Genozid-Konferenz in Frankfurt

Die Heinrich-Böll-Stiftung und der Verband Kurdischer Akademiker*innen KURD-AKAD veranstalteten am Samstag eine Konferenz mit dem Titel „Genozide im Nahen Osten und die Aussicht auf eine Versöhnung“.

Auf der Konferenz wurde sich insbesondere mit den Genoziden an der kurdischen und armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich und in der Türkei, den Massenmorden und Genoziden an der ezidischen Bevölkerung bis heute und auch den ethnischen Säuberungen und Massakern durch die Türkei in Nordsyrien/Rojava beschäftigt. Es wurde über den Kampf ums Weiterleben und mögliche Lösungsansätze diskutiert.

Die Konferenz im Saalbau Bockenheim wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung, KURD-AKAD, der Sebastian-Cobler-Stiftung, Civaka Azad und dem Verein für eine Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt und Kobanê organisiert. An den beiden Paneels und der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen eine Vielzahl von deutschen, armenischen, kurdischen und türkischen Zuhörer*innen teil.

Das erste Podium „Von der Geschichte zur Gegenwart: Genozide im Nahen Osten“ wurde vom Politikwissenschaftler Ismail Küpeli moderiert, als Referenten sprachen der Historiker Mehmet Bayrak, der Psychologe Prof. Dr. Jan İlhan Kızılhan und Prof. Dr. Mihran Dabag von der Ruhr Universität Bochum.

Die ethnischen Säuberungen und Massenmorde des osmanischen Reiches gehen heute in Efrîn weiter“

Der Historiker, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Mehmet Bayrak vollzog in seiner Rede die Geschichte der Massenmorde und Genozide im Osmanischen Reich nach. Er beschrieb die Maßnahmen der osmanischen Herrscher mit denen die Bevölkerung einem osmanischen Islam unterworfen werden sollten von Massenmorden über Zwangskonvertierung zur Vertreibung. Er betonte, dass die armenische, die kurdisch-alevitische, die assyrisch-aramäisch-chaldäische und die ezidische Bevölkerung osmanischen Genoziden ausgesetzt war. Er erklärte, dass die Massaker des Osmanischen Reiches der Durchsetzung eines „osmanischen Islam“ dienten, während die jungtürkische Bewegung die islamisch-nationale Synthese schuf und damit die Basis für moderne Genozide legte. Er stellte den Dersim-Genozid als kein singuläres Ereignis, sondern Teil einer andauernden Politik der Vernichtung dar und erklärte, dass der 1925 auf Dersim angewandte Vernichtungsplan heute in Rojava weiter umgesetzt werde.

Die ezidische Bevölkerung wurde weder Tod noch lebendig in Frieden gelassen

Prof. Dr. Jan İlhan Kızılhan fokussierte sich in seinem Vortrag auf den Genozid an der ezidischen Bevölkerung. Kızılhan ging davon aus, dass die Unbegreiflichkeit eines Genozids nur durch den Einzelfall begreifbar gemacht werden kann und trug einige erschütternde Berichte von Überlebenden des Şengal-Genozids vor. Auch er ordnete den Genozid in einen größeren Kontext ein und berichtete, dass Ezid*innen schon im osmanischen Reich verfolgt und vernichtet wurden. Er wies darauf hin, dass zur Zeit von Adnan Menderes in der Türkei in 1.500 ezidischen Dörfern Moscheen errichtet wurden und Verstorbene aus ihren Gräbern geholt wurden, um sie nach islamischem Ritus erneut zu bestatten. Er schloss, dass die Aussichten auf eine Versöhnung schwer stehen und dass die Täter vor einem internationalen Gericht verurteilt werden müssten.

Genozide dauern an

Prof. Dr. Mihran Dabag nahm an der Konferenz via Skype teil und erklärte, dass man, um die kurdische Frage heute zu verstehen, die Genozide der Vergangenheit verstehen müsse. Genozide seien nicht nur eine Aneinanderreihung von Massakern, es handele sich dabei um eine systematische Politik, um Völker zu vernichten. Dabag hob hervor, dass auch heute Genozide andauerten und dass das kurdische Volk dieser Gefahr gegenüberstehe.

Das zweite Panel mit dem Titel „Von der Gegenwart zur Zukunft: Demokratische Modelle im Nahen Osten“ wurde von Dr. Dersim Dağdeviren moderiert. Als Referent*innen traten der Historiker Michael Knapp und die ehemalige Bürgermeisterin von Cizîr (Cizre) Leyla Imret auf.

Knapp nahm die demokratische Autonomie in Rojava zum Beispiel und erklärte, dass sich zwei Systeme einander gegenüberstehen. Das nationalstaatliche Modell mit seiner organisierten Gewalt, seinem Monismus und der demokratische Konföderalismus mit seiner Autonomie, Gleichberechtigung, seinem Pluralismus und seiner Selbstverwaltung. Knapp stellte kurz die Funktionsweise des Modells in Rojava vor und betonte, dass der Krieg in Efrîn nicht nur ein regionaler Konflikt ist sondern von globaler Bedeutung sei, denn es geht um die Verteidigung einer Alternative zur kapitalistischen Moderne, das eine große Ausstrahlung besitzt.

Die ehemalige Ko-Bürgermeisterin von Cizîr, Leyla Imret, berichtete über ihre eigenen Erfahrungen mit der Selbstverwaltung und berichtete von der Politik der Massaker durch den türkischen Staat. Imret sagte, dass der türkische Staat insbesondere diejenigen, die eine Demokratische Alternative entwickeln, ins Visier nimmt. Sie wies insbesondere auf die Zwangsverwaltungen durch Treuhänder des türkischen Regimes in 69 kurdischen Städten hin, mit denen die Errungenschaften der Kurd*innen vernichtet werden sollten.

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