Müftüoğlu: Erdoğans Plan ist ein politischer Schachzug

Erdoğans jüngste Äußerungen zur Finanzpolitik sind nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Özgür Müftüoğlu ein politischer Schachzug. Das „neue Pfandsystem" wird die Armen ärmer und die Reichen noch reicher machen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) hat am Montagabend das Modell der „währungsgesicherten TL-Festgelder" angekündigt. Nach Erdoğans Rede gab das Finanzministerium die Einzelheiten des Modells bekannt. Demnach wird die Wertminderung des in TL denominierten Geldes, das auf drei-, sechs-, neun- und zwölfmonatigen Festgeldkonten gegen Fremdwährung angelegt ist, durch die öffentlichen Finanzen gedeckt.

Nach Ansicht vieler Wirtschaftswissenschaftler ist dieses Modell äußerst riskant. Denn auch wenn es den Wechselkurs bis zu einem gewissen Grad senkt, bedeutet dieses System, dass die öffentlichen Finanzen stark belastet werden. Das bedeutet, dass die Belastung der öffentlichen Finanzen auch auf die Gesellschaft abgewälzt wird.

Nach den Äußerungen von Erdoğan wurde mit der plötzlichen Aufwertung der TL deutlich, wie die Belastung der Öffentlichkeit mit den im Amtsblatt veröffentlichten Steuern aufgefangen werden soll: Die spezielle Kommunikationssteuer (SCT), die Umweltreinigungssteuer, die Stempelsteuer, die Gebühren und Strafen im Rahmen der VUK wurden um 36,2 Prozent und die Grundsteuer um 18,1 Prozent erhöht. Alle Maßnahmen treten am 1. Januar 2022 in Kraft.

Mehr ein politischer Schritt als ein wirtschaftlicher Plan

Der Ökonom Özgür Müftüoğlu bewertet Erdoğans Äußerungen eher als politischen als wirtschaftlichen Schachzug. Müftüoğlu zufolge hat die AKP lange Zeit versucht, alle vorgeschlagenen Modelle umzusetzen, nicht auf der Grundlage wirtschaftlicher oder sozialer Ergebnisse, sondern auf der Grundlage politischer Resultate.

Der Grund dafür sind die Bemühungen der AKP, zu überleben. Gegenüber ANF erklärt Müftüoğlu: „Es ist sehr schwierig, den Schritt wirtschaftlich zu interpretieren, denn das, was getan wurde, ist weit entfernt von wirtschaftlicher Logik. Von dem Moment an, als sie an die Macht kam, baute die AKP ihr System mit ihrer neoliberalen Politik darauf auf, den Armen zu nehmen und den Reichen zu geben. Doch während sie dies früher eher stillschweigend tat, tut sie es heute viel offener. Sie geht den Weg des direkten Ressourcentransfers. Der Grund dafür ist natürlich, dass die Wirtschaft noch unkontrollierbarer und unhaltbarer geworden ist, in der letzten Periode sogar in einem Zustand des Chaos.

Die AKP tut hier zwei Dinge. Einerseits führt sie eine Praxis durch, die dem Kapital gefallen wird. Andererseits ist dies ein Schritt gegen sie, da sich herausgestellt hat, dass sie die Wirtschaft aufgrund dieser Wechselkurserhöhung nicht führen konnte - etwas, das die Opposition nicht besonders betont hat. Um die Wähler, die sich allmählich distanziert haben, anzulocken und zu manipulieren, sagt sie nun: ,Seht her, wir können den Kurs tatsächlich senken, wenn wir wollen.' Das war weitgehend das Ziel."

Die Opposition muss ein Lösungsmodell vorschlagen

Müftüoğlu betont, dass dies ein politischer Schachzug ist. Die AKP sagt, dass es keine Möglichkeit für vorgezogene Wahlen gibt. Handelt es sich also um eine Strategie, die eine Wahlinvestition sein kann und wie nachhaltig ist sie? Auf diese Frage antwortet Müftüoğlu: „Natürlich kann man das auf der einen Seite als Wahlkampfinvestition bezeichnen. Das Hauptziel ist ja nicht, die Macht abzugeben. Es gibt auch eine Situation wie diese: Wir erleben eine unglaubliche Wirtschaftskrise und einen Zusammenbruch, die Inflation ist derzeit sehr hoch, aber die Opposition hält an vorgezogenen Wahlen fest. Was will sie den Menschen sagen, wenn sie an die Urnen gehen? Es reicht nicht, zu sagen, dass das, was die AKP getan hat, schlecht ist. Damit hat Erdoğan einen Trumpf in der Hand; wenn über die Wirtschaft nur gesprochen wird, weil der Wechselkurs gestiegen ist und es hier eine Opposition gibt, bricht die Hand der Opposition zusammen, sobald er sagt: ,Hier, ich habe den Wechselkurs für euch gesenkt'. Auf die Frage nach der Nachhaltigkeit kann ich sagen, dass wenn es sich um einen normalen Staat handeln würde, er sich die wirtschaftlichen und sozialen Folgen seiner Politik anschauen würde, und dann entsprechend vorgehen würde. Die AKP hat keinen solchen Anspruch. Sie kümmert sich nicht darum, wie es weitergeht, eine Lösung soll dann später gefunden werden.

