Im Rahmen einer Städtepartnerschaftsentwicklung lud die „Initiative Partnerschaft der Regionen Rojava/Kobanê und Herford“ am Wochenende erneut Interessierte zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung in den Historischen Sitzungssaal des Kreishauses Herford ein.
Die Veranstaltungsreihe der Partnerschaftsinitiative findet seit nunmehr drei Jahren mit dem Ziel der Errichtung einer Städtepartnerschaft zwischen dem Kreis Herford und Rojava statt. Die Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative, die sich aus verschiedenen Gruppen wie der „Initiative für Frieden und Hoffnung in Kurdistan e.V.“ (IFHK), dem DGB KV Herford, Attac Herford und vielen weiteren zusammensetzt, haben im Juli 2019 mit der Annahme ihres im Kreistag eingereichten Antrages für eine Partnerschaft eine wichtige Hürde genommen und den Weg dazu geebnet.
Nun gilt es für die Initiative, mögliche Bereiche für eine Zusammenarbeit zwischen den Regionen zu erarbeiten. Hierzu hatten die Initiatoren Prof. Dr. Gerhard Trabert, erster Vorsitzender des Vereins „Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.“, als Referenten eingeladen.
Prof. Trabert reist seit langen Jahren in regelmäßigen Abständen als Arzt in Krisen- und Kriegsgebiete und hilft dort bei der Versorgung der Opfer und Leidenden. In den letzten Jahren ist der Arzt mehrfach in die Grenzregionen Türkei/Syrien, Rojava und Nordsyrien gereist. Über diese Einsätze berichtete er nun auf der Herforder Informationsveranstaltung.
Der Mainzer Arzt Dr. Gerhard Trabert
Nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein
Prof. Trabert beginnt zunächst mit seiner Kritik an der deutschen Regierung und den Regierungen anderer westlicher Länder über ihr Schweigen zur völkerrechtswidrigen Besetzung Efrîns durch das türkische Militär. Er erklärt, dass für ihn diese Haltung nicht nachvollziehbar ist, da die YPG/YPJ mit dem Kampf gegen den IS auch den Westen vor diesem Terror beschützt haben.
Bevor er auf die Gesundheitsversorgung in der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien eingeht, erklärt er den Zuhörer*innen mit kurzen Worten das dortige basisdemokratische Gesellschaftsmodell, ein Modell der Gleichheit aller Völker, Religionen, Geschlechter auf allen Ebenen der Selbstverwaltung. Er sei erstaunt darüber gewesen, wie motiviert und bestrebt die Menschen trotz des Embargos und fehlender Materialien ihre zerstörten Städte wieder aufbauen. Im Krieg waren nahezu alle Städte zerstört worden.
Gerade das Gesundheitswesen ist wichtig für die Versorgung der Menschen. Prof. Trabert erklärt, wie die medizinischen Kräfte vor Ort versuchen, mit den wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln so vielen kranken Menschen wie möglich gerecht zu werden. Er betont, dass es in den Gesundheitszentren und den wieder aufgebauten Krankenhäusern vor Ort an vielem fehlt, insbesondere Medikamente und technische Geräte. So werden beispielsweise Patienten, die eine Dialyse benötigen, nur zwei statt der lebensnotwendigen fünf Stunden dialysiert, damit so viele Kranke wie möglich diese Behandlung bekommen. Es fehlen die nötigen Dialysegeräte, sagt Trabert. Sein Verein hilft in diesem Bereich, so gut er kann, aber die Hilfe sei nicht einmal „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Der Verein hilft in der Region auch im Bereich „Hilfe zur Selbsthilfe“, indem Multiplikator*innen in den benötigten Schwerpunkten geschult werden.
Ein Arzt aus Kobanê
Dr. Basrawi Ali, ein Arzt aus Kobanê, lebt derzeit in Deutschland und reist regelmäßig mit medizinischem Material nach Rojava, wo er zudem Patienten operiert. Er berichtet über Operationen unter schwierigsten Bedingungen, da viele benötigte Medikamente und Instrumente fehlen. Dabei sind die Helferinnen und Helfer selbst nicht sicher vor Artilleriebeschuss. Bei einem Luft- und Artillerieangriff kam bei einem Einsatz ein Fahrer ums Leben, 15 weitere wurden verletzt. Trotz alledem hält Dr. Ali daran fest, weiterhin Hilfskonvois nach Nordsyrien zu bringen.
