Prozess gegen Kadri Saka: Richterin sorgt mit „Kreuzverhör“ für Irritation
Die erste Verfahrenswoche im Hamburger PKK-Prozess gegen Kadri Saka war geprägt von Irritationen über die Richterin und der Atmosphäre eines Kreuzverhöres.
Die erste Verfahrenswoche im Hamburger PKK-Prozess gegen Kadri Saka war geprägt von Irritationen über die Richterin und der Atmosphäre eines Kreuzverhöres.
Vor dem 4. Senat des Oberlandesgerichts Hamburg ging am Freitag die erste Verhandlungswoche gegen den wegen PKK-Mitgliedschaft angeklagten kurdischen Aktivisten Kadri Saka aus Bremen zu Ende. Hatte die Vorsitzende Richterin Taeubner am ersten Verhandlungstag neben der Feststellung der Personalien, der Verlesung der Anklage und einem Einstellungsantrag der Verteidigung noch mit einer regelrechten Charmeoffensive für eine Einlassung beziehungsweise Erklärung Kadris geworben und versucht, alle Beteiligten für sich einzunehmen, zeigte sie am zweiten und dritten Verhandlungstag sehr bald ein anderes Verhalten.
Versuchtes Konstrukt hierarchischer Vereinsstruktur
Zunächst begrüßte sie am zweiten Verhandlungstag noch die Verfahrensbeteiligten und die aus etwa 15 Besucher:innen bestehende Öffentlichkeit des Prozesses freundlich und fasste für alle den ersten Verhandlungstag zusammen. Danach begann die Richterin mit der Zustimmung des Angeklagten eine Befragung über seine persönlichen Verhältnisse und seine Biografie: Kadri Saka kam 1999 aus Nordkurdistan nach Bremen und bekam 2003 politisches Asyl. Er lebt seit 1999 in der Hansestadt, ist verheiratet, hat Kinder und Enkelkinder und erhält verschiedene Sozialleistungen, unter anderem eine Erwerbsminderungsrente und eine geringe Aufwandsentschädigung für die Arbeit im kurdischen Verein Biratî in Bremen. Einen inhaltlichen Schwerpunkt seines Lebens sieht er darin, sich für die Interessen der kurdischen Bevölkerung durch die Vereinsarbeit einzusetzen. Dafür hätte er bereits mehrere Monate im Gefängnis gesessen.
Kadri Saka beim Prozessauftakt am 15. Juli © Mehmet Zahit Ekinci / Yeni Özgür Politika
Während Kadri Saka im weiteren Verlauf der Befragung durch die Richterin versucht, die kollektive Arbeitsweise der im Biratî-Verein aktiven Personen darzustellen, schafft die Richterin – statt verstehen zu wollen – zunehmend die Atmosphäre eines Kreuzverhöres, indem sie aus seinen Antworten eine hierarchische Struktur und Arbeitsweise und die Verantwortungen bestimmter Personen darin zu konstruieren versucht. Unter anderem fragt sie nach dem Verhältnis zu Mustafa Çelik und Mehmet Çakas, die beide als Kader der PKK verurteilt wurden. Kadri Saka gibt an, beide gut gekannt zu haben, da sie Teil der kollektiven Arbeit in Bremen gewesen seien. Zu Kenan Ayaz, gegen den parallel der 8. Senat in Hamburg verhandelt, bestehe ein entferntes Verwandtschaftsverhältnis.
Im Weiteren geht es in den Fragen der Vorsitzenden Richterin um die Art der Spendensammlungen und ihre Höhe, die Kosten der Vereinsarbeit, die daraus finanziert wurde, die Anmeldung von Demonstrationen, den Verkauf von Tickets für Veranstaltungen und Busfahrten zu Veranstaltungen und die Auftragsvergabe an die Busunternehmen. Die Richterin erfragt, ob es stimme, dass es Kondolenzbesuche für gefallene Kämpfer der YPG gab und er an diesen teilgenommen habe. Kadri antwortet damit, dass er eine Frau kenne, die einen Bruder hatte, welcher in Rojava als Kämpfer fiel und dessen Trauerfreier in Bremen abgehalten wurde, während er selbst schon in Untersuchungshaft in Hamburg war.
Fehlendes Verständnis von selbstorganisierten Streitschlichtungen
Als Nächstes merkt die Richterin an, dass Kadri Saka eine Stellung als Streitschlichter in seinem sozialen Umfeld innegehabt haben soll, und wünscht von ihm eine genauere Erklärung dazu. Er bejaht dies und äußert, zwei kurdischstämmige junge Männer, einer davon Alevit, die einen Konflikt hatten und gegenseitig Strafanzeige erstatteten, miteinander erfolgreich versöhnt zu haben. Ein anderer Vorfall sei mit seiner eigenen Betroffenheit verknüpft: So habe ein Mann eine Kundgebung mit hauptsächlich kurdischen Frauen misogyn und aufs Übelste beschimpft. Es kam zum Handgemenge; Kadri und ein anderer Vereinsgänger wurden von diesem Mann angegriffen und verletzt. Im Zuge der Auseinandersetzung sei der Mann von einer unbekannten Person niedergestochen worden. Kadri habe einige Zeit später Kontakt mit dem Mann aufgenommen und ihn und seine Frau zu Hause besucht. Bei diesem Treffen sei es dann zur Aussöhnung gekommen. Dennoch habe die Polizei den niedergestochenen Mann gedrängt, eine Anzeige zu erstatten. Die Anklage wegen versuchten Totschlags wurde später fallen gelassen.
