Paris: Flüchtlingslager im Lockdown „vor Explosion“

Über 2.000 Menschen leben in einem provisorischen Flüchtlingslager in Saint-Denis am Nordrand von Paris. Aufgrund des Corona-Lockdowns droht das angespannte Klima in dem Camp zu eskalieren.

In Frankreich leben viele Schutzsuchende praktisch in Obdachlosigkeit. Auch dies ist Ausdruck des Abschreckungsregimes der EU. Statt menschenwürdige Unterkünfte zu bieten, wird an den Schutzsuchenden ein Exempel statuiert, das andere von der Reise nach Europa abhalten soll Die Situation der obdachlosen Schutzsuchenden in Frankreich hat sich durch den am 30. Oktober verhängten Corona-Lockdown deutlich verschärft. So sind 2.000 Schutzsuchende in einem informellen Zeltlager in Paris Saint-Denis de facto sich selbst überlassen. Der Mangel an Nahrungsmitteln, Hygiene und die Angst vor Corona führt zu einer explosiven Lage. Diverse Hilfsorganisationen fordern die schnellstmögliche Auflösung des Lagers und die Unterbringung der Schutzsuchenden in angemessenen Unterkünften. Gegenüber InfoMigrants erklärt Corinne Torre von Ärzte ohne Grenzen (MSF): „Sie alle wurden einfach ohne irgendeinen Backupplan auf der Straße alleine gelassen. Und das, obwohl wir die Behörden seit Monaten warnen. Ich bin sehr besorgt.“

Die Schutzsuchenden, viele von ihnen aus Afghanistan, leben in äußerst prekären Verhältnissen. Die meisten von ihnen schlafen in Zelten, aber einige haben nicht einmal das und sind gezwungen, auf Planen auf dem Boden zu schlafen. Dies allein stellt vor dem Hintergrund des beginnenden Winters eine Gesundheitsgefährdung dar. Hinzu kommt die Tatsache, dass soziale Distanzierung gegen die Pandemie praktisch unmöglich ist.

Die örtlichen Behörden haben vor kurzem zehn Waschraumkabinen und sechs Urinale im Lager installiert, nachdem sie von Hilfsgruppen dazu gedrängt worden waren. „Wir haben sie nicht früher installiert, weil die Polizei in Seine-Saint-Denis uns mitteilte, dass sie das Lager evakuieren würden“, erklärt Oriane Filhol, stellvertretende Bürgermeisterin, die für die sozialen Solidaritätsdienste des Rathauses zuständig ist, gegenüber dem Flüchtlingsportal Defensiv.

Die Menschen haben Hunger“

Neben der katastrophalen Sanitärsituation im Lager mangelt es außerdem an Nahrung. Hilfsorganisationen warnen vor wachsenden Hunger im Lager. Torre von MSF warnt, den Schutzsuchenden sei es, nachdem sie aus der Hauptstadt „gejagt" wurden, kaum noch möglich, die normalen Lebensmittelverteilungsstellen zu erreichen, die sich in den nördlichen Vororten Aubervillier und Saint-Ouen befinden. „Den Migranten ist jegliche Bewegung verboten“, sagt Torre und verweist auf die strengen französischen Sperrregeln, nach denen sich Menschen nur unter außergewöhnlichen Umständen im Freien bewegen dürfen. Solche Bewegungen müssten begründet und mit einer Genehmigung bekräftigt werden. Viele der Schutzsuchenden erfüllen die Bedingungen für diese Form der Freizügigkeit nicht, aber selbst wenn sie es täten, verstünden viele Französisch nicht gut genug, um die Formulare ausfüllen zu können, sagt Torre. Wer ohne Genehmigung auf den Straßen erwischt wird, riskiert ein Bußgeld von bis zu 135 Euro.

Aber nicht nur das, diejenigen, die auf der Suche nach Nahrung das Camp verlassen, müssen fürchten, dass ihnen ihr Zelt von Menschen, die noch keins haben, weggenommen wird.

Kurz vor der Explosion“

Torre erklärt, dass die steigenden Spannungen im Lager eine „Situation geschaffen haben, die kurz davor ist zu explodieren“. Die beste Lösung wäre daher, das Lager zu evakuieren und den Schutzsuchenden „so bald wie möglich“ eine alternative Unterkunft anbieten. Wenn das Lager nicht schnell abgebaut wird, stehen wir vor ernsten Problemen“, sagt sie. Anfang dieser Woche wurde ein Lagerbewohner nach einem Herzstillstand ins Krankenhaus gebracht.

Turnhallen haben COVID-19-Cluster geschaffen“

Torre empfiehlt, die Schutzsuchenden in Hotels unterzubringen anstatt provisorische Unterkünfte in Turnhallen einzurichten, wie es während der Sperrung vom 17. März bis 11. Mai der Fall war. „Die Turnhallen haben COVID-19-Cluster geschaffen“, erklärt sie. Eine von MSF im Oktober veröffentlichte Studie bestätigt, dass die COVID-19-Infektionen bei Menschen, die in Notunterkünften untergebracht wurden, erheblich höher waren als bei Menschen, denen andere Unterkünfte in der Region Île-de-France angeboten wurden.

Die Kommunalverwaltung von Saint-Denis besteht darauf nichts zu unternehmen, da sie die lokale Präfektur gebeten hat, das Lager für mehrere Monate zu evakuieren, um den Schutzsuchenden bessere Unterbringungsmöglichkeiten zu bieten. „Man sagt uns jedes Mal, dass es ‚bald' geschehen wird, aber es geschieht nichts“, erklärt die Bürgermeisterin gebetsmühlenartig. Weder die Präfekturen der Île-de-France noch die von Saint-Denis reagierten auf die Bitten um Stellungnahme von InfoMigrants.