Eine der Aufgaben des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarates ist es, die demokratischen Praktiken der Kommunalverwaltungen in den Mitgliedsstaaten zu überwachen. Am Mittwoch war die Türkei an der Reihe. Auf der Sitzung wurde der Monitoring-Bericht behandelt und über die vorgeschlagenen Empfehlungen abgestimmt. Im Mittelpunkt der Debatte stand die Entlassung gewählter Bürgermeister:innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) durch die türkische Regierung und die anschließende Ernennung von Treuhändern, die diese gewählten Vertreter:innen als Statthalter des Staates ersetzen sollten. Türkische Delegierte verteidigten das Vorgehen ihrer Regierung und prangerten die HDP als terroristisch an.
Der Monitoring-Bericht ist das Ergebnis von Besuchen in der Türkei durch vom Kongress ernannte Berichterstatter:innen, die sowohl mit Vertreter:innen der Regierung als auch der Opposition gesprochen haben. Der Bericht ist darauf bedacht, die unterschiedlichen Standpunkte festzuhalten und nicht als Gericht zu fungieren, denn das würde seinen Aufgabenbereich sprengen. Allerdings enthält der Bericht den diplomatischen Satz: „Wenn man all diese Ereignisse, Fakten und Situationen zusammennimmt, könnte man leicht zu dem Schluss kommen, dass die Regierung möglicherweise eine Agenda verfolgt, systematisch gegen die lokalen Mandatsträger der HDP vorzugehen, indem sie die in der türkischen Gesetzgebung verfügbaren Mechanismen nutzt, d. h. auf missbräuchliche Strafverfolgungen zurückgreift."
Wie jedes offizielle europäische Dokument, seit die EU die PKK auf ihre Terrorismusliste gesetzt hat, stellt der Bericht nicht in Frage, dass PKK-Mitglieder Terroristen sind und die Türkei ein Terrorismusproblem hat. Er macht jedoch deutlich, dass Menschen ohne triftigen Grund des Terrorismus beschuldigt werden. Der Versuch der Delegierten der türkischen Regierungspartei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), einen Änderungsantrag einzubringen, mit dem diese wichtige Kritik gestrichen werden sollte, wurde deutlich abgelehnt, und der Bericht und die Empfehlungen wurden vom Kongress mit weit mehr als der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.
In den Empfehlungen wird die Türkei aufgefordert, ihre Definition von Terrorismus zu ändern, Bürgermeister:innen nicht mehr ohne Gerichtsbeschluss zu suspendieren, sondern nur noch „mit der größtmöglichen Vorsicht" und unter Wahrung der Unschuldsvermutung; dem Stadtrat zu gestatten, im Falle einer Suspendierung einen Interims-Bürgermeister aus den Reihen seiner Mitglieder zu ernennen; sicherzustellen, dass Kandidat:innen, die Wahlen gewinnen, ihr Mandat ausüben dürfen, und weitere Änderungen vorzunehmen, um die Kontrolle der Zentralregierung über die Kommunalbehörden zu verringern. In der Entschließung wird auch gefordert, dass die Berichterstatter regelmäßig Bericht erstatten.
Ein Delegierter der rechtsextremen MHP vertrat in der Debatte beispielhaft die Position der Regierung, die die HDP als eine Erweiterung der PKK betrachtet. Noch schockierender war die Rede von Hasan Akgün, einem Bürgermeister von der Republikanischen Volkspartei (CHP). Trotz des verbalen Eintretens seiner Partei für Demokratie und trotz der Erklärung des Oppositionsbündnisses, dass gewählte Politiker nicht durch Treuhänder ersetzt werden sollten, unterstützte Akgün eindeutig die Verwendung von Terrorismus-Anschuldigungen zur Absetzung der HDP-Bürgermeister:innen und stellte fest, dass die Suspendierung und Absetzung der Mandatsträger:innen fortgesetzt werde, solange „Terroristen im Osten“ aktiv seien.
Abgesehen von der vorhersehbaren Ausnahme Aserbaidschan, einem engen Verbündeten der Türkei, äußerten alle Redner:innen aus anderen Ländern - aus den Niederlanden, Frankreich und dem Vereinigten Königreich - scharfe Kritik an der Haltung der Türkei. Der niederländische Jugenddelegierte wandte sich entschieden gegen den Missbrauch der Behauptung, es handele sich um „Terroristen", um die freie Meinungsäußerung zu unterdrücken, und John Peter von der britischen Labour-Partei stellte fest, dass die Türkei mit der Bezeichnung aller politischen Gegner als Terroristen die „Sprache Putins" übernehme.
Die Bürgermeisterin von Silopi, Adalet Fidan (HDP), konnte den Delegierten von ihren eigenen Erfahrungen und denen ihrer Partei berichten - und ihre Rede wurde mit großem Beifall bedacht. Sie ist eine von nur sechs der 67 vor drei Jahren gewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von der HDP, die immer noch im Amt sind, und sie führt dies auf den Schutz zurück, den ihr die Mitgliedschaft im Kongress des Europarats bietet. Dennoch konnte sie an der letzten Sitzung des Kongresses nicht persönlich teilnehmen, da die türkische Regierung ihren Pass einbehielt (der Europarat hat sich darüber beschwert), und es läuft ein Verfahren gegen sie, weil sie sich an einer Presseerklärung zum Mord an der Studentin Pinar Gültekin beteiligt hat. Durch die Absetzung von gewählten Politiker:innen der HDP sind vier Millionen Wähler faktisch entmündigt worden.