Im Rahmen der Aktionstage unter dem Motto „Wir sehen eure Verbrechen – Stoppt den Einsatz chemischer Waffen in Kurdistan!“ findet am Dienstag, dem 1. November, eine Demonstration in Den Haag statt. Erwartet werden Teilnehmer:innen aus den Niederlanden, Belgien, Deutschland und Frankreich. In Den Haag ist der Sitz der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die sich beharrlich weigert, die Vorwürfe gegen die Türkei zu untersuchen. Der kurdische Europaverband KCDK-E wirft der OPCW Respektlosigkeit gegenüber den 45 Millionen Kurdinnen und Kurden vor, der Nationalkongress Kurdistan (KNK) sieht auch weitere internationale Institutionen zum Handeln verpflichtet.
In einem Aufruf des KNK zu der Demonstration am kommenden Dienstag in Den Haag heißt es:
#WeSeeYourCrimes!
Seit dem 23. April 2021 haben türkische Kampfjets Tausende Male Dörfer, Städte und ländliche Gebiete bombardiert, Tausende von Artilleriegranaten sind in dem Gebiet eingeschlagen, umfangreiche Bodenoperationen haben stattgefunden und Wälder wurden absichtlich in Brand gesetzt. Die wichtigste Waffe, auf die sich die türkische Armee bei ihren Angriffen gestützt hat, waren jedoch chemische Waffen. Jüngsten Meldungen zufolge hat die Türkei in den letzten sechs Monaten 2.470 Mal verbotene chemische Kampfstoffe eingesetzt, im Jahr 2021 waren es 367 Mal.
Seit April letzten Jahres sind mindestens 89 Guerillakämpfer:innen bei diesen Angriffen mit chemischen Waffen getötet worden. Vor kurzem wurden 17 Guerillakämpfer:innen bei Angriffen mit chemischen Waffen brutal getötet.
Mehrere internationale Delegationen, die Mahnwache vor der OPCW seit Mitte August und kürzlich die medizinische Friedensorganisation IPPNW haben Berichte über mögliche Verstöße der Türkei gegen das Chemiewaffenverbot bei Angriffen auf kurdische Zivilist:innen und PKK-Kämpfer:innen im Nordirak veröffentlicht.
OPCW und Labore verweigern Untersuchung
Trotz all dieser Informationen, konkreten Beweise und Aufrufe schwankte die Reaktion von Regierungsvertreter:innen oder Vertreter:innen internationaler Institutionen bisher meist zwischen Gleichgültigkeit und aktiver Obstruktion. Die OPCW weigert sich sogar, Berichte von Journalist:innen und Forscher:innen entgegenzunehmen. Darüber hinaus wurden alle Ersuchen an Labore in verschiedenen Ländern, Proben zu analysieren, die aus den mit chemischen Waffen angegriffenen Guerillastellungen in Südkurdistan nach Europa gebracht worden waren, abgelehnt.
Grünes Licht für Kriegsverbrechen
Die anhaltenden Kriegsverbrechen der türkischen Armee zeigen deutlich, dass die Türkei durch das Schweigen der internationalen Gemeinschaft ermutigt wird und glaubt, grünes Licht für Kriegsverbrechen zu haben, wo immer sie will. Anstatt vor der türkischen Instrumentalisierung ihrer NATO-Mitgliedschaft zu kapitulieren, muss die internationale Gemeinschaft die Vorwürfe des Einsatzes von Chemiewaffen ernst nehmen, indem sie die Angelegenheit von Expert:innen untersuchen lässt und Druck auf die Türkei ausübt, damit sie keine Kriegsverbrechen in Südkurdistan/Nordirak und anderswo begeht.
Forderungen an Institutionen, Regierungen und Weltöffentlichkeit
Zum UN-Gedenktag für alle Opfer chemischer Kriegsführung am 30. November besteht dringender Bedarf an sofortigen Maßnahmen gegen den türkischen Staat, um ihn daran zu hindern, noch mehr Verbrechen gegen die Kurd:innen zu begehen. Die EU, die USA, die OPCW, die WHO, das ICRC und die UN können ihre derzeitige Heuchelei, ihre mangelnde Haltung und fehlende Moral nicht vertuschen.
Wir appellieren daher an alle internationalen Institutionen, Regierungen und die Weltöffentlichkeit...
➢ ...die Türkei für ihre Verbrechen und den Einsatz chemischer Waffen zu verurteilen.
➢ ...Sanktionen gegen die Türkei wegen des Einsatzes chemischer Waffen zu verhängen.
➢ ...die OPCW und die WHO aufzufordern, eine dringende Untersuchungsdelegation zu benennen.
Wir sehen eure Verbrechen! Brechen wir das kriminelle und mitschuldige Schweigen, das den Regierungen erlaubt, ihre Interessen über die Menschenrechte zu stellen und die Augen vor den Verstößen gegen die Konventionen zu verschließen, die sie eigentlich verteidigen sollten.
Wir laden Sie ein, sich uns bei der großen Demonstration am 1. November 2022, in Malieveld, Den Haag, um 11 Uhr anzuschließen.“
Hintergrund: Was ist die OPCW?
Die OPCW wurde aus einem einzigen Grund geschaffen: Sie soll die Einhaltung der Chemiewaffenkonvention (CWÜ) der Vereinten Nationen von 1992 überwachen. Dieser völkerrechtliche Vertrag trat 1997 in Kraft und verpflichtet alle Mitgliedsstaaten, ihre Bestände an chemischen Kampfstoffen zu zerstören. Die OPCW hat sowohl das Ziel, alle existierenden chemischen Waffen zu vernichten, als auch, das Entstehen neuer C-Waffen zu verhindern. Länder können sich zudem von der Organisation beraten lassen, wie sie sich gegen derartige Bedrohungen schützen können. Mittlerweile gehören 193 Staaten der OPCW an. Nur Ägypten, Israel, Nordkorea und der Südsudan fehlen noch.
Seit ihrer Gründung war die OPCW darauf beschränkt zu bestimmen, ob chemische Substanzen als Waffe eingesetzt wurden. Erst 2018 haben die Mitgliedsstaaten beschlossen, dass die Chemiewaffenbehörde nicht nur feststellen soll, ob illegale Substanzen bei Angriffen eingesetzt wurden, sondern auch, wer dafür verantwortlich ist.
OPCW schweigt zu Vorwürfen
Berichte über türkische Chemiewaffenangriffe in Kurdistan, darunter auch 2018 und 2019 in Rojava, gibt es bereits seit Jahren. Ungeachtet internationaler Verbote setzt die Türkei diese geächteten Kriegsmittel sowohl gegen die Guerilla als auch gegen die Zivilbevölkerung in großen Mengen weiter ein, wie auch die Volksverteidigungskräfte (HPG) seit Monaten immer wieder betonen. Auf Appelle und Aufforderungen der kurdischen Gesellschaft und ihrer Organisationen, diesen Vorwürfen nachzugehen, reagierte die OPCW bislang mit Ablehnung und beruft sich dabei auf die Behauptung, nur auf Antrag eines Mitgliedstaates handeln zu können. Im Mai hatte die Institution sogar die Entgegennahme von Beweisen für den Einsatz von türkischem Giftgas in Südkurdistan, die von einer britischen Delegation gesammelt worden waren, verweigert. Auf Vorwürfe der Voreingenommenheit, mit denen die OPCW von der kurdischen Gesellschaft wiederholt konfrontiert wurde, reagierte die Organisation ebenfalls nicht.