Mersin: Freilassung der abgesetzten Bürgermeister:innen gefordert

NGOs in Mersin fordern die Freilassung der inhaftierten Ko-Bürgermeister:innen von Akdeniz. Sie kritisieren das Vorgehen der Justiz als rechtswidrigen Eingriff in das demokratische Wahlrecht und mahnen ein Ende der politischen Strafverfolgung an.

Hoşyar Sarıyıldız und Nuriye Arslan

Menschenrechts- und Anwaltsorganisationen haben in Mersin die sofortige Freilassung der seit rund fünf Monaten inhaftierten Ko-Bürgermeister:innen der Stadtgemeinde Akdeniz, Nuriye Arslan und Hoşyar Sarıyıldız, sowie der ebenfalls inhaftierten Stadtratsmitglieder Hikmet Bakırhan und Özgür Çağlar gefordert. Die Jurist:innen kritisierten die Inhaftierungen als rechtswidrig und bezeichneten sie als gezielten Angriff auf das demokratische Wahlrecht der Bevölkerung.

Zu der gemeinsamen Erklärung hatten die Zweigstellen der Anwaltsvereinigungen ÖHD und ÇHD, der Menschenrechtsverein IHD sowie die Initiative „Jurist:innen für Gerechtigkeit“ aufgerufen. Die Presseerklärung fand auf dem Gelände des Justizpalasts von Mersin statt. Die Teilnehmenden hielten Transparente mit der Aufschrift „Das Recht zu wählen und gewählt zu werden ist unveräußerlich“ sowie „Respektiert den Willen von Akdeniz“ und skandierten: „Die gewählten Bürgermeister:innen sind unser Wille“.

„Gegen die Prinzipien eines Rechtsstaats“

Die Rechtsanwältin Melek Şaraldı, die auch Ko-Vorsitzende des ÖHD-Verbands in Mersin ist, verurteilte die Inhaftierung der gewählten Vertreter:innen scharf. Die Festnahmen seien ein politisch motivierter Eingriff in das demokratische Wahlrecht und somit eine Verletzung fundamentaler Prinzipien des Rechtsstaats. Die juristische Grundlage der Verfahren sei äußerst fragwürdig: „Die Beschuldigungen beruhen auf öffentlichen Äußerungen, Presseerklärungen und Social-Media-Beiträgen – Vorwürfe, die absurd und nicht haltbar sind“, sagte Şaraldı.

Hoşyar Sarıyıldız (l.) und Nuriye Arslan

Trotz fehlender dringender Tatverdachtsmomente sei Untersuchungshaft verhängt worden. Zudem sei die Akteneinsicht seit Januar durch eine Geheimhaltungsverfügung blockiert. Auch bei der Staatsanwaltschaft habe man keinerlei Auskünfte erhalten. „Es wirkt, als gelte die Geheimhaltung auch für den zuständigen Staatsanwalt“, so Şaraldı.

Verlegung in andere Städte als Druckmittel

Besonders kritisch äußerte sich die Juristin zur Verlegung der Inhaftierten in weit entfernte Gefängnisse, statt eine heimatnahe Haft zu ermöglichen. Damit würden die Betroffenen faktisch von ihren Angehörigen und ihrem Umfeld isoliert. Dies stelle eine Verletzung des Verbots von Folter und unmenschlicher Behandlung dar. „Diese Form der Behandlung verstößt nicht nur gegen Menschenrechte, sondern auch gegen die absolute Geltung des Folterverbots“, sagte Şaraldı.

Die aktuelle Praxis sei Ausdruck eines politisch motivierten Justizverständnisses, das demokratisch gewählte Mandatsträger:innen systematisch kriminalisiere. „Die Praxis, mit Hilfe von Ermittlungen und Geheimhaltungsverfügungen das politische Feld zu gestalten, ist beschämend und wird als dunkles Kapitel in die Geschichte eingehen“, so Şaraldı weiter.

Die beteiligten Organisationen forderten eine unverzügliche Anklageerhebung und die Aufhebung der Untersuchungshaft. Sie sprachen sich dafür aus, die Verfahren transparent und rechtsstaatlich zu führen und „alle politisch motivierten Strafmaßnahmen zu beenden“.

Unter Terrorvorwürfen abgesetzt und verhaftet

Hoşyar Sarıyıldız und Nuriye Arslan – letztere gilt offiziell als stellvertretende Bürgermeisterin – waren am 10. Januar festgenommen und in der Folge ihres Amtes enthoben worden. Seitdem befinden sie sich in Untersuchungshaft – bislang ohne Anklage. Das Innenministerium setzte unmittelbar nach den Festnahmen den Landrat als Zwangsverwalter an ihre Stelle.

Die „Abgesetzten“ gehören der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) an und waren bei den Kommunalwahlen im März vergangenen Jahres mit 36,92 Prozent der Stimmen zur Spitze der in der südtürkischen Provinz Mersin gelegenen Stadtgemeinde Akdeniz gewählt worden.

Die Vorwürfe gegen Sarıyıldız und Arslan lauten auf Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und deren Finanzierung sowie Verstoß gegen das Versammlungsgesetz Nummer 2911. Die Haftbefehle stützen sich laut ihrer Verteidigung auf die Aussagen von drei anonymen Belastungszeugen.