Die Männlichkeitsstudie der NGO Plan International hat erschreckende Ergebnisse zu Tage gefördert. Die Befragung von 1.000 Männern und 1.000 Frauen hat ergeben, dass 34 Prozent der befragten Männer im Alter von 17 bis 35 Jahren schon einmal gewalttätig gegen ihre Partnerin geworden seien, ganze 33 Prozent der Befragten halten solche Gewalt für legitim.
Patriarchale Männlichkeit – in jeder Beziehung toxisch
Die Studie förderte dabei bei einem entscheidenden Anteil der Befragten ein geschlossenes patriarchales Denksystem, das sich in Gewalt nach außen und nach innen äußert, zu Tage. Die befragten Männer haben offenbar schon von Kindesbeinen an dieses toxische Verhalten internalisiert. Dies zeigt sich auch am Verhältnis zu sich selbst und zum eigenen Körper. So gaben 50 Prozent der Männer an, gesundheitliche Probleme bei sich selbst nicht zu beachten, ganze 56 Prozent haben Angst davor, Nervosität oder Angst zu zeigen, 53 Prozent sind nicht bereit, über ihre Gefühle zu reden, 51 Prozent geben an, dies mache sie „schwach und angreifbar“. Gleichzeitig werden Männer offensichtlich weiterhin als unsoziale Einzelkämpfer sozialisiert. So gaben 71 Prozent an, bei Problemen andere zunächst nicht um Hilfe zu bitten, und immerhin 47 Prozent fühlten sich „als Versager“, wenn sie es nicht allein schafften. Die Kehrseite dieses Männlichkeitsbildes ist die innere Isolation und Depression. Fast 63 Prozent gaben Gefühle von Isolation und Depression an. Diese toxische Männlichkeit zeigt sich nicht nur in Gewalt nach außen, sondern auch in der Konsequenz als Gewalt gegen sich selbst. So besagt die Todesursachenstatistik des Bundes, dass im Jahr 2021 in Deutschland 3,5 Mal mehr Männer Suizid begangen haben als Frauen.
Demgegenüber ist die Frauenperspektive deutlich. 85 Prozent der Frauen traten dafür ein, dass Männer über ihre Gefühle sprechen sollten, und 77 Prozent, dass sie aufhören sollten, ihre gesundheitlichen Probleme zu ignorieren.
Diskriminierung gegenüber als unmännlich gelesenen Personen
Gleichzeitig versuchen die Männer, den dominanten, starken Mann auch im Äußeren zu präsentieren. 59 Prozent der Männer erklärten, viel zu unternehmen, um einen muskulösen Körper zu haben, um die 50 Prozent meinten, sie zeigten mit ihrem Äußeren und ihrem Auftreten, „echte Männer“ zu sein. Dabei wird diskriminiert, was nicht dem Bild von Männlichkeit entspricht. 42 Prozent der Männer gaben an, dass ein Mann, der „verweichlicht und feminin“ wirke, schon Mal „einen Spruch“ abbekomme. Homophobie ist noch weiter verbreitet. So sagen 48 Prozent der befragten Männer, dass es sie störe, wenn schwule Männer ihre Identität in der Öffentlichkeit zeigten. Negative Selbstkonstituierung, also Selbstdefinition durch Abgrenzung, erfolgt häufig durch verbale Gewalt. So werden abwertende Aussagen, Witze oder Sprüche in Bezug auf andere Formen von Männlichkeit oder sexueller Orientierung gemacht. 51 Prozent der Befragten spricht davon, dass solche homophoben und patriarchalen Sprüche ab und zu oder sogar häufig vorkommen. Aber positiv ist zu vermerken, dass immerhin 33 Prozent gegen solche Sprüche widersprechen und 37 Prozent zumindest nonverbal Protest äußern.
Konkurrenzdenken tief verinnerlicht
Ein Teil des patriarchalen Männerbilds ist das tiefsitzende Konkurrenzdenken. So gaben 63 Prozent an, „sich oft mit anderen zu messen und sich sehr anzustrengen, um unter den Besten zu sein“, immerhin 45 Prozent gefährden dabei sogar ihre Gesundheit. 43 Prozent nehmen dabei auch die Zerstörung der Gesundheit anderer in Kauf, sie gaben an, „gerne draufgängerisch Auto zu fahren“, auch wenn es dabei „mal gefährlich werden könne“. Hinzu kommt die Enthemmung durch massiven Rauschmittelkonsum. So gaben 42 Prozent an, manchmal soviel Alkohol zu trinken, dass sie „nicht mehr wissen, was sie alles angestellt“ hätten. Diese verinnerlichte Haltung spiegelt sich auch in Zahlen wider. So starben in der Altersgruppe der 20- bis 35-Jährigen in Deutschland im Jahr 2021 fünfmal so viel Männer wie Frauen bei Autounfällen. Im selben Jahr waren 85 Prozent der 18- bis 35-Jährigen, die unter Alkoholeinfluss Autounfälle verursacht haben, Männer. Viermal so viel Männer starben 2021 an alkoholinduzierte Lebererkrankungen im Jahr 2021 im Verhältnis zu Frauen.
