Von türkischen Ultranationalisten angegriffene Kurden angeklagt

Der ehemalige HDP-Abgeordnete Lezgin Botan und ein 74-jähriger Kurde sind in Krefeld wegen Körperverletzung angeklagt worden. Tatsächlich wurden sie selbst von türkischen Ultranationalisten angegriffen, teilten Krefelder Organisationen mit.

Justizskandal in Krefeld

Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat Ende Juni Anklage gegen zwei Teilnehmer einer Friedenskundgebung auf dem Krefelder Neumarkt am 21. April 2022 anlässlich völkerrechtswidriger Angriffe des türkischen Militärs auf Gebiete im Irak und Syrien erhoben. Bei den Angeklagten handelt es sich um den ehemaligen HDP-Abgeordneten Lezgin Botan, der aufgrund der Repression des Erdogan-Regimes im Exil lebt, sowie den 74-jährigen kurdischen Flüchtling H.P.. Vorgeworfen wird ihnen gemeinschaftliche Körperverletzung. Tatsächlich seien die beiden Männer jedoch selbst angegriffen worden, teilten Krefelder Organisationen in einer gemeinsamen Presseerklärung mit. Der Vorgang sei ein Justizskandal, die strafrechtliche Verfolgung richte sich gegen Opfer faschistischer Gewalt.

Das Bündnis „Krefeld für Toleranz und Demokratie“, die „Seebrücke Krefeld“, die „VVN-BdA Krefeld“ und „Die Linke Krefeld“ erklärten ihre Solidarität mit Angeklagten und forderten die Staatsanwaltschaft auf, die Strafverfahren gegen Lezgin Botan und H.P. einzustellen. Das Amtsgericht Krefeld wurde aufgefordert, die Anklagen gegen die beiden kurdischen Aktivisten nicht zuzulassen.

Angriff türkischer Ultranationalisten auf Friedenskundgebung

Zum Ablauf der Geschehnisse im April 2022 teilten die Organisationen mit: „Es handelte sich um Attacken aus dem Umfeld der ultranationalistischen Anhängerschaft des türkischen Präsidenten Erdogan und der faschistischen türkischen ,Grauen Wölfe' - einer bewaffneten Miliz der Regierungspartei MHP - auf die nun angeklagten kurdischen Teilnehmer. Die mehrmals wiederholten Angriffe wurden abgewehrt. Teilnehmer:innen der Friedenskundgebung wurden dabei verletzt. Danach rotteten sich ca. 30 Männer aus der Anhängerschaft der ,Grauen Wölfe' und der türkischen Regierungspartei AKP in der Nähe der Kundgebung zusammen. Sie versuchten die Kundgebung zu stören, mehrere starteten einen weiteren Angriffsversuch. Dies wurde von der inzwischen anwesenden Polizei vereitelt. Direkt nach dem Vorfall wurden aus dem Umfeld der AKP/MHP in den sozialen Medien massive persönliche Drohungen gegen Teilnehmende an der Kundgebung ausgesprochen. Dies erfolgte durch den AKP-Abgeordneten Salih Cora und Menschen aus dem Umfeld der AKP, der ,Grauen Wölfe' und der ,Vatanseverler', einer weiteren ultranationalistischen türkischen Organisation. Gegen die Angreifer wurde damals sofort durch den Anmelder der Kundgebung und einige Kundgebungsteilnehmer Anzeige erstattet. Auch diese wurden in den sozialen Medien beleidigt und bedroht, teils mit Todesdrohungen.“

Verfahren gegen Angreifer eingestellt

Die Staatsanwaltschaft Krefeld habe die Strafverfahren gegen die Angreifer im Januar 2023 wegen nicht ausreichender Beweise eingestellt. Gegen die Einstellung des Verfahrens wurde seitens der Rechtsanwaltskanzlei Meister und Partner Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf eingelegt. Diese führte zur Wiederaufnahme des Verfahrens, weil die Staatsanwaltschaft Krefeld weder die Anzeigeerstattenden noch deren Zeug:innen angehört hatte. Rechtsanwalt Meister hatte unter Vorlage von Belegen die Generalstaatsanwaltschaft auf den politischen Hintergrund der Angriffe und auf die Drohungen aus dem Umfeld der Angreifer hingewiesen. Das Ergebnis der Wiederaufnahme war jedoch, dass die Verfahren gegen die Angreifer erneut eingestellt wurden und die Staatsanwaltschaft Krefeld Anklage gegen die überfallenen kurdischen Aktivisten erhob.

