Analyse: Die Pläne der verschiedenen Kräfte in Syrien

Die Angriffe des türkischen Staates auf Rojava dauern an. International als Terroristen betrachtete Milizen greifen in Zusammenarbeit mit der Türkei ein. Der Widerstand lässt den Angriff jedoch scheitern.

Das Verhalten Russlands und der USA zum Angriff auf Rojava, das sich im Abzug der USA und verschiedenen sogenannten Waffenstillstandsvereinbarungen widerspiegelt, zeigt deutlich, dass dahinter ein planvolles Vorgehen steckt. Wenn es kein Abkommen zwischen den USA und Russland über die Invasion der Türkei in Nordsyrien sowohl zwischen diesen Kräften als auch mit der Türkei gegeben hätte, dann hätten diese ein Abkommen und einen Waffenstillstand zwischen der Demokratischen Selbstverwaltung und der Türkei vermittelt. Aber stattdessen haben sie eine Kraft, die seit acht Jahren Widerstand leistet, die im Kampf gegen barbarische Kräfte wie dem IS 11.000 Gefallene hatte, so behandelt, als existiere sie nicht. Sie haben ein Prozess eingeleitet, in dem es um nichts weiter als um die Legitimierung der Besatzung geht. Dazu gehört, dass keine dieser Parteien auch nur das geringste Interesse am Waffenstillstand gezeigt hat. Denn der Angriff hat nicht einmal für einen Moment nach dem angeblichen Beginn der Waffenruhe aufgehört. Normalerweise gibt es Beobachter für so einen Waffenstillstand. Aber weder haben der türkische Staat und seine furchtbaren Milizen ihren Angriff eingestellt, noch wurde eine Delegation gebildet, um die sogenannte Feuerpause zu beobachten. Die USA und Russland haben sich selbst an die Stelle der autonomen Selbstverwaltung gesetzt und ein ihren und den Interessen der Türkei entsprechendes, die Erdoğan-Invasion legitimierendes Abkommen geschlossen.

Beide Kräfte haben ihre politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Interessen, aus denen heraus sie die Invasion unterstützen. So hat die Revolution von Rojava und Nordostsyrien das System und den Status Quo beider Kräfte wie auch in der Türkei erschüttert. Deshalb gab es für sie kein besseres Mittel als Erdoğan, der seine Existenz auf Kurdenfeindschaft aufbaut, um dieses System zu beseitigen. Anstelle des Modells in Nord- und Ostsyrien ein System wie in Südkurdistan einzurichten, ist im Interesse beider Mächte. Deswegen hatten die USA bei ihrem Abkommen mit der Türkei Angriffe auf Kobanê ausgenommen. Deshalb hat Russland in seinem Abkommen mit der Türkei Angriffe auf Qamişlo ausgenommen. Es geht dabei darum, zwei Zentren wie die südkurdischen Metropolen Silêmanî und Hewlêr zu schaffen. Die Kurden sollten in diesen beiden Städten weiter existieren dürfen, während sie aus ganz Nord- und Ostsyrien ansonsten vertrieben oder vernichtet werden sollten. Das wird aber erst nach den völkermörderischen Angriffen Erdoğans erlaubt. So wie in Südkurdistan, als die Autonomieregion erlaubt wurde, nachdem Saddam seinen Genozid mit chemischen Waffen vollzogen hatte.

Das Profil der eingesetzten Dschihadisten

Die Selbstverwaltung von Rojava, die organisierte Bevölkerung und ihre entschlossenen Kämpfer*innen machten aber einen Strich durch diese Rechnung. Konfrontiert mit diesem Widerstand wird das Profil der Milizen deutlicher und auch mit wem die USA und Russland durch die Türkei zusammenarbeiten. Die Mehrzahl der Dschihadisten, welche für die Türkei kämpfen, sind ehemalige Mitglieder des IS. Das ist mittlerweile allgemein bekannt. Die USA und Russland arbeiten also durch die Türkei mit IS-Dschihadisten zusammen. Es geht dabei nicht nur um die Anwesenheit der IS-Dschihadisten, es sind auch Mitglieder von al-Nusra und anderen Terrorgruppen beteiligt.

