Nürnberg: Protest gegen türkischen Staatsterror

In Nürnberg ist gegen die Absetzung kurdischer Bürgermeister durch das türkische Innenministerium protestiert worden. Die Polizei beanstandete ein Transparent wegen „beleidigendem Inhalt“.

Das „Bündnis für Frieden in Kurdistan“ hat heute in der Nürnberger Innenstadt zur Kundgebung gegen den politischen Putsch des türkischen Staates aufgerufen. Dem sind neben vielen Kurd*innen auch zahlreiche türkische und deutsche Aktivist*innen aus verschiedenen Gruppen gefolgt. Dabei waren unter anderem Medya Volkshaus, HDK-A, HDP, AGIF, ATIK, iL, OA, Roja, SYKP, Rote Hilfe und das Antifaschistische Aktionsbündnis. In mehreren Redebeiträgen wurde nicht nur die Absetzung der gewählten HDP-Bürgermeister*innen und die anschließende Polizeigewalt gegen den Protest thematisiert, sondern auch ein Bogen geschlagen zur Bedrohung von Rojava, zu den militärischen Angriffen auf die Selbstverteidigung der HPG in Südkurdistan und zu den aktuellen Ereignissen in Europa wie der zeitgleich in Dresden stattfindenden #Unteilbar-Demonstration, dem bevorstehenden Antimilitarismus-Camp gegen Rheinmetall und der G7-Konferenz in Frankreich. Dort wurden drei Aktivisten aus Nürnberg gestern verhaftet und in einem Schnellverfahren zu zwei bzw. drei Monaten Haft verurteilt.

Die Kundgebung wurde durch zwei Zwischenfälle unterbrochen: Die Polizei beanstandete ein Transparent wegen „beleidigendem Inhalt“. Gemeint war die Aufschrift „Gegen jeden Polizeistaat“ gefolgt von der Zahlenkombination 1312. Diese wurde assoziiert mit dem Kürzel „ACAB“, was wiederum eine Abkürzung für „All cops are Bastards“ bedeuten soll. Ein zweiter Zwischenfall ereignete sich, als islamistische Passanten die Teilnehmer*innen der Kundgebung beschimpften und bedrohten.

In ihrem Redebeitrag fasste die Interventionistische Linke (iL) die Ereignisse in Kurdistan und der Türkei zusammen und forderte auf, Solidarität zu zeigen mit der HDP, mit der Freiheitsbewegung, mit allen politischen Gefangenen, sei es in Amed, Istanbul, Imrali oder Biarritz. Wir veröffentlichen hier diesen uns vorliegenden Beitrag, der mit den Worten endet „Berxwedan Jiyane – Widerstand ist Leben“:

„Seit die Friedensgespräche mit der PKK 2015 einseitig von Recep Tayyip Erdoğan beendet wurden, führt die türkische Regierung wieder Krieg gegen die kurdische Bevölkerung. Dieser Krieg findet zeitgleich überall dort statt, wo sich Kurden und Kurdinnen organisieren, um eine demokratische Gesellschaft nach den Ideen von Abdullah Öcalan aufzubauen.

In Südkurdistan greift die türkische Armee mit der Unterstützung des korrupten Barzani-Clans täglich Stellungen der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten an. Stück um Stück wird das Land okkupiert.

An der Grenze zu Rojava mobilisiert Erdoğan schon seit Monaten seine Truppen und seine dschihadistischen Verbündeten. Ein Angriff auf die demokratische Föderation Nordostsyrien konnte bisher durch US-amerikanische Intervention aufgehalten werden. Die Gefahr ist aber längst nicht gebannt.

In Bakur, also im kurdischen Teil der Türkei, greift der türkische Staat immer wieder die demokratische Partei der Völker an. Die HDP ist ein linkes Projekt, in dem sich mehrheitlich, aber nicht ausschließlich, Kurden und Kurdinnen zusammengeschlossen haben. Sie sind die Alternative zum Machtblock der faschistischen AKP/MHP und der nationalistischen CHP. Sie sind die dritte Kraft, die auf Demokratisierung, Ökologie, Frauenrechte und Selbstbestimmung setzt.

Nach den ersten Wahlerfolgen der HDP 2015 erkannte Erdoğan die Bedrohung seiner Macht. Was folgte, ist bekannt: Präsidialdiktatur, Absetzung von gewählten Abgeordneten, erbarmungsloser Krieg gegen die Freiheitsbewegung mit Massenverhaftungen, Folter, Zerstörung von Städten und Niederbrennen ganzer Landstriche, um der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung die Lebensgrundlage zu entziehen. Der Angriff auf Afrin 2017 war nur ein Höhepunkt des Vernichtungsfeldzugs gegen die kurdische Bewegung.

Immer mehr Beweise kamen ans Tageslicht, die die Kooperation des türkischen Staats mit dem sogenannten Islamischen Staat belegten. Während die Türkei ausgab, Teil des Anti-IS-Bündnisses zu sein und der Welt glauben machen wollte, sie führe einen „Kampf gegen den Terror“, ging es in Wirklichkeit immer darum, die kurdische Bewegung zu vernichten.

