In seinem heute erschienen Infodienst veröffentlicht der in Köln ansässige Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. Auszüge aus dem Schlusswort des kurdischen Aktivisten Merdan K. In der Verhandlung am 12. Januar hat sich sich der 22-Jährige noch einmal an den vorsitzenden Richter und den Senat gewandt, um seine Sicht auf den politisch-historischen Hintergrund des bis heute ungelösten türkisch-kurdischen Konfliktes zu schildern, aber auch seine Einschätzung zu diesem Verfahren.
Auszüge aus dem Schlusswort von Merdan K., redaktionell leicht von AZADÎ bearbeitet:
„Türkischer Staat ist klar kurdenfeindlich"
„Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer dargestellt, dass dieses Verfahren sich nicht gegen das kurdische Volk, sondern gegen eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, also den Terrorismus, richtet. […] Seit 50 Jahren erzählt der türkische Staat der Welt das Märchen ‚Wir sind nicht gegen Kurden, wir sind gegen Separatismus und Terrorismus‘. Gleiches sagt uns heute der deutsche Staat. Das ist sehr bemerkenswert. […]
Der türkische Staat bekämpft nicht den Terrorismus. Der türkische Staat ist klar kurdenfeindlich. Das ist in jedem Vorgehen des Staates zu sehen. Als zwischen 1920 bis 1940 in Koҫgiri, Agiri, Zilan und Dersim Hunderttausende Kurden massakriert wurden, gab es die PKK nicht. Als die kurdischen Aufstände blutig niedergeschlagen und die kurdischen Repräsentanten dieser Zeit wie Scheich Said und Seyit Riza erhängt wurden, gab es die PKK auch nicht. Als die Assimilations- und Vernichtungspolitik gegen das kurdische Volk in Kraft trat, gab es die PKK nicht.
Mit „Terroristen“ kann alles gemacht werden
Der türkische Staat wollte im ersten Jahrhundert seiner Existenz als Republik den kulturellen und physischen Genozid am kurdischen Volk vollenden. Alle militärischen, wirtschaftlichen und politischen Kräfte wurden in dieses Ziel investiert. Dieser Plan ist aber gegen die Wand gefahren. Mit der Gründung der PKK unter dem kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan wachte das kurdische Volk aus seinem Tiefschlaf auf. Denn bis zu diesem Zeitpunkt wurde die kurdische Identität vergraben, niemand sprach mehr über Kurden und Kurdistan. Dieses historische Aufwachen wurde als große Gefahr für die türkische Nation gesehen, weil sie darauf gegründet wurde, alle Verschiedenheiten im eigenen Land zu verleugnen. Ich meine Kurd:innen, Armenier:innen oder Alevit:innen, so dass die Quelle des Aufwachens, das kurdische Volk und mithin die PKK, vernichtet werden mussten. Dafür wurde die PKK als Terrororganisation und ihre Ziele als Separatismus bezeichnet.
Denn: Terroristen können gefoltert werden, Terroristen können hingerichtet, getötet und entführt werden. Terroristen können mit chemischen Waffen umgebracht werden. Sie können schwer erkrankt in den Gefängnissen eingekerkert sein oder für Jahrzehnte hinter Gittern verschwinden. Die Parteien, die von Terroristen gewählt werden, können verboten werden, Journalisten, die über Terroristen berichten, können verhaftet werden. Mit Terroristen kann – kurz gesagt – alles gemacht werden. Das ist die Realität des türkischen Staates.
Für ihn ist der Begriff Terrorismus ein Instrument zur Rechtfertigung oder Verdeckung von völkerrechtswidrigen Angriffen, Folterpraktiken und Kriegsverbrechen gegen Kurdinnen und Kurden.
Die PKK wird nur kriminalisiert, weil sie ein Hindernis ist für die neo-osmanischen Ziele des türkischen Staates. Die Beschuldigung von Terrorismus und Separatismus sind ein Teil dieser Basis.
Kurd:innen hier unterdrückt
Wenn der deutsche Staat die Argumente des türkischen Staates übernimmt und hier einführt, heißt das, dass er ihn in seinem rechtswidrigen und unmenschlichen Vorgehen gegen die kurdische Bevölkerung unter dem Deckmantel des Terrorismus unterstützt. Damit handelt er genauso kurdenfeindlich und ist mit seinen Repressionen gegen die Kurd:innen in Deutschland an dem Genozid-Konzept des türkischen Regimes mitbeteiligt. Anders kann die strafrechtliche Verfolgung von kurdischen Aktivist:innen seit den 1980er Jahren, die Razzien in legalen kurdischen Vereinen, das Schließen von kurdischen Kultureinrichtungen und Verlagen, das Verbieten kurdischer Symbole und die Kriminalisierung in Deutschland über das PKK-Verbot nicht erklärt werden.
