Nötigung kurdischer Schutzsuchender zu Spitzeltätigkeit

Offenbar sind kurdische Schutzsuchende immer wieder Erpressungsversuchen zur Spitzeltätigkeit für Polizei und Geheimdienste ausgesetzt. Dies bestätigt eine Kleine Anfrage der sachsen-anhaltinischen Landtagsabgeordneten Henriette Quade.

Rechtsbrüche durch deutsche Behörden

Das PKK-Verbot und die Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland führen zu immer neuen Rechtsbrüchen durch deutsche Behörden. So hatte im April der Dachverband der in Ostdeutschland lebenden Kurd:innen FED-KURD davon berichtet, dass Kurd:innen im Asylverfahren unter der Androhung aufenthaltsrechtlicher Sanktionen dazu genötigt werden sollen, als Informant:innen für deutsche Behörden tätig zu werden. Diese offenbar vor allem von der Polizei und dem Geheimdienst „Verfassungsschutz“ durchgeführten Erpressungsversuche haben die sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) dazu veranlasst, die Landesregierung zu Anwerbeversuchen von Kurd:innen durch Behörden des Landes zu befragen. Aufgrund der föderalen Struktur der BRD kann die Anfrage der Landesabgeordneten nur die Tätigkeit von Landesbehörden umfassen. Aktivitäten des BKA, des BND oder des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden durch Landesregierung nicht beschrieben.

Landesregierung diskreditiert sich durch Angriff auf kurdische Presse selbst

Die Landesregierung konnte in ihrer Antwort keinen der Erpressungsvorwürfe ausräumen, stattdessen deuten viele Indizien darauf hin, dass die vielen Aussagen von Betroffenen über erpresserische Spitzelanwerbeversuche genauso zutreffen. Daher scheint sich die von CDU/SPD und FDP gestellte Landesregierung darauf zu stützen und in einer Einleitung zu versuchen, mit willkürlichen Zitaten aus Verfassungsschutz-Berichten die ANF als Quelle zu diskreditieren. Es ist bezeichnend, dass diese fadenscheinigen Versuche mehr Raum einnehmen, als die schmallippigen Eingeständnisse der Landesregierung. Da ANF über die Erklärung von FED-KURD berichtete, zitierte die Landesregierung willkürlich Auszüge aus Verfassungsschutz-Berichten, in denen von einer „PKK-Nähe“ der Agentur gesprochen wird. Dabei wird die Haltung der Regierung gegenüber der kurdischen Presse mehr als deutlich. So heißt es: „Die in den Niederlanden angesiedelte PKK-nahe Nachrichtenagentur Firat News Agency (ANF) berichtet täglich unter anderem in türkischer, kurdischer, englischer, deutscher, spanischer, arabischer und persischer Sprache im Sinne der PKK. Anspruch der ANF ist es, die kurdische Presse durch ein Korrespondentennetz im Nahen Osten sowie in den europäischen Staaten zu repräsentieren.“ In den zitierten Berichten benennt jedoch selbst der Verfassungsschutz keinen organisatorischen Zusammenhang zur PKK. Es geht der Landesregierung hier also um die Diskreditierung aufgrund missliebiger politischer Haltung und um den Versuch, die Vorwürfe durch einen Angriff auf die vermeintliche Quelle zu delegitimieren.

Landesregierung schweigt zu Anwerbeversuchen

An anderer Stelle gibt sich die Landesregierung äußerst schmallippig. So schiebt sie gleich vorneweg, dass die Landesregierung keine Informationen herausgeben werde, „die im engen Zusammenhang mit der Arbeitsweise und Methodik der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt und insbesondere deren Aufklärungsaktivitäten stehen.“ Auch eine Einstufung der Antworten als vertraulich oder geheim werde verweigert, da „die Mitteilung von Informationen, die Rückschlüsse auf mögliche Nachrichtenzugänge zulassen, sich nachteilig auf die Fähigkeit des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt auswirken [würde], solche Zugänge zu gewinnen bzw. solche Kontakte fortzuführen. Deshalb muss der Kreis der Geheimnisträger auf das notwendige Minimum beschränkt werden.“ Der demokratische Informationsanspruch der Parlamentarier:innen wird exekutiv aus Gründen des „Staatswohls“ eingeschränkt: „Der Informationsanspruch des Parlaments findet eine Grenze, wenn das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden kann. Zum Staatswohl gehört auch der Schutz der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste.“ Somit erteilte die Landesregierung vorneweg den Geheimdiensten de facto einen Freibrief, ohne parlamentarische Kontrolle zu agieren.

Fälle von Erpressungen sind öffentlich bekannt

FED-KURD berichtete von mehreren Fällen, auf die nun die Landesregierung angesprochen wurde. So gebe es immer wieder Befragungen im Sinne: „Wir haben Informationen über Sie. Entweder Sie arbeiten mit uns zusammen und berichten uns über die kurdischen Vereine, oder wir annullieren ihren Aufenthaltsstatus und verhindern, dass Sie einen Pass bekommen.“ FED-KURD teilte mit, dass einige Schutzsuchende bereits aus Angst vor dem Druck der Behörden Deutschland wieder verlassen hätten. Insbesondere in Leipzig, Halle und Magdeburg seien solche Fälle vorgekommen: „Ein Kurde, der zur Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde vorstellig wurde, ist von der Sachbearbeiterin in die obere Etage zu einer Frau und einem Türken namens Hakan Akbulut gebracht worden. Diese Person erklärte: ,Wir kennen dich, arbeite mit uns zusammen, spioniere die Kurden für uns aus, dann erleichtern wir deinen Aufenthalt.‘ Derselbe Hakan Akbulut suchte vor drei Tagen eine kürzlich nach Magdeburg gezogene kurdische Familie in ihrer neuen Wohnung auf und schlug ihr vor, als Agenten tätig zu werden.“ Dieses Vorgehen ist illegal.

