Mitten in Europa werden Menschen, die sich auf der Flucht befinden, von den Staaten allein gelassen und erhalten weder Unterkunft noch Essen. ANF besuchte in Brüssel die selbstverwaltete ZigZag-Küche, die für Geflüchtete kocht, die auf der Straße leben. Es ist eine von vielen Initiativen, die gegen diese unmenschliche Ignoranz vorgehen und das Wort Solidarität mit Leben füllen.
Riesige Töpfe stehen auf Gaskochern, Kistenweise wird Salat gewaschen und klein geschnitten und im Hintergrund läuft Musik. Die ZigZag-Küche in Brüssel.
Gerade wird das Essen fertig gemacht, um es am Nachmittag im Park Maximilian an hunderte Geflüchtete auszugeben. Es herrscht eifriges Arbeiten, aber kein Stress. Es sind gerade acht Leute in der Küche am arbeiten, die in einem Haus ist, welches von solidarischen Menschen zu Verfügung gestellt wurde.
Während einige den Salat vorbereiten, sind zwei Leute für den Reis verantwortlich. Insgesamt werden drei Töpfe Reis gekocht – also insgesamt 60 Kilo.
Andere packen alles für die Essensausgabe zusammen. Schalen, Löffel, Kisten, Tische, Gewürze, Handschuhe, Kellen und eine Musikbox.
Als alles Essen fertig ist, wird die erste Ladung ins Auto gepackt und es geht los zum Park. Auf dem Weg sehen wir, dass in vielen Hauseingängen und Ecken auf der Straße Menschen ihr Lager aufgeschlagen haben.
Das Leben verläuft im Zickzack
Im Park versammeln sich schon viele Geflüchtete. Die meisten sind um die 20 Jahre alt und gerade mehrheitlich aus dem Sudan. Frauen sind nur wenige da, genauso wie Kinder, da für sie die Strapazen der Flucht oft zu groß sind und noch weit mehr gefährlich sind. Sie sammeln sich im Park, weil es dort immer Essen gibt – oft mehrmals am Tag. Ein Merkmal der ZigZag-Kitchen schätzen viele Menschen besonders: obwohl es in so großen Mengen deutlich aufwendiger ist, gibt ZigZag nur frisch zubereitetes und warmes Essen aus. Die meisten wissen schon wie es läuft, es stellt sich sofort eine Reihe auf und auch während der Ausgabe ertönt öfter der Ruf „No Zigzag“. So kommt die Küche auch zu ihrem Namen. Das Leben verläuft im Zickzack, es geht immer hin und her, aber nicht die Essensausgabe. Vordrängeln ist nicht erlaubt, dann muss man zurück ans Ende der Warteschlange.
Schnell wird die Ausgabestelle aufgebaut und dann durchgehend Essen verteilt – um die zwei Stunden. Reis, Suppe, Salat und ein wenig Brot gibt es heute. Aus der Musikbox schalt Reggae. Das sei die einzige Musik, auf die sich alle einigen können, sagt ein Freund, der schon länger dabei ist.
Die Schlange hört nie auf, manche holen sich zweimal etwas zu Essen. An diesem Tag werden um die 850 Portionen verteilt. Viele mögen den Reis sehr gerne, er wurde auf mittelöstliche Art zubereitet.
Als auch der letzte Topf ausgekratzt ist, sind alle erschöpft, aber die meisten haben etwas zu essen bekommen. Manche kommen leider zu spät, aber am Abend wird es wahrscheinlich nochmal Essen von einer anderen Organisation geben.
Wieder zurück in der Küche, muss alles abgewaschen werden. Die riesigen Töpfe zu reinigen ist etwas schwer, aber gemeinsam ist es doch machbar.
Tausend Geflüchtete auf den Straßen Brüssels
Es war ein langer Tag und es geht zurück in die Unterkunft, ein besetztes Haus. Es gibt einige Projekte, die zusammen ein Netzwerk ergeben, welches versucht in dieser schwierigen Situation eigene Strukturen aufzubauen. So gibt es Gruppen die leerstehende Häuser öffnen und sie den obdachlosen Geflüchteten zur Verfügung stellen, es gibt medizinische Versorgung von „Ärtze ohne Grenzen“. In diesem besetzen Haus gibt es ein Plenum, wo die 60 Menschen, die dort leben gemeinsam Dinge entscheiden. Außerdem werden dort Sprachkurse angeboten.