Patriarchale Privilegien weiterhin von der Mehrheit der Männer verteidigt
Auch was die Familienbilder betrifft, hat sich kaum etwas an der patriarchalen Zurichtung der Gesellschaft getan. 52 Prozent der befragten Männer sehen ihre Aufgabe im Geldverdienen, während Frauen die Kinder erziehen müssten und den Haushalt machen sollten. Daran geknüpft sind 45 Prozent der Männer der Ansicht, darüber entscheiden zu dürfen, wofür das Geld ausgegeben werde. 49 Prozent gaben sogar an, in der Beziehung oder Ehe das letzte Wort bei Entscheidungen zu haben. 39 Prozent sind der Meinung, dass Frauen ihren Job zurückstellen müssten, um dem Mann den „Rücken frei zu halten“. Das bedeutet nichts anderes, als die ökonomische Abhängigkeit zu zementieren. Währenddessen sind 41 Prozent der Männer nicht einmal bereit, mehr als nur einige wenige Wochen Elternzeit zu nehmen. Die Kindererziehung in den frühen Jahren käme insbesondere den Frauen zu. Auch das ist statistisch belegt. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung stellt fest, dass die meisten Männer nur höchstens zwei Monate lang in Elternzeit gehen. Dieses Modell wird auch dadurch befördert, dass Männer in Deutschland immer noch durchschnittlich 18 Prozent mehr verdienen als Frauen.
Kontrolle über Partnerinnen – Übergriffigkeit gegenüber anderen Frauen
Während soziale Kontrolle über die Partnerin groß geschrieben wird, so wollen 47 Prozent der befragten Männer nicht, dass sich ihre Partnerin mit männlichen Freunden treffe, halten 41 Prozent der Männer übergriffiges Verhalten wie dem Hinterherpfeifen und Hinterherschauen und Frauen „Komplimente“ für ihr Äußeres zu machen, für „ihr gutes Recht als Männer“. Daraus folgt eine Legitimierung sexualisierter Gewalt. 47 Prozent der befragten Männer stimmt zu, dass eine Frau, die sich „aufreizend“ verhalte, „sich nicht wundern müsse, wenn ein Mann dies als Aufforderung“ verstehe. Während ihre Promiskuität bei vielen Männern im Mittelpunkt steht, immerhin 37 Prozent gaben an, dass sie so viele Sexualpartnerinnen haben wollten wie möglich, gab jeder zweite Mann an, keine Beziehung mit einer Frau eingehen zu wollen, die schon viele Sexualpartner gehabt habe.
Jeder dritte Mann hält Gewalt gegen Partnerinnen für legitim
Das fragile Konstrukt der Männlichkeit soll mit aller Gewalt durchgesetzt werden. Das zeigt auch die Tatsache, dass 34 Prozent der Befragten angaben, bereits gegenüber Frauen physisch gewalttätig geworden zu sein, „um sich Respekt zu verschaffen“. 33 Prozent der Befragten finden es legitim, wenn ihnen beim Streit mit der Partnerin „gelegentlich mal die Hand ausrutscht“.
Fazit: Grundlagen des Faschismus in patriarchaler Männlichkeit
Diese Konstruktion von Männlichkeit geht einher mit einer zunehmenden Faschisierung der Gesellschaft. Nicht nur geht die AfD auf die Zwanzigprozenthürde zu. Rechte Diskurse prägen breite Teile der Gesellschaft. Angesichts des Kampfes der Frauen- und LGBTI+-Bewegung sieht sich das Patriarchat gefährdet und reagiert systemisch, wie individuell mit einem Rollback. Der Männlichkeitsypus, der in der Studie von Plan International zum Vorschein kommt, hat starke Bezüge zu dem in der Sozialpsychologie als autoritärer Charakter definierten Haltungstypen. Dieser autoritäre Charakter stellt nach den Studien von Theodor W. Adorno und Erich Fromm eine der Entstehungsbedingungen des Faschismus dar.
Aus Fromms empirischer Untersuchung folgte das Bild des autoritären Charakters mit speziellen sadomasochistischen Zügen. Erich Fromm schreibt hierzu: „Um die Internalisierung des gesellschaftlichen Zwanges zu erreichen, die dem Individuum stets mehr abverlangt, als sie ihm gibt, nimmt dessen Haltung gegenüber der Autorität [...I einen irrationalen Zug an. Das Individuum kann die eigene soziale Anpassung nur vollbringen, wenn es an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet; die sadomasochistische Triebstruktur ist daher beides, Bedingung und Resultat gesellschaftlicher Anpassung.“ Dieses möglicherweise abstrakt erscheinende Argument spiegelt sich deutlich in den Ergebnissen der Umfrage wider. Denn einerseits verlangen die Männer ein hartes Außenbild von sich und anderen, das auch nach außen gewaltförmig umgesetzt wird, andererseits tun sie sich dafür selbst Gewalt als Fortsetzung sozialen Zwangs an. Diese Gewalt wird wiederum gegen vermeintlich Schwächere ausgelebt – also Gewalt gegen Partnerinnen, übergriffiges Verhalten und verbale und immer wieder auch physische Gewalt gegenüber Männern, die dem Bild nicht entsprechen.
Dies definierte bereits Fromm: „In der Psychodynamik des autoritären Charakters wird die frühere Aggressivität zum Teil absorbiert und schlägt in Masochismus um, zum Teil bleibt sie als Sadismus zurück, der sich ein Ventil sucht in denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht identifiziert: in der Fremdgruppe also.“