Die Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland (KON-MED) erklärt zum 1. Mai 2021:
Der 1. Mai ist traditionell der Tag, an dem die Arbeiter*innen gegen ihre Ausbeutung durch das kapitalistische System auf die Straße gehen. Gleichzeitig stellt dieser Tag für uns eine Forderung nach Frauenbefreiung, Frieden und Gerechtigkeit als Grundlage einer freien Gesellschaft dar.
Vor dem Virus sind eben nicht alle gleich
Die Corona-Pandemie stellte viele Regierungen und Gesellschaften vor enorme Probleme und Herausforderungen. Es galt einerseits Maßnahmen zu ergreifen, um die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten, und andererseits für ein weiteres Funktionieren des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu sorgen. Zu Beginn der Corona-Pandemie hieß es immer wieder: „Vor dem Virus sind wir alle gleich“ und „Leave no one behind“. Doch schnell stellte sich heraus, dass eben nicht alle vor dem Virus gleich sind. Während die Europäische Union und die deutsche Bundesregierung finanzstarken globalen Konzernen Milliarden an Pandemiegeldern zufließen ließen, wurden Hilfsgelder an Soloselbständige und Einzelhändler nur zögerlich ausgezahlt und die Regierung weigert sich bis heute, Menschen in prekären Verhältnissen auch nur medizinische Masken zur Verfügung zu stellen. Korruptionsskandale wie die Van-Laack-Affäre des Ministerpräsidenten Armin Laschet oder der Deal des Spahn-Ministeriums mit dem Medienkonzern Burda zeigten deutlich, welche Gesellschaftsschichten vor dem Virus gleich sind und welche nicht.
Gesundheitssektor und Frauen
Während der Bevölkerung gebetsmühlenartig eingetrichtert wurde, sich zu solidarisieren, indem sie das Privatleben auf ein Minimum reduziert sowie Abstand hält, um die Pandemie gemeinsam einzudämmen, galt all dies nicht für die Wirtschaft. Tausende Menschen pendeln auch während der Pandemie tagtäglich in überfüllten öffentlichen Personennahverkehr, um dann acht Stunden am Tag mit hunderten Menschen, ohne größere Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen in Fabriken und Büros zu arbeiten. Gesundheitspersonal wurde als systemrelevant eingestuft und immer wieder mit großen Worten seitens der Bundesregierung für ihren Einsatz gelobt und beklatscht. Als tatsächlichen Lohn für ihre Arbeit bekamen sie jedoch lediglich die Möglichkeit, statt acht Stunden nunmehr zwölf Stunden zu arbeiten. Insbesondere die Situation von Frauen hat sich in der Pandemie verschlechtert. Bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit bleibt an ihnen hängen. Häusliche Gewalt hat zugenommen, Hilfsangebote wie zum Beispiel Beratungen sind eingeschränkt und Frauenhäuser überfüllt.
Rekordgewinne multinationaler Konzerne
Während die Gewinne multinationaler Konzerne Rekordwerte erreichen und an den Börsen dieser Welt gewettet wird wie noch nie zuvor, verlieren massenweise Menschen ihre Arbeitsplätze, ihre Einkommen und ihre Existenzgrundlagen. Die CDU/SPD-Regierung weigert sich mit allen Mitteln, Transferleistungen anzupassen und Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen.
Armutsschere im Bildungssystem
Die Pandemie hat auch die Lücken im Bildungssystem aufgezeigt. Während Kinder aus wohlhabenden Familien mit Laptop und Tablet am Onlineunterricht teilnehmen können, bleibt armen Kindern viele Male nur das Handy der Eltern und beschränktes Datenvolumen. Während Akademikerhaushalte ihren Kindern beim Homeschooling helfen und den Kindern Nachhilfe finanzieren können, sind andere Schüler auf sich allein gestellt.
Riesige Investitionen in die Kriegsmaschinerie
Die Corona-Pandemie hat aber auch auf internationaler Ebene das wahre Gesicht des kapitalistischen Systems offengelegt. So sehen wir jetzt, dass im letzten Jahr weltweit wie nie zuvor Unmengen in Rüstung und Kriegsmaschinerie investiert wurden. Auch werden weiterhin Kriege geführt, allen voran der NATO-Bündnispartner Türkei agiert als Kriegstreiber. Ununterbrochen und aggressiv wie nie zuvor greift der türkische Staat Oppositionelle und Minderheiten im eigenen Land, aber auch über ihre Landesgrenzen hinaus an. Angriffe, die ohne die Unterstützung der NATO nicht möglich wären. Wir sehen auch, dass weltweit so viele Menschen wie noch nie auf der Flucht sind. Viele müssen in Flüchtlingscamps unter menschenunwürdigen Bedingungen ausharren. Insbesondere die EU, die sich die Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat, schottet sich ab und lässt Flüchtlinge in Lagern in Griechenland und Italien verelenden.
