„Völkermord an Eziden wird im Geiste des IS fortgesetzt“

Ezidische Organisationen sind besorgt angesichts der kritischen Situation in Şengal und warnen vor Massakern und Massenexodus. Internationale Institutionen seien nun gefordert, Druck auf beide Seiten des als illegitim angesehenen Abkommens auszuüben.

Ezidische Organisationen in Deutschland sind besorgt angesichts der kritischen Situation in der Şengal-Region und warnen vor Massakern und einem Massenexodus. Einflussreiche Länder sowie einschlägige internationale Institutionen seien nun gefordert, Druck auf beide Seiten des als illegitim angesehenen Abkommens zur Zukunft des ezidischen Gebiets auszuüben, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme:

Am 9. Oktober hat die irakische Regierung öffentlich verkündet, dass sie ein Abkommen mit der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) bezüglich Şengal (Sindschar), des Hauptsiedlungsgebiets der Eziden, abgeschlossen hat. Das Abkommen inkludiert Aspekte, wonach der Schutz und die Freiheit der Eziden abermals ausgeblendet worden sind, als wenn der Völkermord vor sechs Jahren nicht passiert wäre. Beim Zustandekommen der Vereinbarung sind weder die ezidische Gemeinschaft und noch deren organisierte Vertreter konsultiert worden.

Nun wird der Plan umgesetzt, indem 6000 Soldaten der Spezialeinheiten in Şengal stationiert werden, mit dem Vorwand, sie würden die Grenzen schützen. Der IS legitimierte seinen Einmarsch in Şengal mit den Gesetzen der Scharia, Bagdad und Hewlêr (Erbil) rechtfertigen ihre Intervention mit Gesetzen des Staates.

Den örtlichen Informationsquellen zufolge, die inzwischen verifiziert worden sind, gehören zu den entsandten Kräften die PDK-Soldaten, welche die Eziden beim Völkermord bewusst im Stich gelassen haben, und sogar noch einige IS-Sympathisanten aus der Region Mosul.

Es drohen wieder Massaker und Massenexodus, was einer gänzlichen Entwurzelung der Eziden gleichkommt. Es wurde bereits damit begonnen, die ezidischen Kämpfer wegen Mord und Tod zu inhaftieren, die bei der Befreiung Şengals gegen den IS gekämpft haben. Das ist für alle Eziden weltweit ein Schlag ins Gesicht und für deren Zukunft eine vernichtende Aktion.

Die Eziden sind wieder, wie immer in der Geschichte, verlassen, verraten und ausgeschlossen worden. Ein Volk wie das der Eziden, das kürzlich einen tragischen Völkermord mit weitreichenden und nachhaltigen Folgen erleben musste, verdient nicht eine derartige Arroganz, sondern viel mehr Respekt, Gerechtigkeit und Würdigung seiner Tapferkeit im Kampf gegen die Barbarei des IS.

Bei dem Entscheidungsfindungsprozess sind Vertreterinnen und Vertreter der Eziden komplett ausgeschlossen und vollkommen vor vollendete Tatsachen gestellt worden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass dieses Abkommen ein Geschenk für den autoritären Despoten Erdoğan ist, zumal der Prozess der Vereinbarung vollkommen auf seinen Druck hin angestoßen und zustande gekommen ist.

Wir sind zutiefst besorgt, dass hieraus erhebliche Gefahren für unsere Glaubensgemeinschaft in Şengal entstehen werden. Die vereinbarten Punkte im Abkommen sehen die gänzliche Entmachtung der Eziden und eine erneuerte Okkupation des ezidischen Siedlungsgebiets Şengal durch externe Kräfte, die offensichtlich für den Völkermord vom 2014 mitverantwortlich sind.  Bei den Entscheidungen über die Eziden müssen der Wille und das Interesse der Eziden bestimmend sein!

Diese falsche Strategie kann und wird nur den Prozess der Auswanderung und den damit einhergehenden Untergang der Eziden aus der ganzen Region forcieren. Das darf nicht die Konsequenz aus dem tragischen Völkermord sein.

Alle Entscheidungen und Vereinbarungen sind für uns illegitim und nichtig, wenn diese von den Kräften getroffen worden sind, welche durch ihre Mitwirkung zum Völkermord an unserer Gemeinschaft die Legitimation zur Mitsprache vollkommen verloren haben. Folglich lehnen wir das vereinbarte Abkommen und dessen Umsetzung kategorisch ab und schließen uns folgenden Forderungen an, welche im Geiste der friedlichen Koexistenz aller Kulturen, Religionen und ethnischen Entitäten in der gesamten Region konzipiert sind:

1. Alle einflussreichen Länder, die internationalen Institutionen und die demokratischen Kräfte sind gefordert, den Druck auf die beiden Seiten des Abkommens zu verstärken, damit diese mit ihrer Diskriminierungspolitik gegenüber den Eziden aufhören

2. Bei dem eingeleiteten Entscheidungsfindungsprozess ist die ezidische Seite aus der Region Şengal als dritter und entscheidender Akteur mit Vetorecht anzuerkennen und mit einzubeziehen

3. Bei dem Sicherheitsmechanismus müssen alle Kräfte, die sich seit dem Völkermord zur Befreiung und zum Schutz ihrer Region gegen IS militärisch organisiert haben, ausnahmslos integriert werden.

4. Ein Status für die Eziden im Rahmen der irakischen Verfassung muss als Lehre und Resultat aus dem Völkermord, anerkannt werden

• Zentralverband der Ezidischen Vereine e.V. (NAV-YÊK)

• Dachverband des Ezidischen Frauenrats e.V. (SMJE)

• Exil-Rat Sinjar e.V. (MŞD)

• Vereinigung der Ezidischen Jugend e.V. (HCE)

• Allianz der Eziden aus Syrien e.V. (YES)

• Bündnis der Êzîdischen Jugend (HCÊ)

• Koordination der ezidischen Dorfgemeinden aus der Türkei (KMGE)