Vor dem Hintergrund der deutsch-türkischen Beziehungen werden Kurd:innen hier unterdrückt und – wie in der Türkei – vom Recht auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ausgeschlossen. […]
Ohne Lösung der „kurdischen Frage“ keine demokratische Türkei
Ich sitze heute hier, weil es die deutsch-türkische Einigkeit so vorsieht. Der deutsche Staat benutzt – wie der türkische – das Recht als Instrument, um kurdische Aktivist:innen zu verfolgen und jahrelang in die Gefängnisse zu stecken. Herr Vorsitzender, das dürfen Sie als Vertreter des Rechts nicht zulassen.
Der deutsche Staat muss erst als Rechtsstaat die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten des kurdischen Volkes berücksichtigen und zu einer Bewertung kommen. […]
Es ist im 21. Jahrhundert ohne Status und mit einer Vernichtungsstrategie des türkischen Staates konfrontiert durch massive Angriffe auf die Existenz, Kultur, Sprache und Identität. Die Verbundenheit der Kurd:innen mit der PKK besteht, weil sie deren Interessen vertritt. Deshalb kann die ‚kurdische Frage‘ nur mit ihr und dem Repräsentanten Abdullah Öcalan gelöst werden. Obwohl sie sich hierfür bereiterklären, führt der türkische Staat weiter Militäroperationen durch und isoliert den Schlüssel für eine Lösung. Aber auch Abdullah Öcalan unterliegt einer schweren Isolationshaft – seit nunmehr 24 Jahren. […]
Bei der Bewertung der PKK dürfen deren Taten nicht vergessen werden: der Kampf gegen den sog. Islamischen Staat, die Befreiung von Rojava, Ṣengal und des Nordirak sowie die Schaffung des demokratischen Konföderalismus und einer demokratischen, frauenbefreienden Gesellschaft – alles wichtige Aspekte, die nicht ignoriert werden können. Das deutsche Parlament will darüber abstimmen, dass der Völkermord an den Ezidinnen und Eziden anerkannt wird. Zur Erinnerung: es war die PKK, die Zehntausende von ihnen im Jahre 2014 vor dem Terror des IS gerettet hat.
Politische motivierte Kriminalisierung beenden
Mit ihren Taten und ihrer Ideologie hat die PKK auch in den Herzen der Menschheit einen Platz eingenommen. So rufen weltweit politische Parteien und Organisationen, Gewerkschaften, Politiker:innen, Jurist:innen, Philosoph:innen, Schriftsteller:innen und Aktivist:innen dazu auf, die PKK von der sog. EU-Terrorliste zu streichen.
Dies und ein Urteil des höchsten Gerichtes in Belgien von Januar 2020, wonach die PKK keine Terrororganisation ist, sondern ein Teil einer bewaffneten Auseinandersetzung, können nicht einfach ignoriert werden. Erst wenn alle Aspekte der PKK berücksichtigt werden, kann eine rechtliche Bewertung und richtige Entscheidung erfolgen. Doch blockiert der deutsche Staat diese Sichtweisen aufgrund seiner Beziehungen zur Türkei. Das PKK-Betätigungsverbot hat keinen rechtlichen, sondern politischen Hintergrund. Diese Rechtswidrigkeit muss aufhören.
Dieses Verfahren wie alle anderen gegen kurdische Aktivist:innen in Deutschland nutzen den völkerrechtswidrigen Angriffen und Kriegsverbrechen des türkischen Staates und der kulturellen wie physischen Vernichtung der Kurd:innen. […]
Kurdische Befreiungsbewegung legitim und gerecht
Ich habe mit meinen politischen Aktivitäten am gerechten Befreiungskampf des kurdischen Volkes teilgenommen. Das werde ich auch weiterhin tun. Sie sind nicht terroristisch, sondern das Vorgehen des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung ist es. Es ist staatlicher Terror. […]
Egal, welche Entscheidung Sie treffen werden: Der kurdische Befreiungskampf ist legitim und gerecht. Das kurdische Volk und die Freiheitsbewegung werden entschlossen den Faschismus zerschlagen, Kurdistan befreien, die Isolation brechen, seinen Repräsentanten befreien sowie die Türkei und den Nahen Osten demokratisieren."