Nacht-und-Nebel-Aktion gegen Straßenhunde
Trotz heftiger Proteste hat das türkische Parlament eine Gesetzesänderung beschlossen, mit der die Tötung von Straßenhunden in bestimmten Fällen ermöglicht wird. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion stimmten die Abgeordneten aus dem Regierungslager am Dienstagfrüh in Ankara mit 275 zu 224 für die Änderung des Tierschutzgesetzes. Demnach werden die Kommunen des Landes dazu verpflichtet, Straßenhunde einzufangen und in Tierheimen unterzubringen. Sie sollen – so steht es zumindest auf dem Papier – nach Möglichkeit an Besitzer:innen vermittelt werden. Hunde, die als krank oder aggressiv eingestuft oder eine „Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier“ darstellen, können eingeschläfert werden. Die Entscheidung darüber sollen Veterinär:innen treffen.
Glaubt man den Angaben der Regierung, gibt es in der Türkei schätzungsweise rund vier Millionen Straßenhunde, aber nur rund 100.000 Tierheimplätze. Bis Ende 2028, so sieht es die Änderung des „Tierschutzgesetzes“ ebenfalls vor, sollen die Kommunen dafür sorgen, dass genug Tierheime geschaffen werden. Wird dies versäumt, drohen Haftstrafen von bis zu zwei Jahren.
Tierrechtsorganisationen prangern „Massaker-Gesetz“ an
Tierrechtsorganisationen und andere Verbände aus der Zivilgesellschaft, darunter Fraueninitiativen wie die Plattform „Wir werden Femizid stoppen“ und politische Gruppen aus dem linken und sozialistischen Lager sprechen von einem „Massaker-Gesetz“. Sie befürchten ein massenhaftes Tiersterben unvorstellbaren Ausmaßes wegen der unzureichenden Tierheim-Infrastruktur in der Türkei und den teils katastrophalen Zuständen in den Einrichtungen. Seit über zwei Monaten protestieren sie in zahlreichen Städten täglich gegen das Vorhaben – das vorsieht, dass die Hunde schon jetzt eingesammelt werden sollen.
Anwesenheitsquote bei Abstimmung ungewöhnlich hoch
Die türkische Regierung verteidigt die neue Regelung unter anderem mit einer Zunahme von Angriffen durch Straßenhunde sowie Fällen von Tollwut bei den herrenlosen Tieren. Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hatte gesagt, es gehe um die „Sicherheit des Volkes“. Seine islamistisch-konservative Partei AKP und deren Verbündete, darunter die rechtsextreme MHP, haben im Parlament die Mehrheit. Ihren „Erfolg“ am letzten Tag vor der Sommerpause der Nationalversammlung sollen die Abgeordneten nach der Abstimmung mit Baklava gefeiert haben, entsprechende Videos kursieren auf Online-Plattformen. Die kurdische Nachrichtenagentur Mezopotamya berichtete, dass das Parlament seit Jahren erstmals wieder so eine hohe Anwesenheitsquote erlebt habe.
CHP und DEM wollen Regelung nicht umsetzen
Bislang war das Töten von Straßentieren in der Türkei verboten – dennoch wurden immer mal wieder Massentötungen von Hunden bekannt, vor allem in Städten, die von Parteien aus dem Regierungsblock geführt werden. Das frühere Tierschutzgesetz sah zudem vor, die Population von streunenden Tieren durch Kastration, Impfung und wieder Aussetzung in das Herkunftsgebiet zu senken. Die Oppositionsparteien CHP und DEM wollen an dieser Regelung festhalten und sie konsequent umsetzen. Nach der Abstimmung im Parlament hieß es aus den Reihen beider Fraktionen: „Der 30. Juli wird als schwarzer Tag in die Geschichte eingehen – und weder die Geschichte selbst noch die Menschheit wird jenen, die mit ‚Ja‘ stimmten, verzeihen.“ Die DEM prangerte die Gesetzesänderung als „abscheuliches Verbrechen, als Schande der Menschheit“ an. Die Tierheime in der Türkei seien „Zentren des Todes“, in denen Millionen Lebewesen auf grausame Weise verenden würden. „Ihr habt euren Kindern ein blutiges Erbe hinterlassen.“ Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel kündigte zudem an, vor das Verfassungsgericht zu ziehen.