„Widerstand heißt Leben“ - Ein Nachruf

In der Innenstadt von Bielefeld ist anlässlich des 37. Jahrestages des Beginns des „großen Todesfastens“ den Vorreitern und Gründungsmitgliedern der kurdischen Freiheitsbewegung Kemal Pir, Ali Çiçek, Akif Yılmaz und Mehmet Hayri Durmuş gedacht worden.

In der Bielefelder Innenstadt ist heute anlässlich des 37. Jahrestages des Beginns des „großen Todesfastens“ am 14. Juli 1982 den PKK-Kadern Kemal Pir, Ali Çiçek, Akif Yılmaz und Mehmet Hayri Durmuş gedacht worden, die als Vorreiter und Gründungsmitglieder der kurdischen Freiheitsbewegung im Zuge des Todesfastens im Gefängnis von Amed (Diyarbakir) ums Leben gekommen sind.

Eine Gruppe internationalistischer Jugendaktivist*innen brachte dafür ein Transparent mit der Aufschrift „Berxwedan Jiyan e“ (dt.: Widerstand heißt Leben) an einer Brücke auf der Hauptstraße der Bielefelder Innenstadt an.

Zum Hintergrund ihrer Aktion gaben die Aktivist*innen anschließend eine Erklärung ab:

„Anlässlich des 37. Jahrestages des Beginns des kämpferischen Todesfastens im Foltergefängnis von Diyarbakir gedenken wir unserer unvergessenen Genossen Kemal Pir, Ali Çiçek, Akif Yılmaz und Mehmet Hayri Durmuş, die im Jahre 1982 im Kerker von Diyarbakir ihr Leben ließen. 

Ein weiteres Mal begrüßen wir heute, am 14. Juli, den Widerstand der revolutiönären Todesfastenden, der die Siege der Gefängnisaufstände in der Türkei ebnete und für uns alle ein unvergessliches und unumgängliches Ereignis der Geschichte zeichnet.

Am heutigen Tag sind es die Namen aller Wegbereiter des großen Widerstands von Diyarbakir sowie die aller anderen, die im Kampf für Freiheit ihr Leben ließen, und an die wir mit tiefem Respekt und großer Dankbarkeit erinnern.

Die Ereignisse im Kerker von Diyarbakir führen zurück in das Jahr 1982, wo im Zuge des Militärputschs am 12. September 1980 in der Türkei unzählige hochrangige Mitglieder der kurdischen Freiheitsbewegung, Revolutionäre anderer fortschrittlichen Bewegungen und Oppositionelle verhaftet wurden.

Das staatliche Gefängnis von Diyarbakir wurde daraufhin dem Militär übergeben und in ein Militärgefängnis im Kriegsrecht umgewandelt. Unter der Bezeichnung „Die Hölle von Diyarbakir“ wurde es später weltweit bekannt, da die Gefangenen mit brutalen und faschistisch motivierten Methoden systematisch gefoltert und erniedrigt wurden. Zur gängigen Praxis gehörten unter anderem Prügel, Elektroschocks, sexuelle und psychische Folter und Verbrennungen. Viele Insassen wurden so zu Tode gefoltert.

Am 14. Juli 1982 wurde folglich die erste große Aktion gegen die Folter im Kerker von Diyarbakir gestartet, die das dort herrschende System in seinen ideologischen Grundfesten erschütterte. Mehmet Hayri Durmuş kündigte in seiner Gerichtsverhandlung den Beginn des Todesfastens an und leitete damit den großen und revolutionären Gefängnisaufstand ein.

Esat Oktay Yıldıran, Offizier des Gefängnisses von Diyarbakir, ordnete als Reaktion verstärkte Folter von widerständigen Insass*innen an. Ziel war es, die Todesfastenden und Hungerstreikenden zur Kapitulation und zur Beendigung ihrer Protestaktion zu zwingen. Die Persönlichkeiten, denen wir an diesem Tage gedenken, schafften es jedoch, ganze Trakte zum Aufstand zu bewegen und einen kollektiven Widerstand gegen das Foltersystem im Gefängnis auszurufen. Im Gefängnis von Diyarbakir brach anschließend ein politisches Chaos aus.

