DAANES-Außenbeauftragte Ilham Ehmed
Die kurdische Politikerin Ilham Ehmed, Ko-Außenbeauftragte der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES), hat in einem Gastbeitrag in der New York Times deutliche Kritik an der aktuellen politischen Entwicklung in Syrien geäußert. Zwar sei der Sturz des Assad-Regimes ein historischer Moment der Freude gewesen, doch die neue Übergangsverfassung bedrohe die Vielfalt und die errungenen Rechte im Land, so Ehmed.
Die im März von Interimspräsident Ahmed al-Schara unterzeichnete Verfassung sei in zentralistischen Strukturen verhaftet, betone islamisches Recht als Gesetzesgrundlage und lasse Minderheiten sowie Frauen weitgehend unberücksichtigt. Die geplanten Wahlen in fünf Jahren böten keine Garantie für politische Partizipation, vielmehr fehle es an Gewaltenteilung und rechtsstaatlicher Kontrolle, warnt Ehmed.
Demokratie aus Rojava
Die aus Efrîn stammende Kurdin verweist auf das Modell der Demokratischen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien – auch bekannt als Rojava –, das seit 2012 in einer kriegszerrütteten Region ein System der multiethnischen Basisdemokratie aufgebaut habe. In dem Gebiet, das rund ein Drittel Syriens umfasst, leben neben Kurd:innen auch Araber:innen, Alawit:innen, Christ:innen, Drus:innen, Ezid:innen, Suryoye und andere Gruppen.
„Unsere Gesellschaft basiert auf Gleichberechtigung, jede Verwaltungsposition wird von einer Ko-Spitze aus einem Mann und einer Frau unterschiedlicher ethnischer Herkunft gemeinsam besetzt, und unsere Amtssprachen sind Arabisch, Kurdisch und Syrisch-Aramäisch“, schreibt Ehmed. Frauen würden nicht nur in Justiz und Politik mitbestimmen, sondern auch in zivilgesellschaftlichen Strukturen wie den „Mala Jin“ – lokalen Frauenhäusern zur Konfliktlösung im Sinne der in der DAANES praktizierten wiederherstellenden Justiz.
Warnung vor Rückschritten
Ehmed warnt, dass die Übergangsverfassung – maßgeblich von Mitgliedern der islamistischen Gruppe „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) mitgestaltet – Grundrechte einschränken und die zentrale Macht in den Händen des Präsidenten konzentrieren könnte. Der Rückgriff auf autoritäre Praktiken und Ausschlussmechanismen drohe, die bereits bestehenden gesellschaftlichen Spannungen weiter zu verschärfen. So erinnert Ehmed an die Massaker an unzähligen alawitischen Zivilist:innen an der syrischen Küste in den zurückliegenden Monaten sowie an jüngere Angriffe auf die Drus:innen im Süden des Landes. Diese Entwicklungen zeigten, dass der demokratische Wandel nur mit einer neuen, inklusiven Verfassungsgebung möglich sei.
Appell an die USA
Ehmed ruft die US-Regierung und den Kongress auf, sich aktiv an einem solchen demokratischen Aufbau Syriens zu beteiligen. Das derzeitige politische Vakuum biete eine historische Gelegenheit, ein demokratisches Modell mit dezentralen, repräsentativen und rechtsstaatlichen Strukturen zu etablieren – nicht nur für Syrien, sondern als Beispiel für die gesamte Region. „Was wir in Rojava erprobt haben, ist kein perfektes System, aber ein lebendiger demokratischer Versuch“, so Ehmed. „Demokratie ist nichts Statisches – sie muss praktiziert, geschützt und weiterentwickelt werden.“
Der gesamte Gastbeitrag von Ilham Ehmed in der New York Times ist zu lesen auf der Webseite https://www.nytimes.com/2025/05/28/opinion/syria-kurds-rojava-autonomy.html