Der Volksaufstand in Ostkurdistan und Iran gegen die klerikale Diktatur des Mullah-Regimes nach dem staatlichen Femizid an Jina Mahsa Amini geht über die Landesgrenzen hinaus: Weltweit gehen Menschen seit Tagen auf die Straße, um Solidarität mit den Protesten zu bekunden und gegen die misogyne Gewalt eines totalitären und patriarchalen Systems zu demonstrieren. Auch am Samstag wurde an vielen Orten wieder unter dem Motto „Jin, Jiyan, Azadî“ – der zentralen Losung der kurdischen Frauenbewegung demonstriert.
In der norddeutschen Stadt Hamburg gab es gleich mehrere Protestveranstaltungen. Auf der Sternschanze fand am Nachmittag eine Kundgebung mit anschließender Demonstration zum traditionellen Straßenfest im Schanzenviertel statt, zu der auch der Verband von Frauen aus Kurdistan in Deutschland (YJK-E) mobilisiert hatte. Mehr als 1.000 Menschen beteiligten sich, darunter auch die kurdische Exil-Politikerin und ehemalige HDP-Abgeordnete Selma Irmak. Sie sprach von einer „neuen Ära des feministischen Widerstands“ und grüßte die Frauen in Ostkurdistan und Iran, die sich an den Protesten beteiligen. „Die blutsaugenden Mörder mögen mit Jina Mahsa Amini eine Freundin aus unserer Mitte gerissen haben. Aufhören, unsere Rechte einzufordern, werden wir aber nicht. Es ist Zeit für Widerstand. Wir werden kämpfen und gewinnen“, sagte Irmak.
An der Demonstration beteiligten sich verschiedene Gruppen und Organisationen wie etwa der kurdische Verein in Hamburg sowie der Frauenrat Rojbîn. Dessen Aktivistinnen waren beim Schanzenfest mit einem Infostand vertreten, auf der Bühne wurde ein Redebeitrag zur Situation der Frauen in Ostkurdistan und Iran gehalten. Am Abend gab es dann eine weitere Kundgebung in der Innenstadt. Eine Frau verbrannte hier symbolisch ein blaues Kopftuch, andere schnitten sich als Zeichen des Protestes ihre Haare ab. Auf vielen Plakaten blickte das Konterfei von der ermordeten Jina Mahsa Amini auf die Menge, auf Schildern war „Jin, Jiyan, Azadî“, „Wehr dich! Organisier’ dich! Lebe deine Freiheit!“ und „No 2 Hijab, No 2 Islamic Republic“ zu lesen.
Kämpferischer Protest in Paris
In der französischen Hauptstadt Paris versammelten sich hunderte Menschen zu einer Kundgebung am Brunnen der Unschuldigen, um gegen die Diskriminierung von Frauen in Iran und das dortige Herrschaftssystem zu protestieren. In Redebeiträgen von der Gewerkschaft Union syndicale Solidaires, der antirassistischen Bewegung MRAP, der Neuen Antikapitalistischen Partei, der algerischen Frauenbewegung und dem französisch-kurdischen Freundschaftsverein wurde der gewaltsame Tod von Jina Mahsa Amini auf das Schärfste verurteilt und gefordert, dass Frauen in Iran und Rojhilat selbstbestimmt leben können.
„Die Kontrolle über den weiblichen Körper und die Unterdrückung von Frauen sind für das islamistische Regime in Iran existenziell“, sagte Berivan Fırat im Namen der kurdischen Frauenorganisierung TJK-F. Deshalb gehe das Regime mit purer Gewalt vor, um die Proteste zu unterdrücken. Die Öffentlichkeit rief die Aktivistin auf, genauer hinzuschauen auf die Menschen in Ostkurdistan und Iran, die sich seit Jahrzehnten gegen das System auflehnten und auch in diesem Augenblick ihr Leben riskierten für Grundrechte wie Freiheit und Demokratie. „Sie bringen das System ins Wanken. Sie haben diesen Weg voller Mut und Selbstlosigkeit angetreten, um das Leben all ihrer Geschlechtsgenossinnen und Weggefährtinnen zu erleichtern. Sie leisten Widerstand und bewirken etwas Großes. Sie alle haben verdient, dass wir hinsehen, hinhören und mitkämpfen.“
Aktion in Zürich in der Schweiz
Performance „Un violador en tu camino“ in Chile
In Chiles Hauptstadt Santiago kamen Frauen aus Iran und Ostkurdistan, die feministische Bewegung „Ni una Menos“, Internationalistinnen und Aktivistinnen der Bewegung für das Recht auf Abtreibung sowie der 8.-März-Plattform vor der Nationalbibliothek zusammen. Auf dem Boden wurde zunächst ein Transparent mit der spanischen Version von „Jin, Jiyan, Azadî“ befestigt. Anschließend inszenierten mehrere Frauen die Performance „Un violador en tu camino“ (Ein Vergewaltiger auf deinem Weg). Die Performance stammt vom Künstlerinnenkollektiv Las Tesis und richtet sich gegen Femizide sowie sexualisierte und strukturelle Gewalt gegen Frauen.
Mindestens 54 Todesopfer bei Protesten
Ausgelöst wurden die Proteste in Ostkurdistan und Iran durch den Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini am Freitag vergangener Woche. Die Kurdin aus Seqiz war in Teheran von der „Moralpolizei“ festgenommen worden, weil sie ihren Schleier nicht den strikten Vorschriften entsprechend getragen haben soll. Auf dem Revier wurde sie im Verlauf einer „Belehrung“ durch die Sittenbehörde so massiv misshandelt, dass sie drei Tage später in einem Krankenhaus für tot erklärt wurde. Seitdem hat eine Protestwelle das Land erfasst, die inzwischen durch 80 Städte rollt.
Die Diktatur der Mullahs, die seit 43 Jahren an der Macht ist, will diese ungeachtet der sich im Land ausbreitenden Protestwelle mit brutaler Gewalt verteidigen. Dafür sprechen nicht zuletzt Berichte über die steigende Zahl von Todesopfern durch den Einsatz von scharfer Munition, die trotz krasser Medienzensur und gekappter Internetleitungen aus der Region dringen. Menschenrechtsorganisationen zufolge wurden bereits mindestens 54 Demonstrierende von Sicherheitskräften getötet, hunderte sind verletzt und tausende festgenommen worden. Zu neuerlichen Ausschreitungen kam es auch in der Nacht zum Sonntag, unter anderem in Teheran sowie in einigen kurdischen Städten.