Feuerwerk und Molotow-Cocktails
In der südtürkischen Küstenmetropole Mersin sind am Abend zahlreiche Menschen zusammengekommen, um gegen die Absetzung und Inhaftierung der Doppelspitze im Bezirksrathaus Akdeniz zu protestieren. Die Polizei stürmte in die Menge, die sich nahe dem Sitz des Ortsverbands der DEM-Partei versammelt hatte, um die Demonstrierenden zu zerstreuen. Die Demonstration zog sich daraufhin in die Nebenstraße zurück und sammelte sich danach erneut an dem Platz. Mehrere Menschen wurden durch Polizeigewalt verletzt und mussten in ein Krankenhaus gebracht werden, teilte die Anwaltsvereinigung ÖHD mit. Mindestens fünf weitere Personen seien festgenommen worden.
Bürgermeister-Duo unter Terrorvorwürfen verhaftet und abgesetzt
Das türkische Innenministerium hatte am Montag im kurdisch geprägten Bezirk Akdeniz gegen die demokratisch gewählten Ko-Bürgermeister:innen geputscht. Hoşyar Sarıyıldız und Nuriye Arslan – letztere gilt offiziell als stellvertretende Bürgermeisterin – wurden ihres Amtes enthoben und durch den Landrat als staatlicher Zwangsverwalter ersetzt. Die „Abgesetzten“ gehören der DEM an und waren bei der Kommunalwahl im März mit 36.92 Prozent der Stimmen gewählt worden.
Begründet wurden die von der DEM als „politisch motivierter Willkürakt“ bezeichneten Amtsenthebungen mit den standardmäßigen Vorwürfen, die Bürgermeister:innen seien Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), hätten Propaganda für diese verbreitet und gegen das Versammlungsgesetz Nr. 2911 verstoßen. Sarıyıldız und Arslan wurden in Untersuchungshaft genommen, auch die drei Bezirksverordneten Özgür Çağlar, Neslihan Oruç und Hikmet Bakırhan wurden verhaftet. Die Anwaltsvereinigung ÖHD, die die Betroffenen juristisch vertritt, sprach von einem „vorgefertigten Szenario“. Grundlage des Verfahrens seien „erfundene Anschuldigungen“ von drei anonymen Zeugen.
Derweil befindet sich unter den verletzten Teilnehmenden der abendlichen Kundgebung auch die Journalistin Fatoş Sarıyaka, die als Korrespondentin für die alevitische Nachrichtenagentur Pirha arbeitet. Die Parlamentsabgeordnete Perihan Koca von der DEM-Partei verurteilte das Vorgehen der Polizei scharf. Sie warf der Behörde vor, sich anzumaßen, verfassungsmäßige Rechte für missliebige Personen außer Kraft zu setzen, und das nicht nur für einen konkreten Einzelfall, sondern fortdauernd. „Nicht wir sind die Terroristen, sondern diejenigen, die in den Palästen sitzen“, sagte die Politikerin. Der Protest verlagerte sich in der Nacht erneut in die Nebenstraßen. Jugendliche zündeten Feuer an, außerdem flogen Molotow-Cocktails und Feuerwerk durch die Luft.
Neun Gemeinden unter Zwangsverwaltung
Mit der Verhaftung von Sarıyıldız und Arslan steigt die Zahl der seit der letzten Kommunalwahl vor zehn Monaten unter staatliche Zwangsverwaltung gestellten Gemeinden in der Türkei auf neun. Auch die Bürgermeister:innen der DEM-regierten Gemeinden Colemêrg (tr. Hakkari), Êlih (Batman), Mêrdin (Mardin), Xelfetî (Halfeti), Dersim (Tunceli) und Miks (Bahçesaray) sowie die CHP-regierten Gemeinden Pulur (Ovacık) und Esenyurt wurden vom Innenministerium wegen vermeintlicher Verbindungen zur PKK abgesetzt.