Pinneberg: Gedenkkundgebung für Opfer rechter Gewalt

In Pinneberg hat eine Kundgebung im Gedenken an die Toten und Betroffenen rechter Gewalt stattgefunden. Zu der Zusammenkunft hatte das „Bündnis gegen Rechts im Kreis Pinneberg“ aufgerufen.

Mit Masken und Abstand haben sich am Samstag rund fünfzig Menschen auf dem Drosteivorplatz in Pinneberg versammelt, um auf die Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland aufmerksam zu machen und zu gedenken an Shlomo Lewin und Frida Poeschke, an Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin und alle anderen Betroffenen rechter Gewalt.

1980 markiert einen brutalen Höhepunkt rechter Gewalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Jahr entlud sich das gefährliche Potential der neonazistischen Kräfte, die sich seit dem Ende des Nationalsozialismus neu aufgestellt hatten. Die tödlichen Anschläge auf Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân in Hamburg, auf das Oktoberfest in München, sowie am 19. Dezember der Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen jährten sich 2020 zum 40. Mal - und nichts hat sich geändert. Am heutigen 19. Dezember sind auch die rassistischen Morde in Hanau genau zehn Monate her.

„Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Politik und Gesellschaft den Terror von rechts nicht registriert“, erklärte das „Bündnis gegen Rechts im Kreis Pinneberg“, das zur heutigen Kundgebung aufgerufen hatte. Die kontinuierliche Verdrängung der Gefahr, die von rechtem Terror ausgeht, erkläre, warum Politiker*innen immer wieder öffentlich mit Überraschung auf rechte Anschläge reagieren, wie etwa jüngst nach Halle und Hanau. „Oder es folgt direkt eine Welle des großen Schweigens, wie nach dem Anschlag in Henstedt-Ulzburg, der nur durch Zufall nicht tödlich endete.“

Das Schweigen und die Schuldabwehr der deutschen Gesellschaft seien die Grundlage dafür, dass rechter Terror und seine Opfer vergessen oder die Taten entpolitisiert werden. „Dieses Vergessen und die fehlende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Grundlagen und Voraussetzungen des Terrors machen ihn immer wieder möglich. Die Geschichte zeigt uns, dass wir uns beim Kampf gegen den rechten Terror nicht auf den Staat verlassen können. Wir fordern den Schutz aller Menschen vor rechter Gewalt als absolutes Mindestmaß gesellschaftlichen Zusammenlebens.“ Das Bündnis verlangt die Entwaffnung und Zerschlagung der Nazinetzwerke, die Auflösung des Verfassungsschutzes, die Entnazifizierung aller staatlichen Behörden und ein Ende der Kriminalisierung antifaschistischer und migrantischer Selbstorganisation.

Antifa Pinneberg: Kampf gegen Hass gemeinsam bestreiten

Die Antifa Pinneberg nannte die Namen aller bekannten Opfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland und erzählte ihre Geschichten. Nachfolgend dokumentieren wir die vollständige Rede:

„40 Jahre Angriffe, gebrochene Menschen, Mord, Totschlag und eine hassende Maschinerie, die am 8. Mai 1945 geschlagen, aber nicht vernichtet wurde!

22. August 1980: Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, ermordet durch einen Brandsatz in Hamburg.

26. September 1980: Gabriele Deutsch (17 Jahre alt), Robert Gmeinwieser (17), Axel Hirsch (23), Markus Hölzl (44), Paul Lux (52), Ignatz Platzer (6), Ilona Platzer (8), Franz Schiele (33), Angela Schüttrigkeit (39), Errol Vere-Hodge (25), Ernst Vestner (30), Beate Werner (11) wurden in München von der Wehrsportgruppe Hoffmann in die Luft gesprengt.

19. Dezember 1980: Shlomo Lewin und Frida Poeschke, ermordet von der Wehrsportgruppe Hoffmann in ihrem Wohnhaus in Erlangen.

1. Januar 1981: Sydi Battal Koparan, Kreis Ludwigsburg, mehrere Nazis töteten Sydi durch Schläge und Tritte. Sydi wurde nur 44 Jahre alt.

22. Juni 1982: Tevik Gürel, wurde mit 26 Jahren von Nazis erschlagen. Tatort Norderstedt.

24. Juni 1982: William Schenck (24), Rufus Surles (27) und der 21-jährige Mohamed Ehap wurden in Nürnberg von einem Rassisten erschossen.