Dringender Bedarf in der Trauma-Behandlung
Besonderes Augenmerk legt Gerhard Trabert vor allem auf dringendst benötigte psychologische Behandlung für die Bevölkerung. Viele Menschen sind traumatisiert und für die Behandlung werden händeringend Psychologen benötigt, die für die notwendigen Therapien geschult werden müssen.
Auch die Früh- und Fehlgeburtenrate hat sich in den letzten Jahren rapide erhöht. Ärzte vor Ort weisen laut Trabert darauf hin, dass allein die Drohung des Erdoğan-Regimes eines Einmarsches in Rojava Ängste geschürt hat und zu dieser gestiegenen Todesrate führt.
Insbesondere die Traumata von Kindern sind erschreckend, erklärt Trabert und betont, wie wichtig eine Trauma-Behandlung für diese ist. Um den Bedarf an Therapeuten wenigstens ein wenig decken zu können, werden auch in diesem Bereich Betreuer, Pädagogen und medizinische Kräfte im Umgang mit traumatisierten Kindern geschult.
Thomas Lutz, Sozialpädagoge am Hanauer Zentrum für Traumapädagogik informiert im Anschluss die Zuhörenden über die Arbeit des Zentrums in Rojava. Das Zentrum schickt in unregelmäßigen Abständen Pädagogen nach Rojava, wo Schulungen über Traumapädagogik abgehalten werden. Er betont, dass es von enormer Wichtigkeit ist, so viele Multiplikator*innen wie möglich zu schulen, damit mehr Menschen von einer Behandlung profitieren. Derzeit hat das Zentrum drei von vier Schulungsmodulen in Rojava durchgeführt. Das abschließende Modul konnte noch nicht durchgeführt werden, da die Mitarbeiter des Zentrums bisher keine Genehmigung zum Grenzübergang bekommen haben.
PDK-Regierung verweigert den Grenzübergang
Weiterer dringender Bedarf besteht nach Worten Prof. Traberts in der Prothetik. Es fehlen Prothesen für Kriegsversehrte und Menschen, die auch jetzt noch durch verscharrte Minen der Dschihadisten in Gebäuden und auf Feldern schwer verletzt werden.
Trabert kritisiert an dieser Stelle, dass der WHO mit Assad kooperiert. Hilfen werden an das Assad-Regime gesandt, das diese aber meist zurückhält und den Weitertransport in die Region verhindert. Die Hilfen werden auch durch die Türkei und die PDK-Regierung in Südkurdistan verhindert. Der Professor erklärt, dass insbesondere in der letzten Zeit im Gegensatz zu früheren Jahren die Regierung in Südkurdistan den Grenzübergang nicht genehmigt und somit die dort dringend benötigte Unterstützung verhindert.
Perspektiven für die „Initiative Partnerschaft der Regionen Rojava/Kobanê und Herford“
Die Initiatoren der Veranstaltung fassen im Anschluss an die Berichte der Referenten Prof. Trabert und Thomas Lutz vom „Zentrum für Traumapädagogik“ zusammen, dass Rojava umfangreiche Hilfen benötigt. An diesem Punkt soll angeknüpft werden mit dem Ziel, das Partnerschaftsprojekt zwischen Rojava und dem Kreis Herford auszubauen. Eine Möglichkeit bestünde beispielsweise darin, mit den hiesigen regionalen Krankenhäusern Gespräche zu führen, inwieweit eine Mitarbeit oder Hilfe möglich ist. Denn der Rahmen für eine zukünftige Städtepartnerschaft ist vorbereitet und sollte nun mit Inhalten gefüllt werden.
Weitere Informationsveranstaltungen der „Initiative Partnerschaft der Regionen Rojava/Kobanê und Herford“ werden folgen.