Sancar fordert Rücktritt von türkischem Innenminister

Der HDP-Vorsitzende Mithat Sancar hat den Rücktritt des türkischen Innenministers Süleyman Soylu gefordert. Hintergrund der Rücktrittsforderung ist die Behauptung des AKP-Politikers, die Wahlen am 14. Mai seien ein „politischer Putschversuch des Westens“.

Der HDP-Vorsitzende Mithat Sancar hat den sofortigen Rücktritt von Süleyman Soylu als Innenminister der Türkei gefordert. „Mit jeder Minute, die Soylu im Amt bleibt, wirft er einen dunklen Schatten auf die Wahlen“, sagte Sancar am Freitag bei einer Wahlkampfveranstaltung der Grünen Linkspartei (Yeşil Sol Parti, YSP) in der kurdischen Stadt Pirsûs (tr. Suruç). Sollte der AKP-Politiker nicht abdanken, würde sich in die lange Liste seiner Verbrechen ein weiteres einreihen.

Hintergrund der Rücktrittsforderung sind Äußerungen Soylus, die in der Türkei Anlass zur Besorgnis geben. Der Minister hat am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung in Istanbul den Westen zunächst beschuldigt, hinter dem sogenannten Putschversuch in der Türkei vom 15. Juli 2016 zu stecken. Dann sagte er mit Blick auf die Parlaments- und Präsidentenwahlen in gut zwei Wochen: „Der 14. Mai 2023 ist der politische Putschversuch des Westens. Dies ist offensichtlich.“ Wen er mit „Westen“ genau meinte, sagte er nicht.

Soylu scheint wohl eine Wahlniederlage seiner Partei und des amtierenden Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan zu fürchten und bereitet sich bereits jetzt auf eine Erklärung vor. Doch andererseits ist er als Innenminister für die Sicherheit ordnungsgemäßer Wahlen zuständig. Dass er sie als Putschversuch bewertet, deutet auf Amtsspielchen für gezieltes Chaos hin. Sancar sagte: „Ich appelliere an die Völker der Türkei: Schenkt der schmutzigen Propaganda, den verbalen Drohungen und Komplotten dieser Regierung keine Beachtung. Niemand ist stärker als der freie Wille des Volkes, lassen wir uns also nicht einschüchtern.“

Der CHP-Politiker Mahmut Tanal sagte im Sender Cumhuriyet TV, die Aussage Soylus sei provokativ. Sie zeige, dass die Regierung die Wahlen vermeiden wolle oder den möglichen Ausgang nicht tolerieren werde. Der amtierende Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan muss nach mehr als 20 Jahren an der Macht um seine Wiederwahl fürchten. Umfragen räumen seinem stärksten Herausforderer, dem CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu, gute Chancen ein. Kılıçdaroğlu tritt als gemeinsamer Kandidat für den „Sechsertisch“ an, eine Allianz aus sechs Parteien unterschiedlicher Lager. Darüber hinaus wird er vom Bündnis für Arbeit und Freiheit unterstützt, dem unter anderem die HDP, YSP und EMEP angehören. Die Stimmen aus dem linken und kurdischen Lager könnten das Zünglein an der Waage bei den Wahlen sein.

Die HDP war bei vergangenen Wahlen in der Türkei mehrfach das Zünglein an der Waage. Bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2018 erhielt sie fast sechs Millionen Stimmen. Damit bildet die HDP derzeit die zweitstärkste Oppositionsfraktion in der türkischen Nationalversammlung. Doch besonders die Kommunalwahlen im März 2019 trugen zu ihrem Ruf als Königsmacherin bei. Damals verzichtete die Parteiführung in einigen Städten auf eigene Kandidaturen und rief stattdessen ihre Wählerinnen und Wähler dazu auf, den Kandidaten der CHP ihre Stimme zu geben. Ohne Rückendeckung der HDP wäre der Wahlsieg des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem Imamoğlu nicht möglich gewesen. Zu den Wahlen am 14. Mai tritt die HDP wegen eines drohenden Parteiverbots unter dem Banner der Grünen Linkspartei an.