17. Oktober 1982: Adrian Maleika (16 Jahre) wurde durch einen Stein am Kopf getroffen und ging zu Boden. Mitglieder des Fan-Clubs „Hamburger Löwen“ traten auf dem am Boden liegenden Adrain ein. Er erlag an einem Schädelbasisbruch und Hirnblutungen.

07. Januar 1984: Corinna Tattarotti wurde Opfer eines Brandanschlags der Gruppe Ludwig in München. Nach einigen Monaten erlag Corinna ihren Verletzungen.

26. August 1984: Döndü Satır, 40 Jahre alt, Zeliha und Rasim Turhan, 18, und deren Sohn Tarık Turhan, einen Monat alt, Çiğdem Satır, 7 Jahre alt, Ümit Satır, 5 Jahre alt, Songül Satır, 4 Jahre alt, starben bei einem Brandanschlag in Duisburg-Wanheimerort.

24. Juli 1985: Mehmet Kaymakçı, Nazis verfolgten ihn in Hamburg-Langenhorn, traten Mehmet zu Boden und warfen eine Betonplatte auf seinen Kopf. Mehmet wurde … Jahre alt.

21. Dezember 1985: Der 26-jährige Ramazan Avcı wurde in Hamburg-Eilbek von Nazis vor fahrende Autos getrieben, nachdem sie ihn vorher schon angegriffen hatten. Als ihn ein Auto anfuhr, trampelten sie auf Ramazan herum und schlugen mit Baseballschlägern und Axtstielen auf ihn ein. 3 Tage später am 24.12.1985 verstarb Ramazan aufgrund seiner schweren Verletzungen.

19. August 1987: Kiomars Javadi wurde nach einem vermeintlichen Diebstahl von Mitarbeiter*innen festgehalten. Der Lehrling Andreas U. nahm ihn 18 Minuten lang in den Würgegriff. Kiomars war schon nach 4-6 Minuten tot. Kiomars wurde nur 20 Jahre alt.

19. September 1987: Carlos Conceicao wurde in Staßfurg/Magdeburg von einem rassistischen Mob zu Tode getreten und geschlagen.

17. Dezember 1987: Osman Can (49), seine Ehefrau Fatma (43), sein Sohn Mehmet (11) und Jürgen Hübener (47), erstickten und verbrannten als der 19- jährige Josef Saller, Mitglied in der Nationalistischen Front, einen Brandanschlag auf das Wohnhaus verübte.

12. Mai 1989: Ufuk Şahin wurde niedergestochen im Märkischen Viertel in Berlin. Die folgende Trauerdemo wurde von Nazis massiv angegriffen.

Weitere unzählige Angriffe prägten die 1980er Jahre. Um einen Einblick zu bekommen, wie Nazis und Rechtsterroristen, ihre psychisch tötende Ideologie, physisch umsetzten, lohnt sich ein Rückblick.

Begünstigt durch die Bundestagswahl 1966 mit einem Bündnis aus CDU/CSU und SPD, sowie die Wirtschaftskrise 1966/67, schaffte es die 1964 gegründete NPD Wähler*innen auf ihre Seite zu ziehen. Zwischen 1966 und 1968 saßen Nationale Sozialisten der NPD in insgesamt 7 Landesparlamenten mit 61 Mandatsträgern. Der Einzug 1969 in den deutschen Bundestag wurde mit 4,3 Prozent knapp verfehlt. 24 Jahre nach dem Ende des Naziregimes stimmten 4,3 der bundesrepublikanischen Bürger*innen wieder für eine offen antisemitische, rassistische, faschistische Partei!

Durch die nun neue Rolle der CDU, der der Opposition, nach der Bundestagswahl 1969 mit Willy Brandt als Bundeskanzler und einer sozialliberalen Opposition der SPD und FDP, fischte die CDU/CSU massiv am rechten Rand und verpasste sich einen extremen Rechtsruck.

Das Plädieren gegen die neue Ostpolitik und gegen die gesellschaftspolitischen Reformideen der Sozialliberalen, brachten enorme Stimmenzuwachse in die CDU/CSU und Wähler*innenabgänge aus der NPD hinüber zur CDU/CSU. Spätestens hier beginnt die Aufsplitterung der alten/neuen Nazis innerhalb der NPD.

