Kommentar: Neue Phase im Kampf gegen chemische Waffen

Das irakische Parlament hat der Einsetzung eines Sonderausschusses zur Untersuchung von Chemiewaffenangriffen durch die Türkei in Südkurdistan zugestimmt. Veysi Sarısözen sieht darin eine neue Phase des Kampfes eröffnet.

Von Zeit zu Zeit sagen Aktivist:innen, die der Proteste überdrüssig sind, insbesondere unsere Brüder und Schwestern im Ausland, die fast alle Wochenenden auf der Straße verbringen, um das faschistische Regime zu bekämpfen, indem sie kilometerweit laufen, in Anlehnung an den berühmten Aphorismus von Süleyman Demirel: „Die Straßen werden nicht wirklich alt beim Laufen, aber unsere Schuhe schon.“

Wir können ihnen nun die folgende gute Nachricht überbringen: „Du hast Erdoğan dazu gebracht, deine alten Schuhe verkehrt herum zu tragen.“

Das irakische Parlament hat beschlossen, den Vorwürfen nachzugehen, dass der türkische Staat chemische Waffen gegen die HPG-Guerilla auf irakischem Gebiet eingesetzt hat. Dazu wurde die Einsetzung eines Sonderausschusses beschlossen. Ein Sprecher der Fatah-Koalition erklärte, das Ziel der Kommission sei es, „Dokumente über den Einsatz von Chemiewaffen zu sammeln, um sie bei den Vereinten Nationen einzureichen“. 

Die jüngsten Demonstrationen in Istanbul, Silopi und Düsseldorf haben in der gegenwärtigen ersten Phase des Kampfes gegen chemische Waffen sicherlich einen Erfolg erzielt. Die schweigenden politischen Parteien in Europa haben begonnen, ihre Stimme zu erheben, und der Irak, der Stück für Stück vom türkischen Staat besetzt wird, hat beschlossen, die auf seinem Territorium begangenen Kriegsverbrechen zu untersuchen.

Dem Knall der Bombe in der Istiklal ist es nicht gelungen, die Stimmen jener Menschen zu übertönen, die sich gegen chemische Waffen aussprachen, und die Stimmen einiger internationaler Kräfte, die schließlich aktiv wurden.

Nicht umsonst schwitzten die Menschen, die den ganzen Tag für ihren Lebensunterhalt schuften, an den Wochenenden auf den Straßen und Plätzen, statt sich zu erholen. Abgenutzte Schuhe und Arbeit ließen die Hoffnung wieder aufleben, dass der Kampf schließlich siegen würde. 

Das Vertrauen der Gesellschaft in die PKK war wieder einmal gerechtfertigt. Die kurdische Freiheitsbewegung verbindet ihren bewaffneten Kampf mit dem friedlichen Widerstand der Massen und diplomatischen Initiativen auf so solide Weise, dass das Erdoğan-Regime trotz seiner enormen militärisch-technischen Staatsmacht, seiner Gerissenheit bei der Ausnutzung der Widersprüche zwischen den Staaten der Welt und seiner Erpressungs- und Einschüchterungstaktik, seines riesigen Propagandaapparats, der Massenverhaftungen durch Polizei und Justiz, der Bomben, die es zündet, in der Welt isoliert wird, während die Gesellschaft Kurdistans und insbesondere die Frauen den Kreis der Isolation Schritt für Schritt durchbrechen.

Der weitere Ausbau dieses in der ersten Phase des Kampfes gegen chemische Waffen erzielten Erfolges und die Verfolgung der herrschenden Bande als Kriegsverbrecher hängt davon ab, dass wir in der zweiten Phase gemeinsam einen viel aktiveren, kreativeren und wirksameren Kampf führen. 

In diesem Zusammenhang ist die Organisation einer vielseitigen Unterstützung für den vom irakischen Parlament eingesetzten Sonderausschuss ein wichtiger Teil dieses Kampfes. Gegenwärtig sind sich alle sensiblen Mediziner:innen in der ganzen Welt - etwa jene in Europa, die zusammen mit Şebnem Korur Fincancı in Berlin vor ihrer Verhaftung die Bilder der Opfer von chemischen Kampfstoffen analysiert haben - einig, dass der türkische Staat diese Waffen eingesetzt hat. Wenn nun die irakische Untersuchungskommission mit internationalen Ärzt:innen, insbesondere mit Fachleuten der Gerichtsmedizin, zusammenarbeitet, wird sie zu Schlussfolgerungen kommen, die die Weltöffentlichkeit in hohem Maße zufriedenstellen werden. 

