Nürnberg: Alle zusammen gegen den Faschismus

Unter dem Label „Antifa Enternasyonal“ hat in Nürnberg eine Kundgebung als Antwort auf die Angriffe der Grauen Wölfe in Wien und den anhaltenden türkischen Staatsterror stattgefunden.

Unter dem Label „Antifa Enternasyonal“ rief die Interventionistische Linke (iL) in Nürnberg  auf zu einer antifaschistischen Kundgebung. Anlass waren der permanente türkische Staatsterror in Südkurdistan, Rojava und Bakur sowie die Angriffe der rechtsextremen Terror-Organisation „Graue Wölfe“ auf Demonstrationen in Wien. Die Versammlung wurde bewusst in den Nürnberger Stadtteil St. Leonhard gelegt, da sich dort einer der lokalen Ülkücü-Treffpunkte befindet, deren Mitglieder der faschistischen Ideologie des türkischen Staates huldigen.

Ca. 150 Menschen – darunter Vertreter*innen von Medya Volkshaus, ATIK, AGIF, PdL und verschiedenen Jugendorganisationen – erklärten sich solidarisch mit der kurdischen Befreiungsbewegung und setzten sich in verschiedenen Beiträgen mit Faschismus und Rassismus in der Türkei und in Deutschland auseinander.

Neo-osmanische Großmachtphantasien

Die Rednerin der iL ging auf die Hinrichtung der drei „Kongreya Star“-Aktivistinnen durch einen türkischen Drohnenangriff in Kobanê ein und betonte die permanente Bedrohung vor allem der Frauen durch den türkischen Staat und seine islamistischen Verbündeten. Bei den Kriegen der Türkei gegen die Kurd*innen gehe es auch nicht um einen „vermeintlich von der PKK ausgehenden Terror“. Vielmehr seien es die dem türkischen Staat innewohnende frauenfeindliche, faschistoide Ideologie sowie der Wunsch des Recep Tayyip Erdogan, durch türkische Besatzung neo-osmanische Großmachtphantasien zu verwirklichen. Die Türkei wolle das bekannte Muster der Schuldumkehr propagieren, der Angegriffene trage die Verantwortung für den Angriff. Die historische Wahrheit sei, dass die PKK die Antwort auf Kolonialisierung und Unterdrückung ist.

„Warum verzweifelt ihr nicht?“

Im Redebeitrag des Medya Volkshauses, der ANF zur Verfügung gestellt wurde, wurde die Frage aufgeworfen, warum Kurd*innen angesichts der Massaker nicht verzweifeln. Und auch die Antwort darauf blieb man nicht schuldig:

„Liebe Freunde und Freundinnen, oft werden Kurd*innen gefragt: Warum verzweifelt ihr nicht? Schon diese Frage verrät zumindest rudimentäres Wissen über das, was meist nicht in deutschen Medien zu lesen ist.

Die deutsche Öffentlichkeit erfährt nichts über die täglichen Bomben, die Menschen in Südkurdistan töten. Die Angriffe auf das Flüchtlingscamp Mexmûr, in das Kurden in den 90er Jahren aus dem türkisch besetzten Nordkurdistan geflohen sind.

Kein Wort über die Angriffe auf die Eziden, die den sogenannten Islamischen Staat nur durch Hilfe der PKK und YPG/YPJ überlebt haben.

Nichts über die gezielten Tötungen durch Kampfdrohnen, bei denen erst kürzlich drei Aktivistinnen der Frauenbewegung Kongreya Star in Kobanê gefallen sind.

Schweigen, wenn dschihadistische Söldner die Ernte der kurdischen Dörfer anzünden oder der türkische Staat den Menschen in Rojava das Wasser abstellt.

Krieg, Plünderungen, Folter, Vergewaltigungen, Morde und Leichenschändungen sind Alltag in allen vier Teilen Kurdistans.

Warum verzweifelt ihr nicht?

Viele Kurd*innen mussten fliehen und leben mittlerweile im Exil in Europa. Doch auch hier gibt es für die meisten kein ruhiges Leben. Ein Festhalten der Türkei in der NATO, vielfältige Handelsbeziehungen und vor allem lukrative Waffenexporte machen ernsthafte Kritik am türkischen Staatsterror gefährlich. Wo schon längst mindestens Sanktionen fällig wären, herrscht Schweigen in den Medien und der Politik. Der türkische Weg in die Diktatur wird allenfalls stirnrunzelnd zur Kenntnis genommen. Das Ausbreiten türkischer Faschisten hierzulande wird geduldet.

Dass sich in Deutschland ein gigantisches Agenten-Netzwerk etablieren konnte, ist bekannt. Man spricht von ca. 8.000 Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes, die in Konsulaten oder Moscheen, in Banken oder Reisebüros sitzen. Ihre Aufgabe ist es, Informationen zu sammeln über Erdogan-kritische Oppositionelle. Dabei kooperieren sie mit den deutschen Sicherheitsbehörden. Obwohl auch sie Todeslisten führen und Anschläge planen, wie etwa auf den Ko-Vorsitzenden des kurdischen Dachverbandes KCDE-K, Yüksel Koç, überlassen sie die Drecksarbeit oft den sogenannten Grauen Wölfen.

