Istanbuler Oberbürgermeister in Gewahrsam
Nach der Festnahme des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem Imamoğlu finden in der Türkei Proteste gegen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan statt. In Istanbul ist die Polizei am Donnerstagabend mit Gummigeschossen und Tränengas gegen Teilnehmende einer Demonstration vor dem Rathaus der Stadt in Saraçhane vorgegangen. Tausende Menschen hatten sich dort versammelt, um für Imamoğlu zu protestieren. Angaben über Verletzte gab es zunächst nicht.
Vor Ort protestierte der Chef der Oppositionspartei CHP und Parteifreund Imamoglus, Özgür Özel, scharf gegen das Vorgehen der Polizei. „Wer seid ihr, dass ihr die Hoffnung der Türkei mit Tränengas besprüht?“, rief er den Beamt:innen zu. Aus der Menge der Protestierenden erklangen Buhrufe und Forderungen nach dem Rücktritt Erdoğans. Zudem versuchte die Polizei, Demonstrierende vom Taksim-Platz fernzuhalten. In Ankara setzte die Polizei ebenfalls Tränengas und Gummigeschosse sowie einen Wasserwerfer ein, um Studierende daran zu hindern, auf dem Campus der Technischen Universität des Nahen Ostens (ODTÜ) zu protestieren.
Der CHP-Politiker Imamoğlu, der als einer der aussichtsreichen Rivalen Erdoğans gilt, war am Mittwochmorgen nach einer Razzia in seinem Haus festgenommen worden. Der 53-Jährige wird laut Staatsanwaltschaft unter anderem der Korruption bei Ausschreibungen der Istanbuler Stadtverwaltung und Erpressung beschuldigt. Ihm wird vorgeworfen, Anführer einer „kriminellen Organisation“ zu sein, sein Bauunternehmen wurde beschlagnahmt. Auch gegen 106 weitere Personen aus Imamoğlus Umfeld wird ermittelt, mindestens 87 Personen wurden festgenommen. Darunter sind auch zwei Istanbuler Bezirksbürgermeister.
Protest vor der ODTÜ © MA
Weiterer Vorwurf: PKK-Unterstützung
Nach Angaben des Justizministeriums lautet ein weiterer Vorwurf gegen Imamoğlu auf Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Dabei geht es offenbar um den „Stadtkonsens“, einer Strategie der DEM-Partei, CHP und gesellschaftlichen Gruppen im vergangenen Kommunalwahlkampf. Auf dieser Basis wurden in zahlreichen Städten gemeinsame Kandidatenlisten erstellt. Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass die Initiative für diese Politik von der PKK ausgegangen sei.
Festnahme vor Wahl zum Spitzenkandidaten
Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel bezeichnete die Festnahme Imamoğlus als „Putschversuch“. Das Volk solle daran gehindert werden, den nächsten Präsidenten selbst zu bestimmen. Der Istanbuler Oberbürgermeister sollte am Sonntag eigentlich zum Spitzenkandidaten der CHP für die nächste Präsidentschaftswahl 2028 ernannt werden. Umfragen zufolge hätte er gute Chancen auf einen Erfolg. Am Dienstag hatte die Universität Istanbul Imamoğlu allerdings seinen dort erworbenen Abschluss wegen angeblich „offensichtlicher Fehler“ aberkannt. Der Politiker könnte damit von einer Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen werden, für die ein Hochschuldiplom eine Voraussetzung ist.