Nach den tödlichen Messerstichen auf den 15-jährigen Arkan Hussein Khalaf im April in Celle hat die Staatsanwaltschaft Lüneburg die Sicherungsverwahrung des Täters Daniel S. beim Schwurgericht des Landgerichts beantragt. Das teilte Oberstaatsanwalt Lars Janßen am Dienstag mit. Die Anklagebehörde gehe von Totschlag aus. Nach den psychiatrischen Gutachten sei zur Tatzeit bei dem heute 30-Jährigen von einer erheblich eingeschränkten oder sogar einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit aufgrund einer psychotischen Störung im Zusammenhang mit Drogenkonsum auszugehen. Dabei bestehe die Gefahr erneuter gewalttätiger Übergriffe, meinte Janßen. Ein ausländerfeindliches oder rechtsextremes Motiv konnte die Ermittlungsbehörde nicht feststellen. Laut ZEIT-Recherchen pflegte Daniel S. jedoch eine Nähe zu rechtsextremen Verschwörungstheorien der QAnon-Ideologie, auf die sich bereits der Attentäter von Hanau bezog.
Murat Mang von der Tageszeitung Yeni Özgür Politika hat mit Arkans Bruder Isa Hussein Khalaf über diese neue Entwicklung gesprochen. Arkan hatte mit seiner Familie nach dem ezidischen Völkermord durch den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) 2014 die Şengal-Region in Südkurdistan verlassen. Die Eltern flohen mit drei Töchtern und drei Söhnen über die Türkei und Griechenland nach Deutschland und ließen sich in Celle nieder, wo viele Eziden leben. Am Tattag war Arkan mit dem Fahrrad in der Nähe des Bahnhofs unterwegs, als ihn der zum Tatzeitpunkt 29 Jahre alte Daniel S. mit einem Messer schwer verletzte. Kurze Zeit nach dem Angriff starb Arkan im Krankenhaus.
Sein Bruder Isa Hussein Khalaf ist wütend über die Behauptung, dass der Täter krank gewesen sei und nicht gewusst habe, was er tat. „Nach der Festnahme hat er gesagt, dass er ohne Rechtsbeistand keine Aussagen macht. Wie passt das zu der Behauptung, dass er verwirrt gewesen sei? Und wenn er so krank ist, warum ist er nicht schon früher ins Krankenhaus gebracht worden? Er hat sich nach dem Mord sehr bewusst verhalten. Er lügt, er ist nicht krank. Es wird versucht, die Wahrheit zu vertuschen. Er hat meinen Bruder in voller Absicht ermordet.“
Das Familienleben ist seit dem Mord an Arkan zusammengebrochen, sagt Isa: „Beim IS-Angriff 2014 sind wir aus unserem Dorf Borik ins Şengal-Gebirge geflohen. Wir haben Hunger und Durst gelitten. Aus dem Gebirge sind wir siebzig oder achtzig Kilometer nach Rojava gelaufen. Von dort aus sind wir nach Südkurdistan zurückgekehrt, dann in die Türkei gegangen und über das Meer nach Deutschland gekommen. Und in Deutschland mussten wir diese schreckliche Tat erleben.“
Isa beschreibt seinen jüngsten Bruder Arkan als intelligent, fleißig, gutherzig und hilfsbereit. „Wir akzeptieren dieses Unrecht nicht, aber wir wissen nicht, was wir tun sollen. Wir wollen, dass Deutschland Gerechtigkeit übt. Und wir wünschen uns Unterstützung. Wir brauchen anwaltliche Vertretung. Vor allem ezidische Anwältinnen und Anwälte sollten dieses Verfahren verfolgen.“
Unterstützung bei bürokratischen Angelegenheiten bekommt die Familie unter anderem von Behiye Uca. Auch sie ist der Meinung, dass der Täter sich mit psychologischen Gutachten herausreden möchte. „Er wiederholt beharrlich, dass er kein Ausländerfeind ist. Das akzeptieren wir nicht. Wir widersprechen dem.“
Nach Angaben von Behiye Uca soll der Prozess im Herbst beginnen. 41 Rechtsanwält*innen aus Niedersachsen hätten dafür ihre Unterstützung zugesagt.