Der aktionistische Flügel der NPD bewegte sich zusehends in Richtung illegaler Methoden und praktizierte diese auch. Sie waren Wegbereiter für die in den 1970er Jahren aufkommenden neonazistischen Kampfgruppen, die ab da an durch terroristische Aktivitäten auffielen.

Allen voran die Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS), die Volkssozialistische Bewegung Deutschlands (VSBD), die Deutschen Aktionsgruppen (DA) und die Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann.

Ein weiterer Flügel, aus Intellektuellen innerhalb der NPD erarbeiteten eine geistige Erneuerung der theoretischen Grundlagen des extremen Rechten. Ab Mitte der 1970er Jahre erwuchsen dadurch u.a. Anschlüsse an die Ökobewegung und eine Vernetzung mit dem rechten Flügel der CDU, die gemeinsam gegen die Sozialliberalen vorgingen. Ein weiteres Resultat dieser Aktionen war 1971 die Gründung der DVU, die noch etliche Jahre für Aufsehen sorgen würde.

Auffallend in den 1970er Jahren waren die Aufsplitterungen und gleichzeitig stark ansteigende Gewaltbereitschaft und Militanz der Neonazis. Bis 1967 verzeichneten die Ämter 39.000 Mitglieder*innen, diese sank bis 1979 auf 17.000.

Die 1980er Jahre erzeugten ein neues Phänomen. Der Nationalsozialismus zeigte sich in allen westeuropäischen Staaten. Sozialer Wandel, Massenarbeitslosigkeit, geringes Wirtschaftswachstum, kaum erkennbare Sozialausgaben, politische Veränderungen in Osteuropa und die wirtschaftliche und politische Globalisierung waren und sind nun der vermehrte Katalysator der „neuen“ extremen Rechten.

1982 die Regierung unter Helmut Kohl erteilt der DDR einen Milliardenkredit. Grund genug für etliche Rechte im Umfeld der CDU/CSU eine neue Partei zu gründen. Fortan schwamm die Partei „Republikaner“ im Becken der extremen Rechten mit.

Der Auftrieb der extremen Rechten machte sich auch an den organisierten Mitgliedszahlen deutlich, sie stiegen bis 1989 auf 50.000 Personen an. Seit 1990 gibt es ein massives Ausmaß an Übergriffen, pogromartigen Anschlägen, Morden durch Nazis in Deutschland. Unzählige Kameradschaften schossen aus dem Boden. Ihre Radikalisierung bis hin zu terroristischen Zusammenschlüssen waren für viele Menschen ein alltägliches Bedrohungsszenario.

Hoyerswerda, vom 17. bis 23. September 1991, bis zu 500 Menschen beteiligten sich an den Angriffen auf ein Wohnheim für Vertragsarbeiter*innen und ein Geflüchtetenheim. Die Polizei griff nicht ein und so konnten Nazis und Rassisten fast eine Woche ungehindert Angriffe verüben und Molotov-Cocktails auf die Häuser werfen.

Hoyerswerda war der Auftakt einer Reihe von gewalttätigen bis hin zu tötenden Aktionen der Nazis. Brandanschläge wie am 23. November 1992 in Mölln, bei dem Bahide Arslan (51), Yeliz Arslan (10), Ayşe Yılmaz (14), getötet wurden und neun weitere Menschen schwer verletzt wurden, reihten sich ein in tägliche Übergriffe von Nazis auf Antifas, Migrant*innen, Gewerkschafter*innen und allen Menschen, die nicht in das Weltbild der Nazis passten.

Auch am 16. Januar 1996 verübten Nazis einen Brandanschlag in Lübeck. Es starben 10 Menschen, davon 7 Kinder und Jugendliche.

Vom 22. bis zum 26. August 1992 attackierten bis zu 1000 Jugendliche und Erwachsene Seite an Seite mit organisierten Nazis, viele aus der alten BRD das sogenannte Blumenhaus, welches sie schlussendlich unter dem Applaus von bis zu 3000 Anwohner*innen anzündeten, eindrangen, alles kurz und klein schlugen. Die Feuerwehr wurde angegriffen und die Polizei war nur mit einem minimalen Aufgebot vor Ort. Unterstützungskräfte wurden an und wieder abgezogen.