Die Bozkurtlar, die Grauen Wölfe, haben in der Türkei seit den 70er Jahren eine Blutspur mit tausenden Toten hinterlassen. Sie sind sind Anhänger der türkischen rechtsextremen MHP, Koalitionspartner von Erdogans AKP. In Deutschland gelten sie als die größte rechtsextreme Organisation. Sie sammeln sich in sogenannten Idealisten-Vereinen. Ihr Sitz in Nürnberg ist übrigens hier ganz in der Nähe. Auf das Konto der Bozkurtlar geht zum Beispiel der Mord an dem Kurden Ibrahim Demir im Mai dieses Jahres in Dortmund.

Faschisten der Grauen Wölfe waren es auch, die am letzten Wochenende in Wien eine Demo gegen die Hinrichtung der drei Frauen in Kobanê durch türkische Kampfdrohnen angriffen. Mit dem faschistischen Wolfsgruß, Allahu-Akbar-Rufen sowie Handzeichen des IS belagerten sie mehrere Tage ein linkes Kulturzentrum.

Als wenn dies alles nicht schon genug wäre, gibt es dann auch noch den ‚ganz normalen‘ deutschen Rassismus gegenüber Migranten. Er kommt als sogenannter Alltagsrassismus daher und kulminiert immer wieder in rechtsterroristischen Anschlägen:

Hanau. Vorher die Mordserie des NSU. Halim Dener, der 16-jährige Kurde aus Hannover, der vor 26 Jahren von einem Polizeibeamten in den Rücken geschossen wurde, als er PKK-Plakate klebte.

Gerne wird uns dies als ‚Einzelfälle‘ verkauft, um abzulenken vom faschistischen Bodensatz in dieser Gesellschaft, in der alte und neue Nazis längst in den Parlamenten sitzen.

Rassismus und Nationalismus sind der Nährboden für eine faschistische Praxis, die Gewalt und Rechtsterrorismus bedeutet. Wer nicht in das menschenverachtende Weltbild passt, wird zum Feind. Das trifft Migranten und Linke. Und linke Migranten werden besonders gerne Zielscheibe, vor allem dann, wenn der Staat sie zum Abschuss freigegeben hat. Wie zum Beispiel Kurd*innen, die seit Jahren mit der PKK einen antifaschistischen Kampf führen, für eine nicht-staatliche Gesellschaft eintreten, für Frauenrechte und radikale Demokratie.

Wie also soll man da nicht verzweifeln? Eingekreist von deutschen und türkischen Faschisten und kriminalisiert von einem Staat, der sich als verlängerter Arm der Diktatur in Ankara sieht. Der einen drangsaliert durch eine niederträchtige Verbotspolitik, durch ein Asyl- und Ausländerrecht, das die Luft zum Atmen nimmt und die quasi als Staatsräson erklärte Zuweisung: ‚Kurde ist gleich PKK ist gleich Terrorist.‘

Es gäbe genug Gründe zum Verzweifeln. Aber trotz alledem: Die Parole der Freiheitsbewegung heißt ‚Widerstand ist Leben – Berxwedan jiyan e‘. Es ist eine sich selbst verteidigende und damit kämpfende Bewegung. Sie schöpft ihren Mut aus den Zielen, für die sie eintritt, bietet konkrete Alternativen im Hier und Jetzt und politische Organisierung. Sie führt einen Kampf gegen faschistische Barbarei und gegen die Zumutungen der kapitalistischen Moderne.

Vor allem aber kämpft die Bewegung für das Leben, für radikale Demokratie, für die Frauen. Nicht nur in Rojava, sondern überall dort, wo sich die Ideen von Abdullah Öcalan, des Begründers der Bewegung, verbreiten, heißt eine andere Parole ‚Jin, jiyan, azadî – Frauen, Leben, Freiheit‘. Daraus speisen sich Selbstbewusstsein und Hoffnung, die die Verzweiflung verhindern.

Längst ist diese Bewegung international und lädt ein zum Schulterschluss. Lasst uns unsere Kämpfe verbinden! Widerstand ist Leben – Berxwedan jiyan e.“

Alle zusammen gegen den Faschismus

Die Kundgebung verlief ohne Zwischenfälle. Man sah zahlreiche kurdische Fahnen – die einzigen, die in Bayern nicht verboten sind – sowie Plakate, die den tödlichen Drohnenangriff bei Kobanê, die Luftangriffe bei Silêmanî sowie die Invasion in der südkurdischen Region Heftanîn anprangerten und zum Boykott des Türkei-Tourismus aufriefen. Immer wieder skandierten die Kundgebungsteilnehmer*innen lautstark: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“