Ende der 1970er und in den 1980er Jahren demonstrierten in der Walpurgisnacht Frauen in ganz Deutschland mit weiß bemalten Gesichtern, Fackeln und Kerzen gegen „die Ausgangssperre für Frauen bei Dunkelheit“. Der Name Walpurgisnacht leitet sich von der heiligen Walburga (auch Walpurga oder Walpurgis) ab, einer Äbtissin aus England (≈ 710–779).
Doch die Frauen protestierten nicht nur, sie feierten auch: Frauenfeste in der Walpurgisnacht fanden allerorten unter dem provokanten Motto „Hexentanz“ statt. Die Feministinnen sagten jetzt stolz: „Ja, wir sind Hexen!“. Sie beriefen sich dabei auf die Tradition der „Hagazussa", der Heilerinnen und Hebammen. Denn das war die erste Beschimpfung, die den neuen Frauenrechtlerinnen entgegenschlug: Alles Hexen! Oder Lesben. Oder beides. Was nicht neu war, schon in der frühen Neuzeit hatte man unbequeme Frauen abserviert, indem man sie schlicht zu „Hexen“ erklärte. Es wird geschätzt, dass allein auf Deutschland 40.000 Hexenverbrennungen (und damit mehr als die Hälfte der gesamteuropäischen Zahl) entfielen.
Die Walpurgisdemos wurden oft als „Aktionsrahmen“ für weitere politische Aktionen genutzt: Parolen wie „Vergewaltiger, wir kriegen dich!“ wurden an Häuserwände gesprüht, sexistische Werbung oder Fensterscheiben von Peepshows wurden mit Farbbeuteln koloriert, eingeworfen oder solche Läden mit einem Go-In oder Stinkbomben gestört. Geworfen wurde noch etwas anderes: Mehl – und zwar gezielt auf Passanten. Das war symbolisches „feministisches Werfen“ gegen Männergewalt.
Die Wut auf erfahrene und auf alltäglich drohende Gewalt gemeinsam auf die Straße zu tragen und dort feministische „Markierungen“ zu hinterlassen, war und ist eine wichtige Form der Selbstermächtigung und ein kraftvolles politisches Zeichen. Schon im Laufe der 1980er Jahre erweiterten die Demonstrationen – je nach Organisatorinnen – ihr politisches Spektrum und schlossen auch die Kritik an Kapitalismus, Rassismus und später zudem die an Gewalt gegen Transpersonen mit ein. Die bundesdeutschen Walpurgisnächte inspirierten auch feministische Bewegungen in anderen europäischen Ländern. In Großbritannien finden Demonstrationen unter dem Motto „Reclaiming the Night“ (Die Nacht erobern) statt.
Aufruf zu Aktionen: Take back the night!
In dem Aufruf der Kampagne „Gemeinsam Kämpfen für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ zur Walpurgisnacht heißt es:
Wir rufen dazu auf, den 30. April dieses Jahr mit achtsamen und feministischen Aktionen und Zusammenkünften zu gestalten. In der Tradition der „Take back the night“-Demonstrationen ist es ein Tag, an dem wir uns den Raum gegen patriarchale Gewalt nehmen wollen. Gerade jetzt brauchen wir eine starke feministische Antwort auf steigende Gewalt und staatliche Angriffe in Zeiten von Corona. Der Feminizid an Besma A. in Hildesheim, bei dem der Täter wieder freigelassen wurde, weil er Besma ‚aus Versehen erschossen‘ habe, macht das wieder einmal deutlich.
Der 30. April gilt auch der Erinnerung an einen der größten Feminizide unserer Geschichte, die Ermordung von sogenannten „Hexen“. Mit der Hexenverfolgung wurde ein Grundstein dafür gelegt, dass Unmengen von Wissen, das zum Großteil Frauen über Gesundheit und Heilung hatten, zerstört und somit der Bevölkerung entrissen wurde. Mehr denn je sind wir heute mit einer Krise des Gesundheitssystems konfrontiert und auch darauf brauchen wir starke feministische Antworten.
Also lasst uns dieses Jahr in der Walpurgisnacht verschiedene dezentrale Aktionen machen! Schreibt die Namen und Geschichten von Frauen, die in eurer Stadt als Hexen verfolgt wurden, und stellt an Orten, die mit Hexenverfolgung in Verbindung stehen, Windlichter auf. Verschönert die Stadt mit Plakaten, Ausstellungen, neuen Straßenschildern, usw. Kommt zusammen, macht ein Feuer, singt und lest euch was vor... oder macht was anderes, was auch immer euch einfällt.