So wird versucht die Geflüchteten in ihrer Situation mit dem Nötigsten zu unterstützen und sie dabei aber auch mit einzubinden, um ihre Verhältnisse zu verbessern. Es leben geschätzt um die 1000 geflüchtete Menschen auf den Straßen Brüssels, seitdem das große Flüchtlingslager von Calais 2016 geräumt wurde. Nun ist Brüssel der Ort, von dem aus Menschen versuchen mit LKWs die Grenze nach Großbritannien zu überqueren und die Politik versucht alles, um solche Fluchtbewegungen zu verhindern. Die Folge sind katastrophale Zustände in vielen Ländern, und der Zwang sich in die Illegalität zu begeben. Das Grenzregime Europas ist tödlich und grausam. Wenn die Menschen die gefährliche Route schaffen, ohne zu ertrinken oder von Grenzpolizisten der EU-Staaten verprügelt und zurückgeschickt zu werden, enden sie oft in den Grenzländern, wo die Lager überfüllt und die Bedingungen menschenunwürdig sind. Aus vielen dieser Lager gibt es Berichte von Folter und Gewalt. Da diese Verhältnisse alle kennen, versuchen viele weiter zu kommen, nach Großbritannien, Deutschland oder Skandinavien.
Den Regierungen sind diese Zustände bewusst, aber es wird nichts unternommen, sondern die Zustände, genauso wie die Politik der Außengrenzen dienen der Abschreckung. Es ist klar: es sollen keine Menschen mehr kommen, eine sichere Zuflucht gibt es nicht.
Ohne Selbstorganisierung keine Veränderung
Die Zigzag-Küche versucht gemeinsam mit anderen Projekten selbstorganisierte Strukturen aufzubauen. „Auf den Staat wollen wir nicht vertrauen, er hat kein Interesse an den Menschen. Wir müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen – das ist anstrengend, aber lohnt sich, denn wir bauen etwas zwischenmenschliches auf, was wertvoll ist und was wir auch weitergeben wollen. Wir müssen uns selbst organisieren, um die Verhältnisse zu ändern“, beurteilt eine Aktivistin die Arbeiten.
Seit August 2019 wurde die Küche geplant und hat am 6. Oktober ihre Arbeit aufgenommen. Seitdem werden bis zu vier mal pro Woche um die 800 bis 900 Mahlzeiten gekocht.
Es werden Spenden organisiert, um die ganzen Ausgaben zu finanzieren. Zu Beginn brauchten sie einen Ort, die ganzen Materialien und ein Auto für den Transport. Und dann natürlich immer wieder Menschen, die das Projekt unterstützen und weiterentwickeln.
Im Alltag der Küche gibt es auch immer viel zu tun: das Essen planen, einkaufen, gemeinsam schnippeln und kochen, Essen transportieren, die Ausgabe. Hinterher aufräumen, immer wieder Geld organisieren, Leute koordinieren, Strukturen ausbauen.
Das Leben in besetzen Häusern sorgt dafür, dass sie auch mit den Geflüchteten viel teilen - nicht nur die Essensausgabe. Einige beteiligen sich auch an der Küche und die Idee ist, das noch mehr auszubauen. Außerdem soll die Beteiligung von Menschen aus Brüssel am Projekt ZigZag-Kitchen wachsen. Denn momentan sind es oft Menschen aus Deutschland, den Niederlanden und Frankreich, die dazu kommen, um für ein paar Tage oder Wochen die Küche mit zu organisieren.
„Menschen fliehen nicht ohne Grund“
ZigZag hat klare Grundsätze: es ist eine vegane Küche, Hierarchien werden vermieden und natürlich gibt es den Anspruch für eine Welt ohne Diskriminierung und Ausbeutung zu kämpfen. „Wir wollen eine Welt ohne Grenzen, wo Menschen hingehen können wo sie wollen. Aber wir müssen neben den Zuständen hier, vor allem die Fluchtursachen bekämpfen. Denn Menschen fliehen nicht ohne Grund. Wenn wir uns nicht mit aller Kraft für eine Veränderung der Verhältnisse einsetzen, die Krieg und wirtschaftliche Ausbeutung produziert, können wir auch gegen die Probleme, welche aus Migration entstehen nicht viel machen“, sagt eine der Helferinnen.
Klar ist, dass an dieser Stelle die Arbeit des Staates gemacht wird, der eigentlich behauptet, für eine vernünftige Unterbringung und Versorgung zu sorgen. Wenn Menschen lernen, sich selbst zu organisieren und ihre eigenen Strukturen aufbauen, braucht es eines Tages überhaupt keine Orientierung mehr am Staat. Das kann ein Ziel sein und deswegen braucht es weitere Basisorganisierung.
Spenden und Unterstützung für das Projekt werden immer gesucht. Wenn sich Menschen für mehr interessieren, ist die Orga-Gruppe über [email protected] zu erreichen.