Die Angreifer schlugen schnell und gezielt zu“

Der damalige Anmelder der Friedenskundgebung kritisiert dies: „Warum hat die Staatsanwaltschaft keinerlei Zeuginnen und Zeugen des Überfalls auf Seite der Überfallenen vorgeladen, bevor sie das Verfahren gegen die Angreifer einstellte? Weshalb übernimmt die Staatsanwaltschaft Krefeld in ihrer Strafverfolgung anscheinend die Version der beiden gewalttätigen Kundgebungsteilnehmer? Ich hatte die attackierte Kundgebung angemeldet und die gewalttätigen Angriffe auf eine kurdische Teilnehmerin an der Kundgebung, auf den kurdischen HDP-Politiker und einen Rentner mit Gehbehinderung miterlebt. Die stämmigen Angreifer schlugen schnell und gezielt zu, sie wirkten Kampfsport-erfahren. Damals rief ich umgehend die Polizei zur Hilfe. Die nun Angeklagten wurden durch die Angreifer verletzt und haben sich gegen diese lediglich verteidigt. Die Linke Krefeld hat sofort nach den Übergriffen eine Presseerklärung herausgegeben, den Ablauf der Angriffe dargestellt und dabei auch den politischen Hintergrund der Angreifer erläutert. Die Staatsanwaltschaft Krefeld war also informiert. Welche Motivation hat die Staatsanwaltschaft, die antidemokratischen Angreifer auf eine angemeldete und friedliche Kundgebung NICHT zu verfolgen, deren Opfer aber sehr wohl?“ fragt Stephan Hagemes, Mitglied der Linken Ratsgruppe Krefeld. „Für Die Linke Krefeld ist dies ein Justizskandal!“

Unterdrückung kurdischer Opposition in Deutschland“

An der damaligen Friedenskundgebung hatte sich auch die Seebrücke Krefeld beteiligt und die Zusammenrottung der rechten Störer miterlebt. „Diese Gruppe wirkte sehr aggressiv und feindselig. Die Männer riefen drohend Parolen, einige versuchten, gegen unsere Kundgebung vorzugehen. Zu diesem Zeitpunkt war zum Glück die Polizei erschienen und beschützte uns“, erinnert sich Martina Kuschel von der Seebrücke.

Das Bündnis „Krefeld für Toleranz und Demokratie“ ist besorgt: „Ein politisch motivierter Überfall auf eine durch das Versammlungsgesetz geschützte Veranstaltung wird nicht angeklagt. Die Angreifer gehören zum türkischen extrem nationalistischen bis faschistischen Lager und handeln anscheinend organisiert. Das Ziel dieses Lagers ist die Unterdrückung jeder kurdischen Opposition gegen den autoritären türkischen Präsidenten Erdogan auch in der Bundesrepublik Deutschland. Seine Mittel sind Drohungen, Einschüchterungen und brutale Gewalt. Der Umgang der Staatsanwaltschaft Krefeld mit den Angriffen auf eine angemeldete Kundgebung besorgt uns, die Strafverfolgung der Opfer extrem rechter Täter ist empörend!“ kritisiert Esther Wissen, Sprecherin des Bündnis. „Wenn die Justiz diese politische Gewalt nicht verfolgt, werden die Täter noch ermutigt. Wie viel Einfluss sollen faschistische und nationalistische Organisationen aus der Türkei hier noch bekommen, um auch in der Bundesrepublik Deutschland Menschen ihre Menschenrechte zu nehmen, sie zu unterdrücken und zu terrorisieren? Warum werden ihnen keine Grenzen gesetzt?“ fragt Esther Wissen.

Reicht Erdogans Arm bis nach Krefeld?

Ratsherr Stephan Hagemes vermutet politische Hintergründe: „Wir können vor dem Hintergrund der deutschen Kooperation mit dem Erdogan-Regime leider nicht ausschließen, dass es eine politische Motivation zur Toleranz der Taten seiner Unterstützer und zur Verfolgung kurdischer Oppositioneller bei der Staatsanwaltschaft in Krefeld und in Düsseldorf gibt. Passend dazu gibt es immer noch kein Verbotsverfahren gegen die faschistischen ,Grauen Wölfe' in der Bundesrepublik. Reicht Erdogans Arm auch bis nach Krefeld?“