Die Türkei ist ein Land, das reich an unter- und oberirdischen Ressourcen ist. Hier wurde ein autokratisches System etabliert. Wenn die Leute heißes Geld brauchen, verkaufen sie ihr Land, ihre Wasserläufe und ihr gesamtes öffentliches Vermögen nach Katar oder hierhin und dorthin. Das tun sie. Sie können so weitermachen. Solange es keine Demokratie gibt, wird die AKP so weitermachen. Denn das hat etwas mit Demokratie zu tun. Es kann noch 20 Jahre so weitergehen, weil der Gesellschaft die Hände gebunden sind. Die Opposition sollte auf der Grundlage von Demokratie und Recht handeln. Sie muss Alternativen schaffen. Das ist es, was die Gesellschaft will. Sie sagten gerade, der Wechselkurs und der Kurs seien gefallen. Sehen Sie, die Leute sind draußen und tanzen, weil der Wechselkurs gefallen ist. Sie müssen eine Politik entwickeln, die den Grundbedürfnissen der Gesellschaft gerecht wird, damit Sie die Gesellschaft überzeugen können. Andernfalls werden wir an die Wahlurnen gehen, und es werden unerwartete Ergebnisse herauskommen. Es gibt kein demokratisches Umfeld, in dem Wahlenurnen aufgestellt werden könnten.

Die Armut wird zunehmen

Ein weiterer Punkt, den der Wirtschaftswissenschaftler Özgür Müftüoğlu hervorhebt, ist, dass dieses Modell, das Erdoğan als Wunder präsentiert, nur für die Wohlhabenden ist. Dafür wird das Geld der Gesellschaft als Schulden an die Banken fließen. „Es heißt, dass es über 300.000 Einlagen gibt, fast eine Million. Sicherlich werden noch weitere hinzukommen. Von einer Senkung der Währung kann ohnehin keine Rede sein. Keiner sagt, dass die Regierung die Währung senkt. Vielmehr geht man hin und verschlechtert das, was wir haben. Das haben wir schon am nächsten Tag gesehen. In dieser Nacht fiel der Dollar auf 11, und am nächsten Tag stieg er auf 13 oder sogar 14. Hinzu kommt: Der Anstieg oder Fall des Wechselkurses ist nicht nur eine Frage des Vertrauens, sondern hängt auch mit der Produktivität der Wirtschaft zusammen. Als Land produzieren wir nichts, auch keinen Wert. Das bedeutet also, dass der Wechselkurs steigen wird. Das bedeutet, dass sie die von der Bank gezahlten Zinsen, also den Teil des öffentlichen Haushalts, aus unserer Tasche, das heißt aus der Tasche der Gesellschaft, nehmen werden. Dies wird die Armut beschleunigen. Aber das Geld der Gesellschaft wird bis zu einem gewissen Grad ausreichen. Dann wird sie sich Geld leihen, Geld drucken, und die Inflation wird steigen. Ich hoffe, dass ich mich irre, aber ich glaube schon, dass die Inflation dreistellig werden wird. Infolgedessen werden die Banken verschuldet sein. Das geht zu Lasten der öffentlichen Haushalte, und von dort aus werden die Menschen durch Steuern ärmer gemacht.

Es sollte auch betont werden, dass die Rentner etwas Geld verdienen, indem sie ihre Prämien für einen Monat einzahlen und es gibt nichts über sie in dieser Regelung. Es beginnt mit einer dreimonatigen Grenze. Das bedeutet, dass diejenigen, die über eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Geldbetrag verfügen, mittel- und langfristig Geld in dieses System einzahlen können. Wenn es eine offene Zinserhöhung gegeben hätte, wären auch diejenigen mit weniger Geld davon betroffen gewesen, wie ich in dem Beispiel erwähnt habe, aber das hat nichts mit ihnen zu tun. Es ist ein Plan, der ganz und gar darauf ausgelegt ist, die wohlhabenden Schichten zu bereichern."