Angereiste Antifaschist*innen die sich den Nazis in den Weg stellten, wurden umgehend von der Polizei in Gewahrsam genommen, während die Nazis ungestört die Häuser angriffen und diese in Brand steckten.

Die Polizei zog sich über Stunden zurück… der deutsche Mob johlte

Ein knappes halbes Jahr zuvor ermordeten die bekannten Nazis Stefan Sillar und Stefan Kronbiegel, den Kapitän Gustav Schneeclaus in Buxtehude. Gustav äußerte sich zu Recht abwertend Adolf Hitler gegenüber und nannte ihn bei dem was er war: „Einer der größten Verbrecher.“ Somit war sein Tod besiegelt. Sie traten ihn mit ihren Springerstiefeln nieder, kurze Zeit später kamen sie mit einem Kantholz bewaffnet zurück und schlugen mehrmals auf Gustav ein.

Die 1990er Jahre waren geprägt von täglichen Auseinandersetzungen mit Nazis. Antifaschistische Gruppen organisierten ihren Selbstschutz und forderten zugleich ein geschlosseneres Auftreten gegen Nazis auf der Straße, in den Schulen, in den Betrieben und in den Amtsstuben.

Köln, 9. Juni 2004 – Der NSU verübt einen Nagelbombenanschlag in der Keupstraße. 22 Menschen werden verletzt.

Butangasflasche, 5,5 Kilo Schwarzpulver und 800 Eisennägel. Es wird vor nichts mehr zurückgeschreckt.

Kassel: Der 1. September 2019 markiert eine bis dahin noch nicht vorgekommene Aktion. Der CDU-Politiker und Regierungspräsident Walter Lübcke wird von einem Nazi mit einem Kopfschuss ermordet.

Halle, 9. Oktober 2019: Stephan B. versucht die örtliche Synagoge zu stürmen. Nach massiven Versuchen durch die Tür zu kommen wendete er sich ab und tötete Jana Lange und Kevin Schwarze, weitere Menschen verletzte er schwer.

Der 19. Februar 2020 ist der jüngste Anschlag mit Toten von Nazis. Und zeigt wieder einmal die brutale, menschenverachtende Ideologie, die schlagartig ihre Umsetzung finden kann.

Say their names!

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nessar Hashemi, Mercedes K., Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.

Auch schon als Shlomo und seine Lebensgefährtin Frida ermordet wurden, ermittelte die Polizei vorrangig in deren Bekanntenkreis.

Exakt das, was sie zu den Morden des NSU getan haben. Abgeduckt und die Morde als Auftragsmorde und / oder Streitigkeiten „untereinander“ deklarieren. Wir vergessen nichts und niemanden!

Enver Şimşek – 9. September 2000, Schlüchtern

Abdurrahim Özüdoğru 13. Juni 2001, Nürnberg

Süleyman Taşköprü, 27. Juni 2001, Hamburg

Habil Kılıç, 29. August 2001, München

Mehmet Turgut, 25. Februar 2004, Rostock

İsmail Yaşar, 09.Juni 2005, Nürnberg

Theodoros Boulgarides, 15. Juni 2005, München

Mehmet Kubaşık, 04. April 2006, Dortmund

Halit Yozgat, 06.April 2006, Kassel

Michèle Kiesewetter, 25.April 2007, Heilbronn

Jüngst im Oktober verübte in Henstedt-Ulzburg ein Nazi eine Anschlagsfahrt auf Antifaschist*innen. Er fuhr mit seinem 3,5 Tonnen schweren Pick-Up aus der Parklücke auf den Gehweg, erfasste dort zwei Menschen, fuhr weiter und fuhr nach 30 Metern eine junge sich im Weglaufen befindliche Frau und erfasste auch diese, ihre Begleitung konnte sich zwischen die Autos retten. Auch diese Tat zeigt, nichts ist verschwunden, sie sind da und sie machen weiter.

Lasst uns gemeinsam den Kampf gegen ihren Hass weiter bestreiten. Jede*r mit seinen/ihren Mitteln, aber kämpferisch und zielführend. Für eine Welt ohne Grenzen, ohne Hass.“