Polizeiangriff auf Kizildere-Gedenken in Istanbul
In Istanbul ist erneut eine Kundgebung im Gedenken an das Kızıldere-Massaker von der Polizei angegriffen worden, es kam zu diversen Festnahmen.
In Istanbul ist erneut eine Kundgebung im Gedenken an das Kızıldere-Massaker von der Polizei angegriffen worden, es kam zu diversen Festnahmen.
Im Istanbuler Stadtteil Kadiköy ist eine Gedenkkundgebung anlässlich des fünfzigsten Jahrestages des Kızıldere-Massakers von der Polizei angegriffen worden. Aufgerufen zu dem Gedenken vor der Süreyya-Oper hatte das Bündnis „Vereinigte Kampfkräfte“ (Birleşik Mücadele Güçleri, BMG). Da der Kundgebungsort bereits Stunden zuvor von einem Polizeiaufgebot belagert wurde, wichen die BMG auf den Platz vor dem Volksbildungszentrum aus.
Die stellvertretende Vorsitzende der DP (Revolutionäre Partei), Burcugül Çubuk, ergriff das Wort und erklärte, dass der Kampf nicht in Kızıldere beendet wurde und auch heute noch weitergeht. Als sich die Menschenmenge in einem Demonstrationszug in Bewegung setzte, wurde sie von der Polizei mit Verweis auf ein Verbot des Landrats gestoppt. Die Aktivist:innen riefen „Nieder mit dem Faschismus, es lebe unser Kampf“ und wurden von Polizisten umstellt. Journalist:innen wurden unter Einsatz von Gewalt vom Platz gedrängt. Es kam zu zahlreichen Festnahmen.
Der HDP-Abgeordnete Musa Piroğlu protestierte gegen die Festnahmen und bezeichnete die Maßnahme als „Angriff auf diejenigen, die ihre Stimme gegen das Unrecht erheben und widersprechen, wenn Frauenmörder freigelassen und Arbeiter ausgebeutet werden“. Der in Kizildere getötete Revolutionär Mahir Çayan und seine Freunde hätten sich gegen das allgemeine Schweigen gewehrt und sich nicht wie Schafe zur Schlachtbank führen lassen, sagte Piroğlu: „Mahir Çayan hat gezeigt, was in diesem Land getan werden muss. Er hat revolutionäre Prinzipien bewiesen.“ Überall in der Türkei bildeten sich Schlangen für Brot und Sonnenblumenöl, die Menschen seien arbeitslos und arm, aber niemand dürfe diesen Zustand laut kritisieren. Das Gedenken an Mahir Çayan und Deniz Gezmiş bedeute, auch die heutige Finsternis nicht hinzunehmen.
Das Kızıldere-Massaker
Am 26. März 1972 entführte Mahir Çayan, führender Kopf der revolutionären Generation der 1968er und Mitbegründer der Volksbefreiungspartei/Front der Türkei (THKP-C), zusammen mit anderen linken Aktivisten zwei britische und einen kanadischen Techniker einer Radarstation in Ünye am Schwarzen Meer. Damit beabsichtigten sie, Deniz Gezmiş, Hüseyin Inan und Yusuf Aslan, die als Führer der THKO zum Tode verurteilt worden waren, freizupressen. Vier Tage später, am 30. März 1972, wurden Çayan und seine Freunde von einer Spezialeinheit aus dem Amt für besondere Kriegsführung im Generalstab im Dorf Kızıldere (heute Ataköy) in der Provinz Tokat in einem Feuergefecht erschossen. Der HDP-Ehrenvorsitzende Ertuğrul Kürkçü war der einzige aus der Gruppe, der überlebte.
Deniz, Yusuf und Hüseyin: Vertreter der revolutionären Jugendbewegung
Deniz Gezmiş, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan gehörten zu den wichtigsten Repräsentanten der linken Studenten- und Jugendbewegung in der Türkei. Sie waren ab Mitte der 1960er Jahre in der „Türkischen Arbeiterpartei“ (TIP) aktiv und hatten sich insbesondere durch militante Aktionen wie der Beteiligung an den Protesten gegen die 6. US-Flotte, die zu der Zeit in Istanbul vor Anker lag, gegen die in der Türkei stationierten US-Streitkräfte hervorgetan. Zu diesem Zeitpunkt protestierte die Jugend in vielen Ländern gegen die etablierten Institutionen und Herrschaftsformen. Die Geschichte von Gezmiş und seinen Weggefährten ist daher untrennbar verwoben mit den damaligen politischen Verhältnissen, die ihn und andere innerhalb der aufgespaltenen türkischen Linken den Weg in den militanten Widerstand wählen ließen. Am 6. Mai 1972 wurden Deniz Gezmiş, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan in Ankara hingerichtet.