Verteidigung kritisiert Senat
Der dritte Prozesstag am Freitag sollte eigentlich beginnen, wie der letzte geendet hatte. Kadri Saka bekam die Möglichkeit, seine Stellungnahme fortzusetzen. Zunächst ergriff jedoch die Verteidigung das Wort und kritisierte den Senat, den Fokus weg von Kadri Sakas Lebensgeschichte verschieben zu wollen. Es würde versucht, seine Erzählungen an ein vorbestimmtes Muster eines „Superkaders“ anzupassen. Dabei hatten die Fragen wenig Bezug zu seiner Lebensgeschichte und stattdessen wurde viel Zeit darauf verwendet, die Frage zu klären, ob und wie Kadri Saka, seit er in Deutschland lebt, gearbeitet hat – eine Frage, die sich in Bezug zur Arbeitserlaubnis bei geflüchteten Menschen in Deutschland und der Tatsache, dass er neunfacher Familienvater ist, eigentlich erübrigen sollte.
Kadri Saka erklärte, dass das politische Geschehen in Kurdistan und die persönliche Betroffenheit seiner Familie ihn psychisch stark belasten und das Engagement für den kurdischen Verein Biratî e.V. ihm den nötigen Halt und Sicherheit gebe. Der Senat betonte, dass die Bedenken der Verteidigung grundlos seien und man sich um offene Kommunikation bemühe.
Fragen zu Waffen in Kurdistan
Anschließend wollte der Senat Kadri Saka zu Fotos befragen, welche ihn in Kurdistan zeigen sollen. Bevor er erklären konnte, was er in Kurdistan gemacht hatte, kam es zu einem emotionalen Moment, als seine Anwältin berichtete, dass der Mandant aufgrund der Einziehung seines Passes am vorigen Abend nicht schlafen konnte, da er fürchtete, möglicherweise abgeschoben zu werden.
Die Richterin versuchte erneut zu beschwichtigen, nur um im Anschluss wieder ins Kreuzverhör zu gehen und Kadri Saka zu seinem Aufenthalt in Kurdistan zu befragen. Saka berichtete, dass er nach Kurdistan gereist war, um Informationen über gefallene Familienangehörige einzuholen und Bilder der Grabstätten zu machen. Zu diesem Zweck traf er auch seinen Cousin, mit welchem er als Teil einer größeren Gruppe eingeladen wurde, die Gräber der gefallenen Guerillamitglieder zu besuchen.
Die dabei entstandenen Fotos dienten nun dem Gericht für weitere Fragen. Unter anderem waren auf einigen der Fotos Waffen abgebildet, die den Senat ganz besonders zu interessieren schienen. Immer wieder sollte Kadri auf teils verschwommenen Bildern Maschinengewehre und Handgranaten identifizieren und dem Gericht damit Antworten liefern, die es augenscheinlich bereits hatte. Er erklärte, dass es in Kurdistan durchaus keine Seltenheit darstellt, dass auch Zivilpersonen Waffen bei sich führen und er deshalb bedenkenlos mit den Waffen posierte, da diese die Realität des kurdischen Widerstandes darstellen.
Vorwurf der Finanzierung von Terrorismus
Im weiteren Verlauf wollte das Gericht erneut genaueres über Kadri Sakas Tätigkeiten im Verein, insbesondere das Vorgehen bei Spendensammlungen und Streitschlichtungen wissen. Doch als er von zivilgesellschaftlichem Handeln in Vereinsstrukturen berichtete, suchte der Senat fieberhaft nach der ganz großen Verschwörung. So war es beispielsweise für die Richterin unverständlich, dass Veranstaltungen und Busanreisen kollektiv organisiert wurden und nicht alle Aufgaben zentral auf Kadri Saka entfielen. Während dieser also von Beträgen im drei- bis maximal vierstelligen Bereich erzählte, begab sich der Senat auf die Schatzsuche nach angeblichen 300.000 Euro, die Kadri gesammelt haben soll. Dabei verwies der Senat auch auf ein Außenwirtschaftsgesetz, welches relevant ist, falls solche Beträge ins Ausland geschickt werden, und verband dies auch mit dem möglichen Vorwurf der Finanzierung von Terrorismus.
Dem Gericht scheint auch das Verständnis von selbstorganisierten Streitschlichtungen komplett zu fehlen. Der Senat versuchte ein Bild der Streitschlichtung zu konstruieren, in welchem diese der Verhinderung der Strafverfolgung dienen würde, obwohl Kadri Saka mehrfach betonte, sogar angeraten zu haben, die Polizei in den angesprochenen Fällen hinzuzuziehen.
Kurz bevor der Prozesstag zu Ende ging, verkündete der Senat noch die Ablehnung des Einstellungsantrages der Verteidigung vom ersten Prozesstag. Inhaltlich wurde dies mit einer fehlenden Grundlage und Relevanz für den Prozess begründet. Die Rechtmäßigkeit der Verfolgungsermächtigung sei daher begründet. Jedoch wurde betont, dass die Situation in der Türkei im weiteren Verfahren berücksichtigt werden soll. Dies soll durch das Verlesen von Amnesty-International-Berichten beim nächsten Sitzungstag geschehen.
Der Termin beginnt am 12. August um 10:00 Uhr und wird voraussichtlich nicht allzu lange dauern. Für die Zwischenzeit wurde ein Selbstleseverfahren für eine Liste prozessrelevanter Urkunden angeordnet.