Heute endete der Gerichtsprozess gegen Merdan K. vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart mit einem Urteil. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich der kurdische Aktivist zwischen April 2019 und September 2021 als Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) beteiligt hat. Darum verurteilte es Merdan K. wegen Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ nach §§ 129a/b StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten.
Das Urteil war von Beobachter:innen des Verfahrens so erwartet worden, schließlich ist Merdan K. einer von Dutzenden kurdischen Aktivisten, die nach §§ 129a, 129b StGB verurteilt wurden seitdem der Bundesgerichtshof 2010 entschieden hatte, dass die PKK als sogenannte terroristische Vereinigung im Ausland zu verfolgen sei.
Anwältinnen nicht überrascht vom Urteil
In einer Pressemitteilung bezeichneten Merdan K.s Verteidigerinnen, die Rechtsanwältinnen Eva Dannenfeldt und Waltraut Verleih, das Urteil weder dem Tenor noch dem Strafmaß nach als Überraschung. Sowohl die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung als auch das Urteil zeigten, dass das Gericht kein Interesse gehabt hätte, andere Sachverhalte zuzulassen oder andere Blickwinkel einzunehmen, als die Anklagebehörde vorgegeben habe. Stattdessen entspräche das Urteil dem, was die Anwältinnen in ihrem Plädoyer als Befürchtungen formuliert hätten.
Der Senat entschied sich, Merdan K. nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen, obwohl der Angeklagte zu Beginn des vorgeworfenen Tatzeitraums noch Heranwachsender war und nach Jugendstrafrecht hätte verurteilt werden können. Auch in diesem Punkt, entsprachen die Richter den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft, wobei sie mit der Höhe des Strafmaßes zumindest unter den von der Anklage geforderten drei Jahren und drei Monate Haft blieben.
Sollten keine Rechtsmittel gegen das Urteil erfolgreich sein, wird Merdan K. voraussichtlich bis Juni 2024 in Strafhaft bleiben müssen, da ihm einerseits die Zeit der bisherigen Untersuchungshaft angerechnet wird, andererseits aber eine vorzeitige Haftentlassung nach zwei Drittel der Haftzeit bei Verurteilten nach §§ 129a, 129b StGB äußerst selten ist.
Rote Hilfe: Wir sind wütend
Eine Prozessbeobachterin der Roten Hilfe Stuttgart sagt nach der Urteilsverkündung: „Das ist nur eines von drei § 129b-Verfahren gegen Kurden in Stuttgart zur Zeit. Wir sind wütend, weil die Richter die Situation in Kurdistan genau kennen. Es ist nicht so, dass sie nicht wüssten, welche Gräueltaten die türkische Regierung ausübt. Aber das spielt keine Rolle. Verurteilt werden die kurdischen Aktivisten.“
AZADÎ: Gesamte Terrorismus-Gesetzgebung ist politisches Feindstrafrecht
Der Kölner Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden AZADÎ e.V. zeigte sich ebenfalls verärgert: „Wir kritisieren nicht nur das heutige Urteil gegen Merdan K., sondern die Verfolgung kurdischer Aktivist:innen als ‚Terrorist:innen‘ nach §§ 129a, 129b StGB generell. Die gesamte Terrorismus-Gesetzgebung ist politisches Feindstrafrecht, das einem demokratischen Rechtsstaat unwürdig ist und den permanenten Ausnahmezustand zur Regel erhebt. Die nötige Verfolgungsermächtigung zur Anwendung des § 129b StGB auf bestimmte Organisationen ist darüber hinaus vom Bundesjustizministerium zu erteilen, worin sich der politische Charakter der Verfolgung noch deutlicher ausdrückt.“
Forderung: PKK-Verbot aufheben
Von der Anwendung dieser Rechtsinstrumente gegen die kurdische Bewegung müsse die Bundesregierung ablassen, fordert AZADÎ, wenn sie einen Beitrag zu einer Lösung der kurdischen Frage leisten möchte. „Die Aufhebung des bald 30-jährigen PKK-Betätigungsverbots von 1993 wäre ein weiterer wichtiger Schritt zu einer Beilegung des Konflikts durch Anerkennung der kurdischen Realität und Verhandlungen mit allen Beteiligten.“