„Trotz allem: Selbstverwaltung entwickelt sich jeden Tag“

Am Jahrestag des Genozids an den Ezid:innen fand in Hamburg das monatliche TATORT Kurdistan Café statt. Marlene Förster berichtete über die aktuelle Situation in Şengal.

Am 3. August jährte sich der Genozid an den Ezid:innen zum achten Mal. Neben einer Gedenk-Kundgebung fand in Hamburg am Abend das monatliche TATORT Kurdistan Café statt. Die Medienschaffende Marlene Förster, die sich mehrere Male in Şengal aufhielt, berichtete vor 40 Menschen von der aktuellen Lage und den Strukturen vor Ort.

Vorab erklärte Förster anlässlich des Jahrestages, dass der Genozid nicht etwas Abgeschlossenes sei; vielmehr halte dieser an, nicht zuletzt aufgrund der permanenten Angriffe durch die regionalen Mächte, allen voran durch die Türkei. Zudem hinterließen die Massaker durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) Langzeitfolgen, zumal die Aufarbeitung auch aufgrund mangelhafter internationaler Unterstützung schleppend laufe. Unzählige Menschen werden weiterhin vermisst, noch längst sind nicht alle Massengräber geöffnet und identifiziert.

In ihrem Vortrag gab sie einen breiten Überblick über die geostrategische Einordnung der Region, über die Geschichte, den Glauben und Kultur der Ezid:innen, den Genozid von 2014 durch den IS sowie die Selbstverwaltungsstrukturen vor Ort. Insbesondere die beiden zuletzt genannten Themen wurden ausführlich behandelt.

Der Genozid 2014 wurde mitunter durch den Rückzug der irakischen Streitkräfte und der Peschmerga der PDK ermöglicht. 5.000 bis 10.000 Menschen verloren bei den Massakern ihr Leben, tausende Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, wurden versklavt und verschleppt. Mehr als 2.000 werden immer noch vermisst. Angesichts der Gräueltaten bliebe es jedoch auch wichtig zu betonen, dass sich die Menschen nicht einfach ergeben hätten – trotz mangelnder Ausstattung leisteten Viele auch Widerstand, teils auch gemeinsam mit der muslimischen Bevölkerung vor Ort. Und ohne die Unterstützung der PKK-Guerilla und den Selbstverteidigungseinheiten YPG und YPJ hätte es nicht die Anzahl an Überlebenden gegeben, darin seien sich alle, unabhängig der politischen Orientierung, einig.

Als Reaktion auf den Genozid wurde gleich 2014 damit begonnen, eigene Selbstverteidigungs- und Selbstverwaltungsstrukturen aufzubauen. Die Medienschaffende erzählt, nie habe sie so viel Leid an einem Ort gesehen, aber auch so viel Kraft und Hoffnung. Die Stärke der Menschen beruhe darauf, dass sie eine Perspektive durch die Ideen der Selbstverwaltung für sich entwickelt hätten. Nicht nur der militärische Schutz sei somit wichtig, sondern auch der Wille der politischen Selbstbestimmung und Gestaltung. Aus allen Bereichen zeigte sie Beispiele und somit die Vielfalt der Strukturen, inklusive der Herausforderungen auf.

Jedoch steht die Region insbesondere seit 2017 erneut im Zentrum heftiger Angriffe. Die PDK, das irakische Militär und insbesondere die Türkei versuchen auf allen Ebenen, die Selbstverwaltung zu zerstören. Die türkischen Drohnenangriffe nehmen verstärkt auch Personen der Zivilgesellschaft in den Fokus. Zudem sei das Bombardement auf ein Krankenhaus im August 2021 besonders brutal gewesen. Die Bevölkerung solle so auf allen Ebenen eingeschüchtert werden.

Doch trotz allem: es sei beeindruckend, wie sich die Selbstverwaltung, einer Revolution gleich, jeden Tag weiterentwickle. Die Menschen seien überzeugt, dass diese der richtige Weg für sie sei. Und was könne getan werden, um die Ezid:innen in ihrem Projekt zu unterstützen? Solidarität zeigen, auf die Straße gehen – und die Ideen weitertragen.