Max Zirngast: „Meine Situation ist hier nichts Besonderes“

Der Österreicher Max Zirngast wurde im September in Ankara festgenommen. In Wien wurde eine Kampagne für seine Freilassung gestartet.

Max Zirngast ist österreichischer Staatsbürger und Journalist in der Türkei. Er wurde am 11. September 2018 bei einer Hausdurchsuchung in Ankara festgenommen und befindet sich in türkischer Untersuchungshaft. Ende September fand in Wien das erste offizielle Treffen der Kampagne „Free Max Zirngast“ statt. Seither läuft die Kampagne an und hat bereits zahlreiche Unterstützer*innen dazugewonnen. Wir haben mit Joan Adalar gesprochen, die als Redakteurin des re:volt magazine, in dem auch Max Zirngast involviert war, die Solidaritätskampagne unterstützt.

Warum und wie wurde Max Zirngast festgenommen, was wird ihm konkret vorgeworfen?

Max wurde am Morgen des 11. September von einer Antiterroreinheit in seiner Wohnung in Ankara festgenommen. Zeitgleich fanden auch noch andere Festnahmen statt. Nach zehn Tagen in Polizeigewahrsam wurde er am 20. September vom zuständigen Haftrichter in Untersuchungshaft überführt. Er sitzt derzeit im F-Typ Hochsicherheitsgefängnis in Sincan. Es gibt bislang keine Anklageschrift und die Akte von Max ist unter Verschluss. Staatsanwalt Mutlu und die Antiterrorpolizei versuchen derzeit vor allem, eine Verbindung von Max zu einer früheren, wenig bekannten kommunistischen Splittergruppe namens TKP/Kıvılcım zu konstruieren. Eine Gruppe übrigens, welche unter anderem ein Gerichtsbeschluss aus dem Jahre 2015 als nichtexistent bezeichnet. Wir konnten in die ganzen Absurditäten aus der Vernehmung beim Haftrichter Einblick erhalten. Es ist ein wildes Stochern nach vermeintlichen Beweisen: Mal soll Max der einen illegalen Gruppe nahestehen, mal der anderen, das wird dann alles mit dem Vorwurf „Terror!“ in Großbuchstaben zusammengemixt. Dass Max eine Bibliothek mit unterschiedlichen (im Übrigen völlig legalen) Büchern besitzt – mit einer großen Bandbreite an Autor*innen und Themenfeldern – scheint zum Beispiel als Begründung für diese kruden Vorwürfe schon auszureichen.

Wie sind seine Haftbedingungen, wie geht es ihm?

Wir erhalten aktuell wenig Informationen, weil die Besuchsrechte noch unklar sind und weil das Gericht einen der Anwälte von Max, Tamer Doğan, vom Fall abgezogen hat. Aber ihm scheint es den Umständen entsprechend gut zu gehen, ebenso wie den beiden mit ihm inhaftierten Genoss*innen Mithatcan Türetken und Hatice Göz der Parteinitiative Soziale Freiheit (TÖP), für die Max auch Artikel verfasste. Um seinen Zustand zu beschreiben, kann man am besten auf seine eigenen Worte verweisen, die er uns vor wenigen Tagen zukommen ließ: Wir bekommen eure Solidaritätsaktionen mit. Das tut gut und ehrt uns sehr. Ich grüße und danke allen, die Solidarität zeigen. Ich sitze hier im Gefängnis als europäischer Sozialist, Forscher, Schreiber und Student. Aber hier sitzen auch sehr viele Gefangene aus der Türkei. Genoss*innen, Parlamentarier*innen und sogar Bürgermeister*innen sitzen hier im Gefängnis. Mein Zustand ist in dieser Hinsicht nichts Besonderes. Die Türkei geht durch schwierige Zeiten, es findet derzeit ein Regimewandel statt. Das ist der Grund, warum wir uns hier befinden.“

Max Zirngast hat ja schon länger in der Türkei gelebt, was hat er dort getan?

Max lebte seit 2015 in Ankara. Er macht dort seinen Master in der Fakultät für Politikwissenschaft an der Technischen Universität des Mittleren Ostens (ODTÜ) und war dort auch in Studierendengruppen und anderen Strukturen aktiv. Nebenher schreibt er für internationale Medien wie das Jacobin Magazine in den USA oder deutschsprachige Medien wie die Tageszeitung junge Welt oder das re:volt magazine. In letzterem ist er auch in der Redaktion aktiv. Max ist ein Aktivist: Er hat sich für die Wahlkampagne der HDP eingesetzt und ist an Sommerschulen im Rahmen der Kampagne „Her Yer çocuk“ (Überall sind Kinder) beteiligt gewesen, die Ferienlager für Kinder aus einkommensschwachen Familien in Ankara ermöglichte. Er hat sich etwa auch mit ökologischen Themen, zum Beispiel mit Veganismus und der marxistischen Tierbefreiungsbewegung auseinandergesetzt, war ein aktiver Unterstützer von feministischen Strukturen in der Türkei und organisierte in unterschiedlichen Kontexten politische Diskussionsgruppen und Veranstaltungen mit. Es gibt noch viel mehr, was man über ihn und sein Engagement sagen kann, aber da gibt es Menschen, die das noch genauer wissen als ich.

