In Dergatschi in der russischen Region Saratow hat eine Gruppe von 300 bis 400 Kasachen und Aserbaidschanern Kurden angegriffen. Der Vorfall ereignete sich bereits am 24. Oktober in einem Dorf rund fünfzig Kilometer entfernt von der Grenze nach Kasachstan. Nach Angaben örtlicher Quellen handelte es sich um einen geplanten Angriff, das Dorf wird seitdem polizeilich geschützt.
In Dergatschi und Saratow sollen sich Kasachen und Aserbaidschaner für weitere Angriffe organisieren. Kurden aus der Region haben entsprechende Drohbotschaften erhalten. Der in Russland lebende kurdische Politiker Ferman Garzan ist davon überzeugt, dass die Türkei hinter dieser neuen Form der Aggression steht. „Die Türkei hat im Kaukasus und in Russland Moscheen bauen lassen, über die sie die dort lebenden Kurden kontrollieren will. Unter den Kurden soll die Organisierung des IS gefördert werden. Gegen diesen Plan haben kurdische Organisationen in Russland interveniert, er ist geplatzt. Jetzt will der türkische Staat von dem Krieg in Arzach [Bergkarabach] profitieren und die von ihm organisierten Kräfte gegen die Kurden aufhetzen. Inzwischen sind auch die in Russland lebenden Kurden im Visier der Türkei“, so Ferman Garzan.
Die in Dergatschi angegriffenen Kurden haben sich verteidigt, die Polizei griff erst am Abend ein. Die Auseinandersetzungen liefen den ganzen Tag lang. Zehn Kurden wurden verletzt, einer davon schwer. Bei der Selbstverteidigung der Kurden wurden auch sieben Angreifer verletzt. Die Anspannungen dauerten auch am nächsten Tag weiter an. In Dergatschi leben überwiegend Kasachen, für den kurdischen Bevölkerungsteil ist die Lage bedrohlich.
Lokale Quellen geben an, dass die Polizei die Augen verschlossen hat und es sich um einen geplanten Angriff gehandelt hat: „Am frühen Vormittag kam es zu einem Streit zwischen mehreren jungen Kasachen und einem Kurden. Wir stellten fest, dass damit eine Angriffsgrund hergestellt werden sollte. Es ist auch in Kasachstan schon öfter zu Angriffen auf Kurden gekommen. Zuletzt hat es vor zwei Monaten ein großen Angriff gegeben.
Deshalb haben wir sofort unsere Häuser und das Dorf verlassen. Später kam die russische Polizei, die meisten Polizisten sind jedoch Angehörige des kasachischen Volks. Sie sagten uns, dass nichts vorgefallen sei und wir in unsere Häuser zurückgehen sollten. Das taten wir, es war bereits nach 22 Uhr. Ein große Gruppe von 300 oder 400 Personen griff das Dorf mit Eisenstangen in den Händen an. Sie schrien: ,Kasachen, Aserbaidschaner und Türken sind eins! Wir werden die Kurden und die Armenier vernichten!'. Die Polizei ließ die Angreifer durch. Sie drangen ins Dorf ein. Wir haben uns verteidigt. Die Polizei griff nicht ein.“
Die Polizei schritt erst am späten Abend ein, als in der Umgebung lebende Kurden im Dorf eintrafen, um die Anwohner zu unterstützen.
Islamisierungsprojekt der Türkei
Laut Ferman Garzan hat die Türkei lange Zeit das Projekt verfolgt, den Einfluss des IS unter der kurdischen Bevölkerung in Russland zu stärken. Kurdische Organisationen steuerten dagegen und konnten diesen Plan verhindert. Jetzt nutze die Türkei die nationalistisch-islamistisch aufgeheizte Atmosphäre im Zuge des Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien aus, um kasachische, tatarische und aserbaidschanische Anhänger gegen die Kurden aufzuhetzen.
„Die Türkei benutzt die Religion seit langer Zeit, um die Kontrolle über gesellschaftliche Gruppen und besonders die Kurden zu gewinnen. In Saratow und Adige, beides Gebiete mit einem hohen kurdischen Bevölkerungsanteil, hat die Türkei Moscheen gebaut, um die religiösen Gefühle der Bevölkerung für die Organisierung des IS zu benutzen. Als kurdische Einrichtungen haben wir das bemerkt und eingegriffen. Wir haben recherchiert und wie sich herausstellte, steckte die Türkei dahinter. Daraufhin haben wir als kurdischer Rat in Russland und als kurdische Institutionen Versammlungen mit der Bevölkerung gemacht und den Menschen die Augen dafür geöffnet, was hier gespielt wird. Dadurch ist dieses Projekt geplatzt.
Ein weiterer Einflussversuch auf die Kurden in Kasachstan und Kirgisien erfolgte über PDK-nahe Kreise und die Medien der südkurdischen Barzanî-Partei. Auch dabei wurde versucht, das Vorhaben auf russisches Gebiet auszuweiten. Das war erfolglos. Weil diese Projekte nicht gefruchtet haben, werden jetzt vom MIT organisierte Gruppen gegen die Kurden gehetzt.“
Kurden im Kaukasus und in Russland im Visier der Türkei
Nach Einschätzung von Ferman Garzan sind die in Russland lebenden Kurdinnen und Kurden ernsthaft durch den aufgeheizten Rassismus der von der Türkei organisierten Kontra-Netzwerke bedroht. „Kasachische, aiserbaidschanische und tartarischen Bevölkerungsanteile gibt es überall. Die Türkei hetzt sie gegen die Kurden auf. Sie hat die Menschen in allen vier Teilen Kurdistans angegriffen, jetzt hat sie auch die Kurden im Kaukasus und in Russland im Visier. Aus diesem Grund hat die Türkei auch vor Beginn des Kriegs in Arzach die Behauptung propagiert, dass Kampfeinheiten der PKK und YPG dorthin gegangen sind, um an der Seite der Armenier zu kämpfen. Die kirgisischen, aserbaidschanischen, kasachischen und anderen Bevölkerungsgruppen hier werden rassistisch aufgehetzt. Ihnen werden die Kurden als Angriffsziel gezeigt. Die in russischen Städten und Dörfern lebenden Kurden sind in Lebensgefahr. Die von der Türkei organisierten Gruppen können jederzeit einen Angriffsgrund erfinden und sich auf eine rassistisch aufgeheizte Masse stützen.“
„Der russische Staat ist informiert“
Der kurdische Politiker Ferman Garzan weist darauf hin, dass der russische Staat von der türkischen Förderung des IS über Moscheen im Kaukasus und in Russland sowie über die antikurdischen Projekte in Kenntnis gesetzt worden ist. „Russland muss seine kurdischen Staatsangehörigen schützen. Kurden sind eine Minderheit in Russland und leben weit verstreut. Daher muss der Staat eingreifen. Wir warnen die Vertreter des Staates Russland: Die Kurden sind in Städten und Dörfern in Russland in Lebensgefahr. Die Kurden müssen zur Selbstverteidigung greifen. Wir haben dem Staat die Dimension der Bedrohung übermittelt. Uns wurde gesagt, dass wir nicht übertreiben sollen. Es sieht jedoch nicht so aus, als ob die Aggression sich auf einen Ort beschränken wird. Es gibt überall ein ernstes Gefahrenpotential. Wir bemühen uns um staatlichen Schutz und setzen uns gleichzeitig damit auseinander, wie wir unsere Selbstverteidigung stärken können.“