Zahnlose deutsche Diplomatie lässt Hozan Canê hängen

Laut Bundesregierung ist die Sängerin Hozan Canê trotz diplomatischer Bemühungen beim Erdoğan-Regime nicht freigelassen worden. Die türkische Regierung habe sich auf „die Unabhängigkeit der Justiz“ berufen.

Die kurdische Sängerin und deutsche Staatsbürgerin Hozan Canê (Saide Inac) befindet sich im Moment mit einem Ausreiseverbot in der Türkei. Sie war von einem türkischen Gericht wegen angeblicher „Mitgliedschaft in der PKK“ zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Die Musikerin hatte im Vorfeld der Wahlen am 24. Juni den Wahlkampf der Demokratischen Partei der Völker (HDP) unterstützt und war am 23. Juni 2018 in Edirne in der Westtürkei festgenommen und inhaftiert worden. Ihr wird vorgeworfen, in einem Spielfilm eine YPJ-Kämpferin dargestellt und kritische Beiträge in den sozialen Medien verbreitet zu haben.

Nachdem Hozan Canê bis zum Vollzug ihrer Strafe freigelassen worden war, reiste ihre Tochter Dilan Örs am 24. Mai 2019 nach Istanbul, um ihre Mutter zu besuchen. Auch sie wurde festgenommen, anschließend wieder freigelassen und mit einer Ausreisesperre belegt. Die Abgeordnete Gökay Akbulut von der Linksfraktion fragte die Bundesregierung nach ihren Bemühungen um die kurdische Künstlerin und ihre Tochter.

Für die Bundesregierung antwortete die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering. Sie erklärte zum Einwirken der Bundesregierung auf die türkischer Regierung in Bezug auf die beiden Frauen: „Frau I., deutsche Staatsangehörige, wurde im Juni 2018 in der Türkei festgenommen. Sie wurde seitdem siebenmal durch die zuständige deutsche Auslandsvertretung, das Generalkonsulat in Istanbul, in Haft besucht. Ihr Fall wurde vonseiten der Bundesregierung mehrfach im Rahmen politischer Gespräche hochrangig thematisiert. In diesen Gesprächen hat sich die Bundesregierung wiederholt dafür eingesetzt, dass Frau I. aus humanitären Gründen aus der Haft freigelassen wird. Die türkische Seite hat das bisher mit Verweis auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz abgelehnt.“

Die kurdische Aktivistin Zilan L. bewertete diese Antwort gegenüber ANF als einen „Beleg für die zahnlose Diplomatie Berlins gegenüber dem Erdoğan-Regime. Die Bundesregierung kann sich noch so oft mit der türkischen Regierung ‚hochrangig‘ treffen, so lange diese sich sicher sein kann, dass sie mit jeder Schweinerei durchkommt, ist es klar, dass Menschen wie Hozan Canê und ihrer Tochter keine Gerechtigkeit widerfährt.“

Die Bundesregierung erklärte darüber hinaus zu ihren Bemühungen um Dilan Örs: „Mit ihrer Tochter, Frau Ö., die ebenfalls deutsche – und auch türkische – Staatsangehörige ist, stand das Auswärtige Amt bereits im Hinblick auf ihre Einreise in direktem persönlichem Kontakt. Frau Ö. wurde am 25. Mai, also einen Tag nach ihrer Festnahme, wieder aus polizeilichem Gewahrsam entlassen und mit einer Ausreisesperre sowie Meldeauflage belegt. Das Generalkonsulat in Istanbul hat die Freilassung von Frau Ö. begleitet und steht mit ihr sowie mit ihrem Rechtsanwalt in direktem Kontakt. Die Bundesregierung setzt sich gegenüber der türkischen Regierung intensiv für die Aufhebung der Ausreisesperre ein.“

Einschüchterungspolitik gegen in Deutschland lebende Bevölkerung aus der Türkei

Nach Informationen des deutschen Außenministeriums befinden sich im Moment fünf deutsche Staatsbürger aufgrund politischer Vorwürfe in türkischer Haft. Die reale Zahl soll weit höher liegen, da die türkischen Behörden die deutschen Behörden über die Festnahme eines Staatsbürgers oft mit großer Verzögerung informieren. Nach offiziellen Zahlen wurden mindestens 35 deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit einer Ausreisesperre aus der Türkei belegt. Seit 2017 nutzt das Erdoğan-Regime gefangene deutsche Staatsbürger als Druckmittel, um politische Zugeständnisse zu erzwingen. In letzter Zeit ist der türkische Staat dazu übergegangen, nicht mehr Prominente als Geiseln zu nehmen, sondern insbesondere die türkische und kurdische Bevölkerung in Deutschland einzuschüchtern. Vergangenen März hat der türkische Innenminister Süleyman Soylu deutschen Staatsbürgern gedroht: „Es gibt ja Leute, die in Europa oder in Deutschland an Kundgebungen so einer Terrororganisation teilnehmen und dann nach Antalya, Bodrum oder Muğla kommen, um Urlaub zu machen. Für die haben wir jetzt Maßnahmen getroffen. Die sollen ruhig kommen, dann werden sie bei der Einreise am Flughafen festgenommen – und ab geht’s mit ihnen. Im Ausland Verrat zu begehen und dann in der Türkei das Leben zu genießen, ist ab jetzt nicht mehr so einfach.“ Auch hier beschränkte sich die Bundesregierung auf zahnlose Kritik.

In den Reisehinweisen des Auswärtigen Amts wird davor gewarnt, dass deutsche Staatsangehörige schon aufgrund regierungskritischer Stellungnahmen in sozialen Medien festgenommen worden seien. Dabei reiche schon das Teilen oder „Liken” eines fremden Beitrags.