Wie verhält sich die österreichische Regierung zu der Verhaftung?

Zum Schutze ihrer ökonomischen, politischen und militärischen Verbindungen zu dem geschätzten Partnerland Türkei ist von Regierungsseite – nach einer einmaligen, auf Druck der Öffentlichkeit forcierten erste Stellungnahme am Tag der Festnahme – kaum mehr etwas zu hören. Aufgrund der politischen Tätigkeiten und seines linken Journalismus hat man Max Zirngast da meiner Meinung nach schnell unter ferner liefen abgestempelt. Seit über drei Wochen herrscht nun Stillschweigen auf Regierungsseite, was den Einsatz für die Freilassung von Max angeht. Es wird allerdings sehr deutlich, welcher Kurs stattdessen eingeschlagen wird – dazu muss man sich nur das kuschelige Ponyhof-Bild der Außenministerin Kneissl mit dem türkischen Außenminister Çavuşoğlu am Rande des EU-Gipfels in Salzburg anschauen. Dass hinter verschlossenen Türen Absprachen getroffen werden, bezweifele ich daher dennoch nicht – nur ist höchst fraglich, ob diese im Sinne von Max sind.

Fest steht allerdings, dass wir uns davon nicht mundtot machen lassen: Die Inhaftierung von Max muss skandalisiert werden. Es braucht konstanten zivilgesellschaftlichen Druck, das zeigen zahlreiche andere Fälle. Das Gute ist: Die Solidaritätskampagne wächst! Und wir bekommen tolle Rückendeckung: Vorgestern wurde Max Zirngast der „Dr. Karl Renner Solidaritätspreis“ verliehen, und damit steht eine breite Allianz von anderen Journalist*innen und Medienschaffenden hinter ihm. Und auch von Politiker*innen der Grünen, wie von Berîvan Aslan, von der SPÖ oder der Liste Pilz gibt es Rückhalt, ebenso von der Universität Wien, wo sich über 130 Mitarbeiter*innen aktiv mit Max Zirngast solidarisiert haben. Nicht zuletzt setzen sich viele Institutionen und Strukturen, sowie Kunst- und Kulturschaffende aus Wien und darüber hinaus dafür ein, dass Max Zirngast umgehend freigelassen wird, und nicht nur als Ping-Pong-Ball der Interessenspolitik von Österreich und der Türkei fungiert.

Gibt es noch mehr Österreicher, die aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert sind?

Ja, es gibt noch mehr. Während der letzten Monate gab es sowohl Fälle, bei denen Personen die Einreise in die Türkei verwehrt wurde, als auch kurzfristige Festnahmen. Die Betroffenen melden sich aber nicht immer, sie fürchten weitere Repression gegen sie selbst oder mögliche Familienmitglieder. Derzeit wissen wir zudem von mindestens zwei weiteren Personen, die seit August in Haft sind. Die Kampagne „Free Max Zirngast“ ist solidarisch mit ihnen und mit den inhaftierten Genoss*innen von Max in der Türkei.

Wie kann Max unterstützt werden? Kann man ihm schreiben?

Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten, Max zu unterstützen: Man kann im eigenen Umfeld auf den Fall aufmerksam machen, die Projekte oder Bereiche, in denen man aktiv ist, als Unterstützer gewinnen. Man kann uns als Kampagne Solidaritätsnachrichten (Bilder, Videos, Texte und so weiter) schicken, die dafür sorgen, dass der „Fall Max“ nicht aus der Öffentlichkeit verdrängt wird. Man kann uns damit am besten über unsere Mailadresse kontaktieren: [email protected].

Aber natürlich: Um Max auch direkt unterstützen, sind Briefe sehr wichtig. Ich denke, dass können viele Menschen bestätigen, die schon Erfahrungen mit Repression und Inhaftierung gemacht haben: Briefe sind Blicke nach draußen, sie geben Halt und die Sicherheit, dass man nicht vergessen ist.

Allerdings müssen die Briefe an Max auf Türkisch verfasst sein, sonst werden sie nicht an ihn weitergegeben. Wer Max in Haft schreiben will, kann dies an folgende Adresse tun:

Max Zirngast

Sincan 1 Noli F Tipi Yüksek Güvenlikli Ceza Infaz Kurumu

Yenikent/Sincan/ANKARA

Türkei