Die USA hatten al-Nusra nach ihrem ersten Angriff auf Serêkaniyê am 11. November 2012 auf die Terrorliste gesetzt. Anschließend nahm auch die Türkei den Al-Qaida-Ableger in ihre Liste von Terrororganisationen auf, strich sie jedoch wieder im Jahr 2013. Die USA hat die Türkei nie gefragt, warum dies geschah. Eigentlich ist es so, dass wenn ein NATO-Land eine Gruppe listet, dies für alle NATO-Staaten gilt. Ein Land kann nicht auf Eigeninitiative eine Gruppe streichen. Die Frage ist also die: Wie können es die USA erlauben, dass die Türkei eine seit 2012 als Terrorgruppe gelistete Vereinigung zur Invasion in Nordsyrien verwendet? Was aktuell geschieht, lässt keinen anderen Schluss zu, als dass Trump durch die Türkei mit der Terrorgruppe zusammenarbeitet. Das müssen die USA erklären.

Aber es geht nicht nur um Personen und Gruppen, die aus al-Qaida oder dem IS kommen. Es war Mustafa Sejari, der „Tod Amerika, Rache für Baghdadi“ twitterte. Mustafe Sejari stammt nicht aus dem IS oder von al-Qaida, er wurde in der Türkei ausgebildet und ist der politische Kommandant der Erdoğan-treuen Miliz Liwa al-Mutassim. Sejari besuchte kurz vor der Efrîn-Invasion auf Vorschlag der Türkei im November 2017 gemeinsam mit dem Dschihadisten Ahmed Hafiz Washington. Anschließend erklärte er, man habe sich darüber verständigt, gemeinsam mit den USA gegen den Iran zu kämpfen. Er kämpfte in vorderster Front bei der Invasion auf Efrîn.

Vor Sejari gab es weitere Beispiele. Wie Seyf abu-Bakr. Er wurde in einem gemeinsamen Programm der USA und der Türkei von der US-Armee in der Türkei ausgebildet und ausgestattet. Anschließend ging er nach Syrien und trat mitsamt der US-Ausrüstung al-Nusra bei. Diese Beispiele belegen die Zusammenarbeit der USA mit al-Qaida und dem IS durch die Türkei. Es handelt sich hierbei nicht um Einzelfälle, sondern um hunderte, bei denen alles genauestens belegt ist.

Russland spricht von der Einheit Syriens, meint aber etwa anderes

Putin hat die türkische Invasion aus verschiedenen Gründen zugelassen. Ganz vorne auf der Liste steht, dass Russland keine andere im Feld wirksame Kraft oder keinen anderen Willen in Syrien will. Russland möchte seinen Einflussbereich auch im Irak ausbauen und plant die Türkei gegen die USA auszuspielen. Russland spricht bei jeder Gelegenheit von der Einheit des syrischen Territoriums. Nur hat Erdoğan aus Mitgliedern von Milizen wie dem IS oder al-Nusra ein alternatives Heer aufgebaut. Mit Hilfe dieses Dschihadistenheers will er Nord- und Ostsyrien besetzen. Diese Milizen kämpfen nicht nur gegen die QSD oder die Kurden, sondern auch gegen das syrische Regime.

Außerdem hat Erdoğan eine Alternativregierung in Istanbul ins Leben gerufen. An dieser „Regierung“ nehmen alle Milizführer teil, die gegen das Regime kämpfen. Man ist gespannt, wie Russland auf diese Politik Erdoğans reagieren wird. Klar ist, dass die Türkei die Kurden mit ihren Milizen zerquetschen will. Sie glauben, dass Erdoğan danach alles tun wird, was sie wollen. Nach dem Abschluss der Invasion wird sich Erdoğan auf die NATO und auf die USA ausrichten. In diesem Fall bleibt Russland nichts mehr, was es der Türkei tun kann.

Kurz gesagt, der Plan ist sehr weitreichend und ausgesprochen schmutzig. Der Widerstand der Völker Nordsyriens bringt den Plan zum Scheitern. Wenn der Widerstand so weitergeht, wird nicht nur die Region befreit und Erdoğan landet vor einem internationalen Gericht.