Im Gespräch mit ANF äußert sich Professor Dr. Norman Paech, emeritierter Hamburger Völkerrechtler und Buchautor, über die seit dem 19. November 20022 andauernden Angriffe des türkischen Regimes auf Nord- und Ostsyrien.
Der jetzige Krieg sei absehbar gewesen, so Paech: „Was wir seit langer Zeit haben heraufkommen sehen, ist, dass sich Erdogan im Schutze der NATO nicht an das Völkerrecht, nicht an die Menschenrechte hält, sondern seine wirklich zerstörerische Politik in fremde Länder trägt. Immer in den Nordirak, also nach Südkurdistan, jetzt nach Westkurdistan, schon der Überfall auf Kobanê, dann die in Besitznahme von Afrin und die immer wieder vollkommen rechtswidrigen und brutalen Angriffe gegen die Kurden im eigenen Lande, in Nordkurdistan.“
Klare Haltung gegen Erdogan nötig
Er persönlich halte es für „ausgesprochen schäbig und ausgesprochen schlecht, dass zum Beispiel die Innenministerin hier in der BRD nur sagt, Erdogan sollte seine Anschläge verhältnismäßig machen und sich zurückhalten“. Hingegen sei es notwendig, „dass die Bundesregierung jetzt endlich gegenüber Erdogan klar sagt, dass das, was er tut, mit dem Völkerrecht nicht zu vereinbaren ist, auch nicht mit den Prinzipien der NATO-Mitgliedschaft. Dieses muss er unterlassen“. Zudem solle man sich in der NATO überlegen, „wie man mit diesem Partner umgeht und ihn davon abhält, derart kriminelle Politik zu betreiben – die er ja seit Jahren macht, dieses ist nur sozusagen die plötzliche Explosion einer Kriminalität, die seit Jahren schon anhält“.
„Völkerrechtlich nicht zu legalisieren“
Der Völkerrechtler äußert folgende Einschätzung: „Es ist überhaupt nicht völkerrechtlich zu legalisieren, sondern es ist ein grober Verstoß gegen die UNO-Charta, gegen Artikel 2, Ziffer 4 und Ziffer 7, ,Eindringen in ein fremdes Land', ,Verletzung der Souveränität'.“ Aber auch die Überfälle auf die Bevölkerung in der Türkei und Nordkurdistan gehöre an sich vor den Internationalen Strafgerichtshof. Dieses sei allmählich so weit getrieben worden, dass die internationale Gemeinschaft sagen müsse, dass so etwas zu verfolgen sein.
„Ein weiteres finsteres Kapitel der NATO-Geschichte“
Der Krieg gegen die Kurd:innen in Rojava sei nun besonders tragisch, denn diese führten sei langem einen mehrseitigen Kampf, nicht nur gegen Erdogan, sondern auch gegen den IS: „Gegen den IS haben sie die USA unterstützt und haben dort einen heroischen Kampf gegen den IS gemacht – und das war erfolgreich. Und jetzt müssen sie sich gegen die Türkei wenden. Dieses ist eine übermäßige Aufgabe und Last für ein kleines Volk, welches eigentlich nur seine demokratische Weiterentwicklung im Auge hat und seine kulturelle Eigenständigkeit und seine Identität wahren will. Das ist eine furchtbare Situation und immer wieder muss es auch problematische Liaisons und Kooperationen eingehen, ob mit den Russen, ob mit den Amerikanern. Und sie werden faktisch immer im Stich gelassen, das ist eine Tragik, die die Kurden nun seit Langem, seit Jahrzehnten, kennen, aber dass das hier auf offener Bühne geschieht, dass dieses hier noch in dieser Republik keine angemessene Reaktion hat, das ist ein weiteres finsteres Kapital auch der NATO-Geschichte.“
Wirtschaftliche und militärische Sanktionen verhängen
Auf die Frage hin, was die Bundesregierung machen könne, sagte er: „Die Bundesregierung hätte eine Vielzahl an Möglichkeiten. Sie ist eng liiert mit Erdogan, aber sie ist auch abhängig, weil Erdogan die Flüchtlinge vor dem Übertritt nach Europa in seinem Lande hält, sie gibt sehr viel Geld dafür aus. Die Türkei ist ein NATO-Partner, der sozusagen eine Vorfront bis in die Golfstaaten aufrechterhält. Die Bundesregierung könnte durch Kürzung der Gelder, sie könnte durch Unterbrechung der militärischen Zusammenarbeit deutlich machen, dass so etwas überhaupt nicht geht innerhalb einer gemeinsamen Politik.“
Kriminalisierung der Kurd:innen in Deutschland stoppen
Zudem müsse die Kriminalisierung der Kurd:innen in der BRD gestoppt werden: „Die Bundesregierung ist ja leider auch so, dass sie immer wieder die Verfolgung der Kurden in Deutschland durch die Gerichte duldet. Auch dort könnte sie endlich einmal sagen, ,nein, wir schließen die Verfolgung nach diesem berühmten Paragraphen 129a/b, wir lassen das nicht mehr zu, dass Kurden und Kurdinnen, die ihrer bürgerlichen Arbeit hier nachgehen, immer wieder vor Gericht gestellt und dort verurteilt werden', alles nur im Auftrag und zur Erfüllung der Wünsche von Erdogan. Das könnte man unterbinden.“