Nürnberg: Gerichtliches Nachspiel einer Anti-Abschiebedemo

Nach einer Demonstration in Nürnberg gegen eine versuchte Abschiebung wird ein Aktivist wegen Verstoß gegen das Versammlungsverbot angeklagt. Es droht eine hohe Geldstrafe.

Am kommenden Mittwoch wird vor dem Amtsgericht Nürnberg gegen einen Aktivisten verhandelt, der vor einem Jahr an einer Demonstration gegen eine geplante Abschiebung teilgenommen haben soll.

Der spontane Protest war die Antwort der Anwohner*innen auf den massiven Polizeieinsatz bei dem Versuch, den jungen Afghanen Jan Ali Habibi abzuschieben. Dieser lebt seit 2010 mit einer Duldung in Deutschland und nahm 2015 an einem Hungerstreik für die Rechte von Geflüchteten teil. Trotz seiner physischen Krankheit sollte er nach Afghanistan abgeschoben werden. Nach gängiger Praxis ersuchte die Ausländerbehörde polizeiliche Amtshilfe. Als eine Polizeistreife anrückte, geriet der Jugendliche in Panik und versuchte zu fliehen. Daraufhin wurden Spezialeinheiten von SEK und USK gerufen, die das Gebiet weiträumig abgeriegelten. Sondereinheiten in militärischer Kampfmontur und mit Sturmgewehren belagerten das Wohnviertel. Unter Einsatz von Blendschockgranaten erfolgte dann die Festnahme. Durch Gewalteinwirkung der Polizei wurde Habibi verletzt und musste sich in ärztliche Behandlung begeben. Aufgrund seines psychischen Zustandes konnte der geplante Abschiebeflug nicht stattfinden.

Viele Anwohner*innen haben die Eskalation dieser versuchten Abschiebung mitbekommen und versammelten sich am Abend zum spontanen Protest. Sie forderten „Hände weg von unseren Nachbar*innen“. Vor allem der unverhältnismäßig brutale Einsatz des SEK sorgte für Empörung. Schließlich stoppte die Polizei den schnell anwachsenden Demonstrationszug unter Einsatz massiver Gewalt. Dabei erlitten mehrere Teilnehmer*innen Verletzungen durch Knüppelschläge.

Einige Zeit später erhielt ein Aktivist eine polizeiliche Vorladung. Es wurde behauptet, er habe während der Demonstration eine Bengalfackel auf Polizeibeamte geworfen. Dies wertete man als gefährliche Körperverletzung. Laut Anwalt stützt sich dieser Vorwurf einzig auf die Aussage eines USK-Beamten, der sich in zivil unter die Demonstranten mischte.

Der Unterstützerkreis des Beschuldigten wies darauf hin, dass das USK (Unterstützungskommando Bayern) immer wieder für handfeste Skandale sorgte: „Seien es Neonazi-Aufkleber in einem USK-Fahrzeug 2014 in Würzburg, rechtsextreme und antisemitische Chatverläufe des Münchner USK 2019 oder Kriegswaffenmunition des USK, die bei dem mutmaßlichen Rechtsterroristen Marko G. gefunden wurde. Eine Objektivität des USK in Bezug auf linke Demonstrant*innen kann zumindest angezweifelt werden. Umso verheerender ist, dass erstmalig ein Versammlungsteilnehmer aufgrund der Aussage eines einzelnen Beamten, der verdeckt an einer Demonstration teilgenommen hat, angeklagt wird. Folglich läuft jeder Mensch, der das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wahrnehmen möchte, Gefahr, Opfer willkürlicher und falscher Behauptungen einzelner Beamt*innen zu werden.“

Vermutlich aufgrund der unsicheren Beweislage wurde dann im jetzt vorliegenden Strafbefehl von einer „gefährlichen Körperverletzung“ abgesehen. Der Vorwurf ist „nur“ noch ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Allerdings soll der Aktivist eine Geldstrafe von fast 5.000 Euro zahlen und wäre damit auch vorbestraft. Dagegen legte er Einspruch ein.

Der Unterstützerkreis meint: „Wir halten zusammen! Unsere Solidarität gegen ihre Repression!“ und fordert auf zur solidarischen Prozessbegleitung. Die Verhandlung findet statt am 10. Juni 2020 um 9:00 Uhr im Sitzungssaal 62, im EG des Amtsgerichts Nürnberg.