In der Türkei ist ein syrischer Flüchtling von der Polizei erschossen worden. Der 19-jährige Ali al-Hamdan (laut verschiedenen Medienberichten möglicherweise erst 17 Jahre) kehrte am Montag im Landkreis Seyhan (Provinz Adana) offenbar gerade von seiner Mittagspause an seinen Arbeitsplatz in einem Textilatelier im Stadtteil Sucuzade zurück, als er Anwohnern zufolge eine Polizeikontrolle erblickte und daraufhin flüchtete. Die tödliche Kugel traf den Schutzsuchenden in den Rücken und blieb im Herz stecken.
Die Polizeibeamten sollen vor Ort kontrolliert haben, ob die Ausgangssperre eingehalten wird. In der Türkei gelten im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus Ausgangssperren für unter 20-Jährige und chronisch Kranke über 65. Junge Arbeitnehmer und Saisonarbeiter in der Landwirtschaft sind offiziell von den Einschränkungen ausgenommen. Ali al-Hamdan arbeitete nebenbei in einer Näherei, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Ob er auch am Montag arbeiten ging, ist allerdings unklar. Zu den Gründen seines Aufenthalts im Stadtteil Sucuzade gibt es widersprüchliche Berichte.
Gegenüber der Zeitung Evrensel äußerten Angehörige des getöteten Flüchtlings: „Er hatte wohl Angst, eine Strafe zu bekommen, deshalb lief er weg.“ Regierungsnahe Agenturen hatten gestern zunächst gemeldet, dass in Adana einem Jugendlichen „versehentlich“ ins Bein geschossen worden sei, als Polizisten Warnschüsse abgaben. Erst als Videoaufnahmen am Abend in den sozialen Netzwerken auftauchten, änderte sich der Ton im türkischen Medienklima. Auf den Aufnahmen eines Anwohners, der Rettungskräfte bei Wiederbelebungsmaßnahmen mit seinem Handy filmte, ist im Hintergrund eine weibliche Stimme zu vernehmen, die sagt: „Der Polizist lief hinter dem Jungen her. Weil er nicht stehenblieb, hat er geschossen - ins Herz.“
Inzwischen meldete sich auch Mahmut Demirtaş, der Gouverneur von Adana, zu Wort und teilte mit, dass der Polizist, der Ali al-Hamdan erschossen hat, vorläufig suspendiert wurde. Demirtaş sprach zynisch von einem „tragischen Unfall“. Ali al-Hamdan wurde unterdessen in Adana beigesetzt.