Zahlreiche Protestierende ließen im Verlauf der Aktion ihr Leben. Auch die vier Genossen Akif, Ali, Mehmet und Kemal verloren in Folge des Todesfastens als revolutionäre und unbeugsame Wegweiser ihr Leben und hinterließen tausenden Menschen in den Gefängnissen die ideologische Linie des organisierten Widerstands. Und bis heute erleuchten diese Ideologie und der Siegesgeist des 14. Juli den Weg von Millionen Menschen weltweit.

Bereits seit seiner Gründung strebt der türkische Staat nach einer ethnisch und religiös gleichgeschalteten Nation und setzt dafür alle möglichen Kriegsmittel gegen Kurd*innen ein. Täglich finden in der Türkei noch immer Verbrechen von bestialischer Dimension statt: Systematische Massaker, Minderheitenverfolgung, Folter, sexuelle Gewalt als Kriegsmittel, Zerstörungen von gesamten Regionen, Zwangsumsiedlung, Unterdrückung, Verhaftungswellen und gezielte Attentate zeichnen den Kriegsalltag in der Türkei aus. Diese kriegerische und bestialische Agressionspolitik steht unter ewiger Verantwortung der AKP, MHP und CHP.

Seit Generationen steht dem Vernichtungsversuch des türkischen Regimes jedoch der kurdische Befreiungskampf gegenüber, dem all unsere Solidarität und Leidenschaft gehört. In Kurdistan wird ein vielschichtiger und einzigartiger Kampf um Freiheit geführt.

Dieser Kampf trägt das Leid der verschleppten Frauen Şengals, die Schreie der Frauen, die sich 1938 von den Klippen Dersims stürzten, um dem Vergewaltigungsrausch türkischer Besatzersoldaten zu entkommen, die Entschlossenheit derer, die Siegeshymnen hinter den Gittern der türkischen Foltergefängnisse singen, das Feuer der Jugendlichen auf den Straßen von Nusaybin, Sur und Cizre, die die Schulbänke verließen und in den Straßenkampf zogen, die Schreie aus den Todeskellern Cizres, wo Menschen zu Hunderten eingesperrt und verbrannt wurden.

Dieser Kampf trägt das Lächeln all derer, die heute dem Islamischen Staat und den Besatzertruppen furchtlos in die Augen blicken, die Leidenschaft von über 7000 Genossinnen und Genossen, die noch vor Wochen mit ihrem Hungerstreik und Todesfasten zu Tausenden Geschichte schrieben und den Erfolg derer, die mit ihrem heldenhaften und verlustreichen Kampf sowohl in Nordkurdistan als auch in Rojava täglich Zivilist*innen befreien.

Es ist die Rojava-Revolution, die uns heute zeigt, welche Früchte entschlossener Widerstand mit der einzigartigen Praxis der kurdischen Bewegung trägt. Dieser Kampf kennt keine geographischen Grenzen und ist heute ein international bedeutsamer Kampf für alle fortschrittlichen, demokratischen, antifaschistischen und antikapitalistischen Kräfte weltweit.

Besonders in Europa gilt es daher, sich den zwänglichen Gegebenheiten und Einflüssen des herrschenden Systems nicht zu beugen und vor allem nicht wegzusehen, während Kurd*innen in allen Teilen Kurdistans einer von Deutschland mitfinanzierten und unterstützten Vernichtungspolitik ausgesetzt sind und sich mit eigenen Mitteln verteidigen und befreien. Hier gilt es, Solidarität zur täglichen Praxis an jedem Ort zu machen, gemeinsame Perspektiven und Alternativen zu schaffen, linke Bündnisse zu vernetzen und uns mit dem Geist der Freiheit auszurüsten. Auch in Deutschland, wo eine massiv von der Türkei gesteuerte Kriminalisierungs- und Verbotspolitik gegenüber Kurd*innen betrieben wird.

Es gilt besonders deshalb, den Geist des 14. Juli würdevoll am Leben zu erhalten und an dem gegenwärtigen Widerstand teilzuhaben. Nur ein organisierter Widerstand kann zum lang ersehnten Sieg über den Faschismus, Kapitalismus, Kolonialismus und die Zerstörung von Mensch und Natur führen.

Von jedem Ort dieser Welt lassen wir unsere Herzen mit dem Takt der Revolution vereinen und schicken besondere Grüße an all unsere Widerstand leistenden Genossinnen und Genossen hinter türkischen Gefängnisgittern!

Widerstand heißt Leben - Berxwedan Jiyan e!“