Landesregierung nicht in der Lage, Erpressungen zu dementieren

Die Landesregierung dementiert das Geschehen weder im Einzelfall noch generell. Sie behauptet einfach nur, ihr lägen keine Erkenntnisse über Versuche der Landespolizei, kurdische Schutzsuchende im Asylverfahren anzuwerben, vor. Die Formulierung ist bemerkenswert, da im Duktus der Antworten auf Kleine Anfragen „keine Erkenntnisse“ keine Verneinung bedeutet. Allerdings ist die Polizei der Landesregierung unterstellt, daher müsste die Antwort definitiv „Ja“ oder „Nein“ lauten, da die Landesregierung Kenntnis über jeden Vorgang der Landespolizei haben muss. Insofern ist diese Antwort ein offenkundiger formaler Fehler, mit der sich die Landesregierung einer offenen Lüge oder einem Eingeständnis entziehen möchte. Interessant wird dieses Lavieren, wenn die Landesregierung gefragt wird, ob der Verfassungsschutz Anwerbungen von Kurd:innen im laufenden Asylverfahren vornehme. Hier verweist die Regierung auf die Vorbemerkung, in der es heißt, man werde keinerlei Informationen über die Arbeit der Nachrichtendienste herausgeben. Die Antwort erscheint daher fast wie ein Eingeständnis, dass der Verfassungsschutz solche Anwerbeversuche durchführt, denn fänden diese nicht statt, weil man die geheimdienstliche Erpressung von Schutzsuchenden nicht billigte, dann hätte diese Frage einfach mit „Nein“ beantwortet werden können. Nun könnte man, wenn man der Landesregierung einen Bonus einräumt, argumentieren, dass Anfragen bezüglich solcher Aktivitäten der Geheimdienste generell mit Verweis auf Geheimhaltung abgelehnt werden. Aber die nächsten beiden Antworten konterkarieren sowohl die angeblich mangelnden Erkenntnisse über die Aktivität der Landespolizei als auch die absolute Geheimhaltung der Aktivitäten des VS. So ist die Landesregierung hier auf einmal klar in der Lage zu verneinen, dass Kräfte von Polizei und Verfassungsschutz bei Gesprächen in der Ausländerbehörde anwesend waren. Kombiniert mit den unklaren Antworten auf Frage eins und zwei liest sich das Ganze wie ein Eingeständnis, dass Anwerbeversuche außerhalb der Gespräche mit der Ausländerbehörde stattfanden. Also beispielsweise wie in dem obigen Fall beschrieben in extra Räumen oder bei Hausbesuchen. Das Muster der Antworten kann als eine indirekte Bestätigung der von FED-KURD beschriebenen Erpressungsversuche durch „Hakan Akbulut“ gelesen werden.

Polizei gezwungen, Verfahren wegen „Nötigung“ einzuleiten

Genau das zeigt sich auch in der Tatsache, dass nun ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden musste. Erst reichten die Angaben der Betroffenen und des Verbands FED-KURD über den Erpressungsversuch durch „Hakan Akbulut“ den sachsen-anhaltinischen Behörden nicht aus, um Ermittlungen in diesem Sinne einzuleiten. FED-KURD hatte bereits im Februar erklärt: „Die in der Türkei gegen Kurdinnen und Kurden angewandte psychologische Kriegsführung setzt sich auch in Deutschland fort. Wir fordern die Behörden dringend auf, diese Vorfälle aufzuklären. Es ist weder juristisch noch human, vor der Unterdrückung des türkischen Staates geflohene Menschen einem solchen Einschüchterungsmechanismus auszusetzen.“ Da sich der öffentliche Druck verstärkte, räumt die Landesregierung ein, dass am 9. April 2024 ein Verfahren wegen versuchter Nötigung eingeleitet wurde. Ein Disziplinarverfahren wurde aber nicht eingeleitet. Damit ist klar, dass die Aussagen der Betroffenen nicht einfach von der Hand zu weisen sind und die Kleine Anfrage den Finger in eine Wunde legt und Erpressungen und Anwerbeversuche von kurdischen Schutzsuchenden in Sachsen-Anhalt verbreitete Praxis sind.

Betroffene sollten sich an Verbände wenden

In Anbetracht der Antwort der Landesregierung kann man nur den Appell von FED-KURD wiederholen: „An unser Volk appellieren wir, sich bei derartigen Fällen mit dem nächsten unserer Vereine in Verbindung zu setzen und sich ohne anwaltlichen Beistand nicht auf solche Gespräche einzulassen. Wir werden juristische Schritte einleiten und die Situation auf rechtlicher Ebene weiter verfolgen.“