Der Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD, Öztürk Türkdoğan, hat sich gegenüber ANF zu den Angriffen auf alevitische Gebets- und Versammlungshäuser (Cemevi) und Friedhöfe in Nordkurdistan und der Türkei geäußert. Er bezeichnet die Polizeiangriffe auf alevitische Cem-Häuser als „inakzeptabel“ und fordert, dass sie genauso wie Moscheen in der Türkei respektiert werden müssten. Alles andere sei Ausdruck eines „ernsten Problems“.
„Ist die Polizei unter der Kontrolle einer bestimmten Konfession?“
„Wenn die Polizei von Istanbul Cem-Häusern nicht denselben Respekt zollt wie Moscheen, dann bedeutet dies, dass die Polizei Befehle auf religiöser Grundlage erhält. Es bedeutet, dass der Grundsatz des Laizismus aufgegeben wurde”, erklärt Türkdoğan. „Wenn der Gouverneur von Istanbul und der Polizeichef keine juristischen Schritte gegen die Polizisten einleiten, die das Cem-Haus angegriffen haben, wenn diese nicht entlassen und keine Disziplinarverfahren eingeleitet werden, dann heißt das, dass die Polizei von religiösen Motiven geleitet wird. Das wäre eine sehr ernste Situation. Man kann nicht einfach ein Cem-Haus angreifen, nur weil dort eine Beerdigungszeremonie stattfindet.”
„Der Staat muss von seiner diskriminierenden Haltung Abstand nehmen“
Türkdoğan spricht von doppelten Standards. So können Salafisten Trauerzeremonien in Moscheen und auf der Straße, wie zuletzt in Wan (Van) geschehen, trotz Pandemie zu Machtdemonstrationen umfunktionieren, während Trauerzeremonien in Cem-Häusern von der Polizei angegriffen werden. Türkdoğan bezeichnet diese Doppelmoral als inakzeptabel und hebt hervor, dass laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Cem-Häuser den Status von Gebetsstätten haben. Die Behörden in der Türkei müssten diese Orte respektieren, so Türkdoğan. Er mahnt rechtliche Schritte gegen die Angreifer und ihre Befehlshaber an und erklärt: „Was auch immer die Ausrede sein mag, zwanzig Millionen Menschen dürfen nicht so respektlos behandelt werden.“
„Es muss ein Verfahren eröffnet werden“
Türkdoğan erinnert daran, dass die Verschleppung von Leichen und die Zerstörung von Friedhöfen eine Straftat nach dem türkischen Paragraphen „Angriff auf das Andenken Verstorbener“ darstellt und fordert auch in diesem Zusammenhang die Einleitung von Verfahren. Es sei notwendig, dass die betroffenen Familien Anzeige erstatten. Er sagt, die Angriffe auf Friedhöfe und Gräber zielten auf die Erniedrigung der kurdischen Bevölkerung ab, ebenso beabsichtige der Angriff auf ein Cem-Haus die Erniedrigung der alevitischen Bevölkerung. Der Menschenrechtler weiter: „Während die AKPler immer, wenn sie wütend werden, ihre Gegner als Faschisten bezeichnen, so ist doch ihr Umgang mit Cem-Häusern und den kurdischen Friedhöfen nichts anderes als eine typisch faschistische Praxis. Sollen sie in die Geschichte blicken. Dort, wo Faschismus herrschte, ob in Deutschland, Italien oder Spanien, und das, was damals passierte, ähnelt dem, was jetzt hier geschieht sehr stark. Das ist die blanke Unterdrückung und widerspricht den Menschenrechten.“
„Was wäre geschehen, wenn das gleiche in einer Moschee geschehen wäre?“
Türkdoğan fordert eine Entschuldigung der Regierung bei der alevitischen Bevölkerung: „Da gibt es kein Vertun. Was hätten die Sunniten gedacht, wenn die Polizei so etwas bei einer Moschee getan hätte? Die Bevölkerung hätte sich erhoben. Was habt ihr für ein Recht, zwanzig Millionen Alevitinnen und Aleviten zu erniedrigen? Wie könnt ihr das tun? Was glaubt ihr, wer ihr seid? So etwas ist inakzeptabel.“
„Was die Bevölkerung ertragen kann, ist begrenzt“
Was die Bevölkerung ertragen könne, sei begrenzt. Die AKP/MHP-Regierung habe ihren Verstand verloren und müsse diese Angriffe sofort einstellen, fordert Türkdoğan. Jetzt dürften die Menschen nicht nachgeben und müssten deutlich Position beziehen. Der IHD-Vorsitzende fordert den Regimechef Erdoğan und den Vorsitzenden den Religionsbehörde DIYANET dazu auf, sich zu dem Thema zu verhalten. Auch die Abgeordneten müssten Position beziehen. Die Angriffe auf Cem-Häuser und auch auf Verstorbene seien nichts Neues, müssten aber sofort gestoppt werden.