Efrîn: Offener Brief von Frauen an die Bundesregierung

Friedensforscherinnen und andere für Frauenrechte engagierten Frauen haben in einem offenen Brief an die Bundesregierung Stellung zum Angriff auf Efrîn bezogen.

Im Rahmen einer Frauenkampagne für Frieden in Efrîn haben sich zahlreiche Einzelpersonen und Organisationen mit einem offenen Brief an die Bundesregierung gewandt. Sie fordern einen Stopp der Rüstungsexporte in die Türkei sowie Engagement für die sofortige Einstellung der türkischen Angriffe.

Wir dokumentieren den offenen Brief:

„Der Krieg der Türkei in Nordsyrien, der nach der Erklärung von Staatspräsident Erdoğan darauf zielt von Afrin (Efrîn) im Westen bis an die Grenze des Irak im Osten „alle Terroristen auszurotten“, meint einen Angriff auf die dort seit 2012 bestehende demokratische Selbstverwaltung. Die demokratische Autonomie und Geschlechterbefreiung wurde unter dem Namen „Rojava“ bekannt, vor allem nachdem Ende 2014 der IS erfolgreich aus Kobanî zurückgeschlagen wurde. An dem gesellschaftlichen Neuaufbau, der basisdemokratisch und kommunal organisiert wird, sind die vielen kulturellen Gruppen der Region beteiligt: neben Kurd*innen auch Assyrer*innen, Araber*innen, Ezid*innen, Turkmen*innen etc. Deshalb wurde der kurdische Name Rojava 2016 durch Demokratische Föderation Nordsyrien (DFNS) ersetzt. Die de facto autonome Region umfasst die drei Kantone Efrîn, Kobanê und Cizîrê.

Rojava bzw. die Demokratische Föderation Nordsyrien steht für eine aktive Beteiligung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen, für doppelte Führungsspitzen aus einer Frau und einem Mann in allen Ämtern, fortschrittliche Frauengesetze, ein von Frauen geschriebener Gesellschaftsvertrag, autonome Frauenstrukturen als parallele und eingebundene Strukturen, Frauenzentren, -beratungsstellen, - akademien, sogar ein Frauendorf. Die Jineolojî, eine Sozialwissenschaft vom Frauenstandpunkt aus, wurde verankert und hilft die Fragen des Neuaufbaus kooperativ zu beantworten. Im Oktober 2017 hat der erste Studiengang Jineolojî begonnen, im August wurde ein Jineolojî-Forschungszentrum in Efrîn und im September eines in Cizîrê eröffnet.

Als Friedensforscherinnen und engagierte Frauen*/Trans/Inter stellen wir uns gegen den Angriff der Türkei auf die nordsyrische Region der Selbstorganisierung. Dieser Angriff ist nicht nur völkerrechtswidrig. Hier wird versucht auszuradieren, was aufgrund des Beispielcharakters als bedrohlich verstanden wird: Das selbstorganisierte Zusammenleben verschiedener kultureller Gruppen und die verankerte, selbstbewusste Beteiligung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Die Vernichtung der wertvollen Entwicklungen in der Region, mit der jetzt gedroht wird, zu dulden würde allen feministischen und an Frauenrechten orientierten Analysen und Ansätzen für Friedenspolitik widersprechen.

Wir stellen uns gegen jede Form von Waffenlieferung und Kriegsunterstützung der deutschen Regierung an die Türkei.

In der Region drohen Massaker. Die deutsche Regierung, andere Staaten, die EU, die UN müssen sich deutlich gegen diesen Krieg aussprechen und für eine sofortige Einstellung der Angriffe einsetzen.

Statt der praktizierten Duldung dieses Krieges muss eine politische Lösung für Syrien unter Einbezug der Demokratischen Föderation Nordsyrien (DFNS) und insbesondere der Frauenvertreterinnen mit allen Mitteln vorangebracht werden.

Als Friedensforscherinnen und für Frauenrechte engagierte Frauen wissen wir, dass eine stärkere Geschlechtergleichheit und eine Vielfalt von Geschlechtervorstellungen, wie sie in der DFNS entstehen und verankert werden, sich deutlich auf das friedliche Zusammenleben innerhalb und zwischen Gesellschaften auswirken. In der DFNS wird vieles entwickelt, von dem wir gerne mehr lernen wollen. Wir als Friedensforscherinnen in Deutschland sind an einem solidarischen Austausch von Erfahrungen interessiert und dulden den Angriff auf diesen vielversprechenden Gesellschaftsaufbau nicht.

Unterzeichnerinnen:

FriedensFrauen Weltweit - PeaceWomen Across the Globe (PWAG)

Informationsbüro Nicaragua e.V., Wuppertal

Prof. Dr. Encarnación Gutiérrez Rodríguez, Professur für Allgemeine Soziologie, Justus-Liebig-Universität Gießen

Dr. Christine M. Klapeer, Studienfach Geschlechterforschung, Fakultät für Sozialwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen

Ass. Prof. Nazan Üstündağ, Boğaziçi University, z.Z. Berlin

Dr. Mechthild Exo, Lehrkraft für Transkulturalität und internationale Entwicklungen, Hochschule Emden/Leer, Frauensprecherin der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK)

Dr. Ilina Fach, Marburg

Wiebke Lass, Gesellschaft für sozioökonomische Forschung (GSF)

Waltraud Bischoff, Projektgruppe „Frauen wagen Frieden“

Bele Grau, Köln

Ferdos Dini

Ramona Juretzka, Düsseldorf

Sowie die Initiatorinnen und Unterstützerinnen der Kampagne „Frauen und Frauenorganisationen für Frieden in Afrin/Nordsyrien“:

WJAR - Stiftung der freien Frau in Rojava

Marche Mondiale des Femmes in Deutschlang (MMF)

Dachverband des Ezidischen Frauenrates (SMJÊ)

Frauen für Frieden e.V. Hessen

Kurdisches Frauenbüro für Frieden Ceni e.V.

(namentlich hier die Initiatorinnen)“