Die Istanbuler Polizei hat zwei Aktivisten der Föderation der sozialistischen Jugendverbände der Türkei (SGDF) am Samstag festgenommen. Die Festsetzung von Adnan Ö. und Kalender P. erfolgte im europäischen Stadtbezirk Sultangazi. Die beiden Studenten mobilisierten dort zur Teilnahme an einer Gedenkveranstaltung anlässlich des Jahrestags des Gazi-Massakers. Was ihnen konkret vorgeworfen wird und auf welches Revier sie gebracht wurden, ist unklar. Die Polizei machte keine Angaben.
Das Massaker von Gazi fand vom 12. bis zum 15. März 1995 statt und endete als Pogrom gegen die alevitische Bevölkerung. Mindestens 22 Menschen wurden von Ultranationalisten und Polizisten in dem Stadtviertel, das zu Sultangazi gehört, ermordet. Es richtete sich, wie schon das Massaker von Sivas (ku. Sêwas) nur zwei Jahre zuvor, gegen Alevitinnen und Aleviten. Von „unbekannten Tätern” aus nationalistischen Kreisen wurde in der Nacht zum 12. März 1995 ein Taxi in Gazi entführt und dem Fahrer die Kehle durchgeschnitten. Die Täter schossen daraufhin im Vorbeifahren mit automatischen Waffen wahllos in alevitische Cafés, Kulturhäuser und Konditoreien. Ein Mensch starb, zahllose weitere wurden verletzt. Anschließend wurde das Fahrzeug in Brand gesetzt.
Daraufhin kam es zu Protesten vor einer Polizeiwache, die 200 Meter vom Tatort entfernt lag. Die friedliche Demonstration eskalierte, als ein Militärpanzer in die Menschenmenge fuhr. Die „Sicherheitskräfte” ermordeten 20 Demonstrierende durch gezielte Schüsse und verwundeten Hunderte. Das Pogrom war von systematischen Massenverhaftungen, Hausdurchsuchungen und Polizeiübergriffen in mehreren Istanbuler Stadtteilen begleitet. Einige der Inhaftierten gelten bis heute als „verschwunden”.
Bis heute sind nur zwei an dem Massaker beteiligte Polizisten verurteilt worden: Adem Albayrak erhielt bei einem Schauprozess dreieinhalb Jahre Haft für den Mord an vier Menschen; sein Kollege Mehmet Gündoğdu, der zwei Personen aus Gazi tötete, kam mit achtzehn Monaten „Strafe“ davon. Die eigentlichen Verantwortlichen des Massakers wurden bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. An erster Stelle steht nach Auffassung alevitischer Verbände die damalige türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller, die nicht nur als Verantwortliche für das Massaker, sondern allgemein für die Pogromstimmung der 1990er Jahre gesehen wird.
Das Gedenken zum 28. Jahrestag des Gazi-Massakers findet am morgigen Sonntag statt. Für 12 Uhr ist zunächst eine Zeremonie im Cemevi (alevitisches Versammlungs- und Kulturhaus) geplant. Daran anschließend wird ein Gedenkmarsch durch Gazi ziehen. Die Demonstration endet mit einer Erklärung am örtlichen Friedhof, wo die meisten Pogromopfer begraben wurden.