Letzten Montag dann der nächste Schlag gegen die HDP: Die demokratisch gewählten Bürgermeister*innen von Amed (Diyarbakir), Mêrdîn (Mardin) und Wan (Van) wurden über Nacht vertrieben und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt. Dazu passte dann auch die Ansage vom Innenmister, die Bevölkerung habe eben „falsch gewählt“. Seit Montag gab es in den kurdischen Hochburgen, aber auch in vielen Städten der Westtürkei Proteste dagegen. Sie wurden und werden mit bekannt-brutaler Polizeigewalt niedergeknüppelt. Wir alle kennen die Bilder.

Ist dieser Krieg gegen die Guerilla der Freiheitsbewegung, sind die Drohungen gegen Rojava, ist der politische Putsch vom 19. August nun eine Taktik der Ablenkung von den miserablen Zuständen innerhalb der Türkei? Die türkische Wirtschaft schwächelt, außenpolitisch ist Erdoğan relativ isoliert, seine AKP droht zu zerbröseln, langjährige Gefolgsleute überlegen die Gründung eigener Parteien. Schon immer beantwortete das türkische Regime innenpolitische Krisen mit einer Verschärfung des Kriegs gegen die Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Mit der nationalistischen Karte konnte schon seit Mustafa Kemal (Atatürk) die türkische Bevölkerung eingefangen und zur Staatstreue verpflichtet werden.

Es liegt jetzt an den Völkern in der Türkei, nicht mehr darauf reinzufallen. Nur durch gesellschaftliche Organisierung kann eine breite demokratische Gegenbewegung den türkischen Faschismus aufhalten. Der Widerstand in allen Teilen der Türkei lässt hoffen. Was für ein Mut, mit dem sich die Menschen tagtäglich den Gasgranaten, Pfefferspray und Wasserwerfern entgegen stellen!

Ihr Erfolg wird auch beeinflusst werden vom Widerstand außerhalb der Türkei. So wie heute hier in Nürnberg kommen in ganz Europa Menschen zusammen, um ihren Protest gegen den türkischen Staat auf die Straße zu tragen. Wir müssen in die Öffentlichkeit zerren, was für die deutschen Medien meist kein Thema ist. Die Bundesrepublik hüllt sich zu den Verbrechen in der Türkei deshalb in Schweigen, weil sie Waffenexporte und damit Gewinne der Rüstungsindustrie und Investitionen nicht gefährden will. Natürlich spielt auch die Rolle der Türkei als Türsteher für die EU gegen Geflüchtete eine Rolle. Und natürlich soll Ankara in der Nato gehalten werden. Es sind letztlich ökonomische, geostrategische und imperialistische „Sachzwänge“, die Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte hintan stehen lassen. Sorgen wir dafür, dass dies zumindest immer wieder skandalisiert wird.

Als Teil des Netzwerks RiseUp4Rojava rufen wir als Interventionistische Linke zur Teilnahme am Camp gegen Militarismus und gegen den deutschen Waffenhersteller Rheinmetall auf. Am 6. September wird das Werksgelände von Rheinmetall im niedersächsischen Unterlüß blockiert werden. Am 7. September findet dort eine große Demonstration statt. Die RiseUp4Rojava-Kampagne bezieht sich in ihrem Aufruf auch auf die deutsche Internationalistin Andrea Wolf. Sie kämpfte in den Bergen Kurdistans und fiel 1998 im Kampf gegen die türkische Armee. In einem Brief schrieb sie:

„Ich würde mir wünschen, dass es in den Metropolen Bewegungen gäbe, die diesen Krieg angreifen, unmöglich machen würden. Einfach den Nachschub kappen.“

Wenn der türkische Staat Rojava angreifen sollte, dann ist das für uns der TAG X. Dann versammeln sich weltweit Menschen um 18 Uhr auf Straßen und Plätzen für die Revolution in Rojava. Wir werden einen permanenten politischen Widerstand aufbauen, der in der Lage ist, die Zusammenarbeit mit dem türkischen Faschismus in unseren Ländern zu verhindern. Für Nürnberg gilt die Verabredung: 18 Uhr Lorenzkirche am TAG X.

Heute demonstrieren in Dresden unter dem Motto #Unteilbar Zehntausende für eine solidarische Gesellschaft. Auch der kurdische Dachverband KON-MED hat dazu aufgerufen und gemeinsam werden wir gegen den Rechtsruck und für eine offene, demokratische Gesellschaft eintreten.

Heute beginnt auch im französischen Biarritz der G7-Gipfel, wo die nächsten Schweinereien und Kriege unter den sogenannten Mächtigen der Welt ausgekungelt werden. Wie wir erfahren haben, sind drei Genossen aus Nürnberg verhaftet worden. Sie waren auf dem Weg zum Campen in Spanien und gerieten in Polizeikontrollen. Vermutlich durch Weitergabe von Listen „politisch motivierter Kriminalität“ des deutschen Staatschutzes an Behörden in Frankreich gerieten die drei in Verdacht und wurden gestern zu zwei bis drei Monaten Haft und einer Einreisesperre von fünf Jahren verurteilt.

Was wir daraus lernen? Nicht nur in Kurdistan, in der Türkei auch in Europa wie überall auf der Welt werden Aktivist*innen verfolgt, kriminalisiert, weggesperrt, weil sie für Freiheit und eine Demokratie von unten eintreten.

Was dagegen hilft: Solidarität und gemeinsamer Widerstand. Die Freiheitsbewegung hat dafür einen Slogan: Berxwedan Jiyane – Widerstand ist Leben.