Während die meisten der seit Anfang Januar im Zuge der Aktionen für universitäre Autonomie in der Türkei Festgenommenen wieder auf freiem Fuß sind, gehen sowohl die Proteste als auch die Festnahmen weiter. Am Dienstag waren in Istanbul 228 Personen festgenommen worden, als die Polizei mit einem martialischen Aufgebot auf den Campus der renommierten Boğaziçi-Universität eindrang und später eine Kundgebung in Kadiköy angriff.
Die Istanbuler Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl wegen Beschädigung öffentlichen Eigentums und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz für dreißig der Betroffenen. Das Gericht lehnte den Antrag ab und ordnete die Freilassung aller Festgenommenen an. Mindestens zwölf Betroffene wurden in Hausarrest geschickt, viele weitere erhielten ein Auslandsverbot und Meldeauflagen. Die Freigelassenen wurden vergangene Nacht vor dem Justizgebäude in Çağlayan von anderen Studierenden in Empfang genommen. Auch 51 in Izmir Festgenommene sind inzwischen wieder freigelassen worden.
Am Donnerstagmorgen kam es in Istanbul zu weiteren Hausdurchsuchungen, mindestens fünf Studierende wurden festgenommen, nach Angaben des Istanbuler Gouverneurs wird nach drei weiteren Personen gefahndet. Wie der stellvertretende Innenminister İsmail Çataklı mitteilte, sind bisher von insgesamt 528 Festgenommenen zwei Personen verhaftet worden, 498 Personen wurden freigelassen. Innenminister Süleyman Soylu hatte zuvor erklärt, dass 79 Festgenommene Mitglieder einer terroristischen Vereinigung seien. CHP-Abgeordnete warfen ihm deshalb Verfassungsbruch vor, weil er mit seinen Äußerungen in die Justiz eingreife und die Unschuldsvermutung verletze.
Unterdessen gehen die Proteste an der Boğaziçi-Universität weiter. Studierende und Lehrende fordern jeden Tag vor dem Rektorat den Rücktritt des von Staatschef Tayyip Erdogan als Zwangsverwalter eingesetzten AKP-Politikers Melih Bulut. Weitere Forderungen sind die Freilassung aller festgenommenen, verhafteten oder unter Hausarrest gestellten Studierenden, der Abzug der Sicherheitskräfte von der Universität und die Einbeziehung aller universitären Gremien bei der Wahl des Rektors.
Der Campus wird weiterhin von einem großen Polizeiaufgebot belagert. Rund um die Universität stehen Polizeigitter, Wasserwerfer und Panzerfahrzeuge, Hunderte Bereitschaftspolizisten sind im Einsatz.
Am Ausgang der Metrostation Boğaziçi führt die Polizei Taschenkontrollen durch, wer an der Universität vorbeigeht, wird einer Personenkontrolle unterzogen. Studierende können den Campus nur betreten, wenn die elektronische Abfrage ihrer gespeicherten Daten keine Auffälligkeiten ergeben. Auch Autos werden bei der Einfahrt akribisch durchsucht.