussen zu Wahllokalen auf dem Land gebracht worden. Diese hätten eigentlich in ihren Heimatorten wählen müssen. Die lokalen HDP-Vertreter:innen vermuteten, dass sie von Wahllokal zu Wahllokal gebracht würden, um ihre Stimmen mehrmals abzugeben.

Norbert Hackbusch, Bürgerschaftsabgeordneter der Linken in Hamburg, erklärte, dass die Wahlen schon allein deswegen nicht demokratisch gewesen seien, da es keine normale Öffentlichkeit gegeben hätte, Kurdistan sei ein besetztes Land.

Leyla Imret bedankte sich online bei der Delegation für die Wahlbeobachtung. Natürlich habe es große Hoffnungen gegeben, die sich aber nicht erfüllt hätten, so Imret. Es habe sich erneut gezeigt, dass der Faschismus in der Türkei nicht durch Wahlen, sondern nur durch gesellschaftliche Organisierung überwunden werden könne. 4.000 Politiker:innen der HDP seien in Haft, Tausende, wie auch sie selbst, im Exil. Kurz vor den Wahlen wären viele, die die Grüne Linkspartei (YSP), unter deren Dach die HDP angetreten ist, bekannt machen sollten, verhaftet worden. Die Türkei sei ein offenes Gefängnis. Auch warnte Leyla Imret vor der Hür Dava Partisi (Kurzbezeichnung: Hüda Par der „Partei der Freien Sache“), eine von sunnitischen Muslimen, vorwiegend kurdischer Herkunft gegründete Partei. Ihr werde nachgesagt, dass sie die Ideologie der im Jahre 2000 zerschlagenen illegalen Organisation Hizbullah vertrete. Hüda Par sei ein Projekt des Staates, um die linke Opposition zu zerschlagen und in Kurdistan den Islamismus zu installieren.

Imret erklärte, dass in der Türkei seit 100 Jahren dieselbe Genozid-Mentalität an der Macht sei. Für das Bündnis für Arbeit und Freiheit sei es unter der neu gewählten Regierung noch schwieriger geworden, Politik zu machen, aber auch für das Erdogan-Regime würde es nicht leicht werden, die Wirtschaftskrise in der Türkei spitze sich zu.

Am Ende der Veranstaltung wurde auf die enge Verflechtung der Bundesregierung und des Erdogan-Regimes hingewiesen. Dies zeige sich unter anderem an den Verurteilungen und der Auslieferung von kurdischen Politiker:innen nach Deutschland, wo sie nun in Haft säßen. Es wurde dazu aufgerufen, eine Kampagne für den gerade von Zypern nach Hamburg ausgelieferten Kenan Ayas zu beginnen und seine Freilassung zu fordern.