Zehn Jahre ohne Berkin Elvan

Berkin Elvan, ein 14-jähriger Teenager, wollte wohl nur Brot holen, als er am Rande der Gezi-Proteste in Istanbul durch eine Tränengaskartusche verletzt wurde und nach neun Monaten im Koma starb. Seitdem sind zehn Jahre vergangen.

Jüngstes Opfer der Gezi-Proteste

Berkin Elvan war 14, wollte nur Brot holen, als er am Rande der Gezi-Proteste in Istanbul im Juni 2013 durch eine Tränengaskartusche am Kopf verletzt wurde. Nach 269 Tagen im Koma starb der Junge am 11. März 2014 im Alter von 15 Jahren. Anlässlich seines zehnten Todestages kamen Angehörige und weitere Menschen am Montag auf dem Istanbuler Feriköy-Friedhof zusammen, um Berkin Elvan zu gedenken.

Viele Menschen waren gekommen, um sich an dem Grabbesuch bei Berkin Elvan zu beteiligen. Unter ihnen waren auch zahlreiche Handelnde und Aktive aus Politik und Zivilgesellschaft, darunter Meral Danış Beştaş und Murat Çepni, die bei der Kommunalwahl Ende März für die DEM-Partei ins Rennen um das Bürgermeisteramt Istanbuls gehen wollen. Nach einem gemeinsamen Gebet wurde die Stille von den Worten Sami Elvans durchbrochen. Der Vater des Jugendlichen dankte allen Unterstützenden, die ihm und seiner Familie Beistand leisteten während ihres Kampfes um Gerechtigkeit.

Erst acht Jahre nach dem Tod von Berkin -im Juni 2021- wurde der Schütze Fatih Dalgalı verurteilt. Der Polizist erhielt eine Haftstrafe in Höhe von 16 Jahren und acht Monaten, die erstinstanzlich bestätigt wurde. Doch weil der Kassationshof das Urteil noch immer nicht anerkannt hat, führt er nach wie vor ein Leben in Freiheit. Foto (c) MA


„Wenn es überhaupt so etwas wie Gerechtigkeit geben kann, dann sicher nicht in diesem Land, da sie an den Lippen einer einzigen Person hängt“, sagte Elvan. Er kritisierte Recep Tayyip Erdoğan, Chef des Ein-Mann-Regimes in der Türkei, ohne dessen Namen zu nennen. Und gerade weil es einem Kampf gegen Windmühlen gleiche, empfinde er eine tiefe Verbundenheit zu allen Menschen, die seine Familie auf ihrer Suche nach Gerechtigkeit für Berkin nicht alleine gelassen haben.

Die Rede von Berkins Mutter Gülsüm Elvan war noch emotionsgeladener. „Zehn lange und schwere Jahre musste ich bereits damit leben, meinen Sohn nicht mehr in den Arm nehmen zu können. Es war ein Jahrzehnt der Sehnsucht nach Berkins Geruch und seiner Stimme, weitere stehen noch bevor. Zehn Jahre, in denen meine Rufe nach Gerechtigkeit keine Aufmerksamkeit erhielt. Doch die Mörder sollten wissen: Unser Schmerz und unsere Wut sind so frisch wie am ersten Tag.“

Es folgten weitere Ansprachen mit ähnlich gelagerten Botschaften. Emel Korkmaz, deren Sohn Ali Ismail ebenfalls während der Gezi-Proteste ermordet wurde, sagte: „Unsere Kinder liegen unter der Erde, aber ihre Mörder sind irgendwo da draußen. Unser Zorn wächst mit unserem Schmerz. Der Widerstand für Recht und Gerechtigkeit geht weiter.“ Bevor sich die Anwesenden verabschiedeten, wurden rote Nelken am Grab von Berkin niedergelegt.

Im Februar 2023 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei im Zusammenhang mit dem Tod von Berkin Elvan. Die Behörden seien nicht unabhängig gewesen und hätten ihre Verpflichtung zur Aufklärung nicht erfüllt. So hätten sie etwa nicht genug getan, um zu untersuchen, welche Rolle der Leiter der nationalen Strafverfolgungsbehörden sowie der Gouverneur von Istanbul damals spielten. Die Türkei musste jedoch keine Entschädigung zahlen, weil die Eltern des Jungen dies nicht beantragt hatten.| Foto (c) MA

 

Gezi-Proteste

Die Gezi-Proteste entzündeten sich Ende Mai 2013 an der geplanten Bebauung des Gezi-Parks in Istanbul. Sie weiteten sich zu landesweiten Demonstrationen gegen den als immer autoritärer empfundenen Führungsstil Recep Tayyip Erdoğans aus und wurden teils mit brutaler Polizeigewalt niedergeschlagen. Erdoğan war damals Ministerpräsident. Seit August 2014 ist er Staatspräsident.

Landesweit kamen bei den Protesten acht Demonstrierende ums Leben: Berkin Elvan, Ali Ismail Korkmaz, Ethem Sarısülük, Ahmet Atakan, Mehmet Ayvalıtaş, Abdullah Cömert, Medeni Yıldırım und Hasan Ferit Gedik. Zahlreiche weitere Menschen wurden teils schwer verletzt – einige verloren sogar ihr Augenlicht, weil sie von Tränengaskartuschen der Polizei getroffen wurden.