Mönchengladbach: Veranstaltung zu Rojava und Şengal

Zusammen mit der Demokratisch-Kurdischen Gemeinde Mönchengladbach veranstaltete der Rosa-Luxemburg-Club Mönchengladbach einen ganzen Tag zum Thema Rojava und Şengal.

Etwa 80 Personen kamen in den Vereinsräumen des Demokratisch-Kurdischen Gemeinde Mönchengladbach zu einer Diskussionsveranstaltung über die Situation in Rojava und der Şengal-Region zusammen. Andrej Hunko, Mitglied  der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, leitete die Veranstaltung mit einer Analyse der Politik der Bundesregierung ein. Er erklärte, dass die Bundesregierung die genozidale Politik der Türkei nur zum Schein verurteilt, aus ökonomischen Gründen aber unbeirrt an Erdoğan festhält. Die Bundesregierung und insbesondere Angela Merkel habe Erdoğan in jeder schwierigen Situation wie beim Verfassungsreferendum, bei den Parlamentswahlen oder beim Einmarsch in Efrîn unterstützt.

Anja Flach aus Hamburg berichtete über die aktuelle politische Situation und den Angriffskrieg der Türkei gegen Rojava. Sie schilderte an zahlreichen Beispielen und aktuellen Bildern die Situation der Frauenrevolution in Nordostsyrien, insbesondere auch in den vom IS befreiten überwiegend arabischen Gebieten. „Die Alternative, die in Rojava aufgebaut wurde, brauchen wir so dringend. Rojava zu verteidigen, bedeutet für uns alle, eine bedeutende Alternative zu verteidigen“, erklärte sie.

Nach einer intensiven Diskussion ging es weiter mit Jin Jiyan – Der Aufbruch". Die Theatermacherin Anina Jendreyko zeigte Bilder aus Şengal und präsentierte Auszüge aus einem auf Recherchen in Şengal und Südkurdistan basierenden Theaterstück. Sie kritisierte, dass viele Spenden für die Ezid*innen niemals dort ankommen, sondern wohl in den Verwaltungsstrukturen der südkurdischen Regierung versickerten. Daher sei es wichtig, Spendensammlungen direkt an den Ezidischen Frauenrat oder an den Roten Halbmond Kurdistans (Heyva Sor a Kurdistanê) zu richten. Nur dieses Geld käme wirklich dem Aufbau der Selbstverwaltung von Şengal zugute.

Jendreyko zitiere anschließend eine Kämpferin, die kurz vor dem Massaker nach Şengal gekommen war und dann mit den Menschen vor dem IS in die Berge floh: Ich kann euch gar nicht beschreiben, wie groß meine Wut auf mich selbst und auf diesen verdammten Zustand wurde. Wie ein Feuer brannten in meinem Kopf die Fragen: Wie kommen wir hier raus? Wie retten wir die Menschen? Was kann ich tun, damit sie nicht verhungern und verdursten?“

Nach dem Angriff des IS auf Şengal konnten hunderttausende Ezid*innen nur dadurch gerettet werden, dass die Guerillakämpfer*innen der Volksverteidigungskräfte (HPG) gemeinsamen mit YPG- und YPJ-Einheiten einen Korridor freikämpften, über den die Menschen nach Rojava flohen.

Wenn es Şengal nicht mehr gibt, gibt es keine Ezid*innen mehr

Für die Ezid*innen, die nach dem Sieg gegen den IS nach Şengal zurückkehrten oder in den Bergen blieben, änderte sich vieles. „Heute ist es selbstverständlich, in alle Zelte zu gehen. Aber damals war das nicht so. Die Leute, die auf der Hochebene geblieben waren, kamen aus verschiedenen Städten und Dörfern und kannten sich nicht. Ich habe mich am Anfang sehr geschämt, als Frau alleine in fremde Zelte zu gehen oder fremde Menschen in ihren Zelten zu besuchen. Wenn ich zum Beispiel vom Volksrat einen Anruf bekam, dann habe ich sehr darauf geachtet, dass niemand der Nachbarn sieht, wenn ich das Zelt verlasse“, wird eine Aktivistin von Jendreyko zitiert.

Natürlich sei es gut, dass Frauen, die schwer traumatisiert sind, Therapiemöglichkeiten erhalten. Aber gleichzeitig wäre es laut Jendreyko besser gewesen, diese in Şengal durchzuführen und die Frauen nicht zu entwurzeln. Vor dem Angriff des IS lebten 750.000 Menschen in Şengal, von denen 200.000 zurückgekehrt seien. 350.000 Menschen leben noch heute unter sehr schlechten Bedingungen in Geflüchtetencamps. Die Ezid*innen müssten endlich als eigenständige Glaubensgemeinschaft in der irakischen Verfassung mit dem Recht auf eigene Bildung und Sprache anerkannt werden, fordert Jendreyko. Sie zitierte die Kämpferin Berîvan von den ezidischen Fraueneinheiten: „Heute lebe ich mit vielen Frauen zusammen, die nicht mit mir verwandt sind. Entweder schaffen wir es hier in Şengal eine Perspektive aufzubauen, oder es wird uns bald nicht mehr geben. Denn auch wenn heute behauptet wird, der IS sei besiegt, so ist die Mentalität des IS nicht besiegt. Schon morgen kann mit der gleichen Mentalität eine neue Gruppe entstehen. Und wer schützt uns und Şengal dann? Wir müssen Şengal schützen, denn es ist das älteste und letzte ezidische Siedlungsgebiet, es ist unsere Wurzel.“

Die Veranstaltung wurde mit einem Buffet mit kurdischen Spezialitäten beendet. Bei einer Spendensammlung für Heyva Sor kamen mehr als 500 Euro zusammen.