Die Zusammenarbeit von unparteiischen Ärzt:innen mit dem Ausschuss ist von großer Bedeutung. Denn diese Zusammenarbeit ist die einzige Maßnahme, die den Druck, die Drohungen und die Verschwörungen des türkischen Staates gegen den irakischen Staat zunichtemachen wird. Schließlich ist der Irak ein Staat und hat Interessen wie jeder andere Staat auch. Wenn diese Interessen bedroht sind, kann der Irak wie alle schwachen und krisengeschüttelten Staaten seine Kraft verlieren, den Aggressoren zu widerstehen. Aus diesem Grund werden Ärzt:innen, die sich an den Eid und die Ethik der Medizin halten, wie die Bewegung „Ärzte ohne Grenzen“ gezeigt hat, angesichts solcher Angriffe und Bedrohungen ihren Prinzipien treu bleiben, weil sie keine Interessen verfolgen. Wenn die irakische Untersuchungskommission mit diesen Mediziner:innen zusammenarbeitet, wird sie in der Lage sein, jeder Bedrohung durch den türkischen Staat zu widerstehen.

Das ist klar: Der irakische Staat kann die Sicherheit und Glaubwürdigkeit seiner Untersuchungen gewährleisten, indem er mit ehrlichen und neutralen Expert:innen wie Fincancı zusammenarbeitet.

Das irakische Parlament hat Erdoğan, Bozdağ, Akar und Soylu einen schweren Schlag versetzt. Denn diese Namen haben die Forderung, „zu untersuchen, ob chemische Waffen eingesetzt wurden oder nicht“, verächtlich gemacht, sie als Beleidigung der türkischen Armee bezeichnet und eine Rechtsmedizinerin wie Şebnem Korur Fincancı inhaftieren lassen. Derzeit hat das irakische Parlament das Vergehen begangen, das Fincancı „begangen“ hat, indem es sich den genannten Personen widersetzte.

Es besteht kein Zweifel daran, dass der türkische Staat, der im Inland die Forderung nach Aufklärung kriminalisiert und Menschen deshalb ins Gefängnis steckt, diejenigen, die im Ausland dieses „Verbrechen“ begehen, mit allen Mitteln und Methoden angreifen wird. Wenn die irakische Untersuchungskommission nicht mit neutralen Fachleuten zusammenarbeitet, wird das Erdoğan-Regime mit seiner zerstörerischen Macht den irakischen Staat aus seinem eigenen Territorium zurückdrängen können und sogar versuchen, diese Aufklärungsmission zu einem Mittel zu machen, um sich selbst zu „entlasten“.

Die Bevölkerung von Südkurdistan hat nun die Möglichkeit, die Politik der Barzanî-Regierung, die bisher allen Forderungen nach einer Untersuchung von Chemiewaffenangriffen ablehnend gegenüberstand, auf der Grundlage des Beschlusses des irakischen Parlaments viel wirksamer zu bekämpfen. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Beteiligung der Barzanî-Regierung an den Drohungen des türkischen Staates den Irak in eine noch tiefere Krise stürzen wird, die eine neue Besatzungswelle auslösen wird. 

Der Weg, all diese Gefahren abzuwenden, bevor das Erdoğan-Regime die Möglichkeit hat, den Irak unter Druck zu setzen, besteht darin, den Untersuchungsausschuss mit internationalen Ärzt:innen zu vereinen, um eine Einmischung des türkischen Staates zu verhindern. Was getan werden muss, ist, Bewerbungen von neutralen Fachleuten zu organisieren.

Stellen Sie sich vor, der irakische Parlamentsausschuss würde Şebnem Korur Fincancı einladen, an der Untersuchung teilzunehmen? Es wäre nicht einfach, aber es wäre sehr schön.


Im türkischen Original erschien der Text bei Yeni Özgür Politika