Erstarken von rechten, nationalistischen und faschistischen Bewegungen
Die Machtlosigkeit der Nationalstaaten, angemessen und schnell auf die Pandemie zu reagieren, führte weltweit zu einem Erstarken von rechten, nationalistischen und faschistischen Bewegungen, die sich in ihrer Weltanschauung bestätigt sehen. Die Machthaber und Kapitalisten dieser Welt priesen die Entwicklung von Impfstoffen als Lösung aller Probleme an. Während westliche Staaten Milliarden in die Entwicklung der Impfstoffe investierten und gleichzeitig auch Kaufverträge abschließen, um sich zu retten, gingen vor allem die Länder und Bevölkerungen des globalen Südens leer aus und müssen schauen, wo sie bleiben.
Entwicklungen, die Hoffnung machen
Doch abseits des Versagens des kapitalistischen Systems mit seinen kapitalistischen Monopolen und Nationalstaaten gibt es auch Entwicklungen, die Hoffnung machen. Immer intensiver werden radikaldemokratische, antifaschistische und feministische Alternativen auf internationaler Ebene in verschiedenen Zusammenhängen und Foren diskutiert und auf der Straße erkämpft. Von Brasilien nach Frankreich, von Algerien nach Kurdistan, vom Sudan nach Indien – es sind nicht die Staaten mit ihren politischen und wirtschaftlichen Kalkulationen, sondern die Teile der Gesellschaft, die am meisten von der kapitalistischen Ordnung betroffen sind, allen voran Frauen und die Jugend, die sich heute für Werte wie Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und Gleichberechtigung einsetzen.
Alternative Systeme selbst organisieren
So hat die Gesellschaft hier in Deutschland, aber auch überall auf der Welt erkannt, dass sie sich selbst helfen und organisieren muss. Aus dem Nichts wurden Nachbarschaftshilfen organisiert, um „Zurückgelassene“ mitzunehmen. Kampagnen, welche sich für bezahlbares Wohnen einsetzen, haben ihre Arbeiten unbeirrt fortgesetzt. Feministische Strukturen haben sich reorganisiert und eigene Hilfs- und Betreuungsangebote für Frauen und FLINT*-Personen geschaffen. Ökologiebewegungen ließen sich nicht beirren und setzten ihren Kampf gegen die Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur weiter und entschlossener denn je fort. Denn es ist den Menschen, ob nun in Brasilien, Frankreich, Indien oder auch Deutschland, klar geworden, dass Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und Gleichberechtigung keine Werte sind, die der kapitalistischen Moderne irgendetwas bedeuten. Wie ein alternatives System aussehen kann, dass diese Werte hochhält und schützt, zeigt uns die autonom verwaltete Region in Nordostsyrien/Rojava. Der demokratische Sozialismus in Rojava baut eine freiheitliche, antikapitalistische und feministische Gesellschaft auf. Es war der organisierte Wille in eine demokratische Zukunft, die im Hier und Jetzt durch basisdemokratische Strukturen aufgebaut wird, die es der Bevölkerung vor Ort ermöglicht hat, die territoriale Herrschaft des Islamischen Staates (IS) zu besiegen.
Sich der kapitalistischen Logik widersetzen
Während sich Sozialist*innen, Feministinnen, Demokrat*innen, Jugendliche, Arbeiter*innen, Gewerkschaften, Vereinigungen und linke Parteien aus Deutschland und der Welt von Beginn an mit der Revolution in Rojava solidarisiert haben, versuchen die kapitalistischen Staaten, unter anderem die Bundesregierung Deutschlands, diese Errungenschaften für sich zu vereinnahmen. Die anhaltende Kriminalisierung der Freiheitsbewegung Kurdistans in Deutschland ist ein Mittel, die freiheitlichen Aufbrüche im globalen Süden unsichtbar zu machen. Die kapitalistische Moderne wird immer wieder versuchen, Errungenschaften von progressiven Kräften für sich zu vereinnahmen. Es liegt also an uns Arbeiter*innen, Feminist*innen, Demokrat*innen, unsere Kräfte zu vereinen und gemeinsam für unsere Werte und gegen Vereinnahmung, Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg zu kämpfen. Wir müssen uns der kapitalistischen Logik, welche auf Ausbeutung, Konkurrenz und Zerstörung beruht, widersetzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die staatliche Politik die Zivilgesellschaft teilt und gegeneinander aufhetzt, um von ihrer eigenen Machtlosigkeit und Unfähigkeit abzulenken. Wir müssen umdenken und uns klar werden, dass eine andere Welt nicht nur möglich ist, sondern dass es sie bereits gibt und wir dafür kämpfen müssen, dass alle Menschen in dieser Welt in Würde leben können.