In Libyen tobt ein brutaler Stellvertreterkrieg auf Kosten der Bevölkerung. Die islamische Einheitsregierung (GNA) wird von der Türkei und ihren salafistischen Söldnertruppen aus Syrien unterstützt, Russland rekrutiert bei arabischen Stämmen in der Umgebung von Dara und schickt ehemalige Kämpfer der sogenannten FSA, die sich dem Regime ergeben haben, ebenfalls nach Libyen.
Nach vorliegenden Informationen werden diese Personen von Russland an der Luftwaffenbasis Hmeimim in Syrien zusammengebracht, wo sie etwa eine Woche ausgebildet werden. Im Anschluss werden sie zur Unterstützung von General Haftars Libyscher Nationalarmee (LNA) in den Kampf gegen die GNA nach Libyen geschickt. Die meisten Söldner werden jedoch von der Türkei aus Syrien abgezogen und nach Libyen verlegt. Die türkische Regierung will so ihre Position in Nordafrika stärken und Ägypten durch die Muslimbruderschaft unter Druck setzen.
13.000 Dschihadisten von der Türkei nach Libyen geschickt
Nach Angaben der FSA-nahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) mit Sitz in London wurden mit Stand vom Juni 2020 über 13.000 Milizionäre aus Syrien nach Libyen geschickt. 417 Syrer seien mittlerweile ums Leben gekommen, 30 von ihnen sollen minderjährig gewesen sein. Dem Bericht zufolge hat die Türkei etwa 300 „Kindersoldaten“ aus Syrien nach Libyen geschickt. Dies stellt laut SOHR ein Kriegsverbrechen dar. Yûnis Behram vom Kurdisch-Deutschen Forum hat sich gegenüber ANF zu den syrischen Söldnern in Libyen geäußert. Behram berichtet, dass die Türkei diese Truppen insbesondere in den besetzten Gebieten in Syrien sammelt und sie über Dîlok (türk. Antep) mit Flugzeugen nach Libyen bringt.
Yûnis Behram
„Söldnertum ist zur Einkommensquelle geworden“
Der massive Zustrom von Söldnern aus Syrien nach Libyen hat nicht nur mit Zwangsrekrutierungen zu tun. Behram stellt einen direkten Zusammenhang mit den US-Sanktionen gegen Libyen her, die den Menschen keine Einkommensquelle mehr lassen: „Die Menschen haben aufgrund der Armut und der Schwierigkeiten beim Überleben in verschiedenen Regionen Syriens begonnen, das Söldnertum in Libyen als eine wichtige Einkommensquelle zu betrachten.“ Der türkische Staat nutze diese Not aus, sagt Behram.
Geld an Söldnerfamilien als „Hilfe für Flüchtlinge aus Syrien“ deklariert
„Für jeden Söldner in Libyen werden 2.000 Dollar monatlich gezahlt. Allerdings erhalten sie selbst nur 300 Dollar. Die übrigen 1.700 Dollar sollen ihrem Vertrag zufolge an die Familien gehen. Dieses Geld wird als Hilfe für Menschen aus Syrien deklariert und aus den im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens gezahlten Mitteln finanziert. Das ist nichts weiter als ein großer Betrug. Das an diese Gruppen gezahlte Geld wird auch der Sarradsch-Regierung und der Regierung von Katar in Rechnung gestellt.“ So fließt das Geld aus dem EU-Türkei-Abkommen auf Umwegen wieder direkt in die Kassen der Türkei.
„Dschihadisten aus verschiedenen Gruppen“
Die Türkei schickt vor allem auch Mitglieder des als Besatzungskorps in Nordsyrien aufgebauten Bündnisses aus dschihadistischen, rechtsextremen oder einfach nur kriminellen Milizen, der sogenannten „Syrischen Nationalarmee“ (SNA), nach Libyen. Der Journalist Delîl Zîlan berichtet, dass einige dieser Milizionäre nach Syrien zurückgekehrt seien, weil sie kein Geld erhielten und es wegen der Rekrutierung zu ernsten Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Staat und seinen Besatzungsmilizen komme.
Von Syrien nach Libyen, von Libyen nach Heftanîn in Südkurdistan
Der Journalist Farhad Shami verfolgt die Entwicklungen innerhalb der bewaffneten Gruppen in Syrien genau. Er bestätigt ebenfalls die Zahl von 13.000 Söldnern, die von der Türkei aus Syrien nach Libyen gebracht wurden. Diese stammen aus 15 bis 16 verschiedenen Milizen. 2.000 der nach Libyen gebrachten Milizionäre wurden in den letzten Wochen wieder von der Türkei zurückgeholt und sollen in den Krieg gegen die Guerilla im südkurdischen Heftanîn geschickt werden. Dabei handelt es sich vor allem um Mitglieder der islamistisch-rechtsextremen Sultan-Murad-Brigade, der Sulaiman-Schah-Brigade und von Furqat al-Hamza. Shami gibt an: „Nach uns vorliegenden Informationen sollen diese Dschihadisten nach Südkurdistan geschickt werden, um gegen die PKK zu kämpfen. Diese Personen werden im Moment in der Türkei ausgebildet. Sie sollen in den nächsten Tagen nach Heftanîn gebracht werden“. Guerillakämpfer*innen berichteten bereits mehrfach, in überrannten türkischen Stellungen nicht nur tote Soldaten, sondern auch IS-Dschihadisten und Mitglieder anderer protürkischer Milizen vorgefunden zu haben.
Yûnis Behram, Farhad Shami, Delîl Zîlan (von links nach rechts)
„Streit wegen ausbleibender Zahlungen“
Insbesondere mit den Gruppen Jaish al-Islam, Faylaq al-Rahman, Ahrar al-Sharqiya, Jaish al-Sharqiya und anderen für die Türkei in Syrien aktiven Dschihadistenmilizen kam es zum Konflikt, da die Zahlungen durch die Türkei ausblieben. Shami erläutert: „Diese Gruppen hatten vereinbart, pro Person, die nach Libyen geschickt wurde, 2.000 Dollar zu erhalten. Soweit wir wissen, wurden aber nur 400 Dollar in türkischer Lira ausgezahlt. Daraufhin wollten diese Gruppen ihre Mitglieder abziehen. Das war der Grund für die Konflikte zwischen den Milizen und dem türkischen Staat.“
„Russland ist ein weiterer Akteur des Söldnertransfers nach Libyen“
Der Journalist Delil Zîlan erklärt, dass Russland insbesondere in Deir ez-Zor, im Süden von Hesekê und Raqqa versuche, bei sunnitischen Stämmen Söldner zu rekrutieren. „Russland hat sich vor allem auf einige arabische Stämme im Nordosten Syriens fokussiert. Dabei geht es einerseits darum, Söldner nach Libyen zu schicken, aber vor allem auch darum, auf diese Weise die QSD zu schwächen.“
„Russland hat in Nordsyrien nicht die gewünschten Resultate erzielt“
Farhad Shami gibt an, dass Russland in der Region Cizîrê, in Til Berak, Til Hemis und den vom Regime kontrollierten Gebieten Rekrutierungsversuche gestartet habe, allerdings nicht die gewünschten Resultate erzielen konnte. Demgegenüber sehe die Situation in Dara ganz anders aus: „Dort haben sich Mitglieder bewaffneter Gruppen, die zuvor gegen das Regime gekämpft haben, einem Abkommen zufolge ergeben. Sie wurden ebenso wie Personen aus der Grenzregion des Libanon und aus der Umgebung von Damaskus in großer Zahl nach Libyen geschickt.“