KCK: Gegen das Virus und die Regierung kämpfen

Die türkische Regierung will gesellschaftliche Solidarität in der Coronakrise um jeden Preis verhindern, weil sie davon ausgeht, dass daraus eine organisierte gemeinsame Haltung entsteht, die ihre Macht schwächen kann.

Die Ko-Vorsitzenden des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) haben sich in einer ausführlichen Stellungnahme zur Situation in der Coronakrise in der Türkei unter der AKP/MHP-Regierung geäußert. Wir geben die Erklärung in gekürzter Form wieder:

Der Charakter der AKP/MHP-Regierung ist mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie noch deutlicher sichtbar geworden. Dieser Regierung ist jedes Mittel recht, mit dem sie sich an der Macht halten kann. Dementsprechend ist sie von Beginn an auch mit der Coronakrise umgegangen. Ihre gesamte Politik wird von der Angst vor einem Machtverlust bestimmt.

Als sich das Virus von China aus ausbreitete und im Nachbarland Iran auftrat, behauptete die Türkei: Bei uns gibt es keine Viruskranken. Zwei Monate lang wurde diese Propaganda betrieben, um sich die Zustimmung der Öffentlichkeit zu sichern. Damit die Regierung Punkte sammeln kann, sind die notwendigen Maßnahmen gegen die Pandemie zwei Monate hinausgezögert worden. Die Menschen haben ihr normales Leben fortgesetzt, es gab keine Kontrollen bei der Ein- und Ausreise. In Istanbul und anderen Großstädten breitete sich das Virus aus und griff von dort aus auf die gesamte Türkei und Kurdistan über. Die Verantwortung dafür trägt die AKP/MHP-Regierungskoalition. Weil die Ausbreitung weit vorangeschritten ist, lässt sie sich nicht mehr kontrollieren. Um diesen Fehler zu vertuschen, wird aus Regierungskreisen bei jeder Gelegenheit behauptet, dass frühzeitig Maßnahmen getroffen worden sind.

Regierung verschweigt Anzahl der Toten

Nachdem die Regierung den Ausbruch der Pandemie im eigenen Land zugeben musste, hat sie wiederum aus Angst vor Machtverlust und um sich erfolgreich zu präsentieren, die Anzahl der Todesfälle verschwiegen. Wenn es hundert Tote gab, wurde die Zahl zehn genannt. Da die Regierung das Virus anfangs nicht ernst genommen und die Ausbreitung und Konsequenzen verheimlicht hat, hat auch die Gesellschaft die angeordneten Maßnahmen nicht ernst genommen. Dadurch hat sich das Virus noch mehr verbreitet. Wie bei allen ernsten Entwicklungen in der Türkei hat die Regierung auf Propaganda gesetzt und versucht, trotz des besorgniserregenden Panoramas aus der Situation Profit zu schlagen. Den Preis dafür müssen Völker und die Werktätigen im Land zahlen. Der Regierung geht es nicht um die Gesundheit der Menschen, sondern um den eigenen Machterhalt.

Coronakrise als Mittel zum Machtausbau

Auch nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie setzt die Regierungskoalition ihre Angriffe auf das kurdische Volk und die Demokratiekräfte in voller Härte fort. Sie zeigt damit, dass sie diesen Krieg nicht aufgeben wird, selbst wenn die Türkei zusammenbricht und alle vom Tod bedroht sind. Die Coronakrise wird sogar dafür genutzt, den Druck auf die systemimmanente Opposition zu erhöhen. Die Regierung versucht ihre faschistische Diktatur zu festigen, weil sie davon ausgeht, dass ihr in diesen Tagen niemand widersprechen kann. Während in einer Zeit wie dieser die gesellschaftliche Solidarität unabhängig von der politischen Einstellung gestärkt werden müsste, verfolgt die AKP/MHP-Regierung das Ziel, den Einfluss der Opposition zu schwächen. Vorher hat sie die Opposition mit ihrer Kriegspolitik zum Schweigen gebracht, jetzt greift sie in einer Atmosphäre an, in der die Menschen vor allem Angst vor dem Virus haben.

Solidarität als Merkmal einer funktionierenden Gesellschaft

Gesellschaftliche Solidarität ist eine erhabene Eigenschaft der Menschheit. Was eine Gesellschaft ausmacht, ist ihr sozialer Zusammenhalt. Wird dieser Geist der Solidarität zerstört, sterben auch alle anderen Werte ab. Die Regierung will gesellschaftliche Solidarität um jeden Preis verhindern, weil sie davon ausgeht, dass daraus eine organisierte gemeinsame Haltung entsteht, die ihre Macht schwächen kann. Damit sie an der Macht bleiben kann, soll es keine gemeinsamen gesellschaftlichen Werte geben. Sie braucht eine Gesellschaft, die einer Herde gleicht, nicht selber denkt und keine Haltung zeigt, die nicht vom Staat festgelegt worden ist. Um eine solche Gesellschaft zu schaffen, lässt sie keine sozialen Aktivitäten zu. Nur die von ihr gesteuerten Vereine und Stiftungen dürfen tätig werden. Und diese Tätigkeiten dienen nicht der Gesellschaft, sondern dem Machterhalt.

Angriff auf kommunale Strukturen

In dieser schwierigen Zeit sind auch die Kommunalverwaltungen als die lokalen Vertretungen der Gesellschaft daran gehindert worden, die Bevölkerung zu unterstützen. Die Stadt- und Gemeindeverwaltungen repräsentieren die lokale Demokratie. Demokratie bedeutet, die Befugnisse von Staat und Regierung einzuschränken und die Bevölkerung gegenüber dem zentralistischen Staat zu stärken. In den letzten zwei- bis dreihundert Jahren haben die Regierungen die Tendenz einer verstärkten Zentralisierung und zunehmenden Despotismus gezeigt. Faschistische Regierungen sind die konkreteste Form von zentralistisch-despotischen Regierungen. Auch die AKP/MHP-Koalition will der Gesellschaft keinen demokratischen Raum zum Luftholen außerhalb der Zentralmacht zugestehen. Weil sie demokratiefeindlich ist, greift sie die außerhalb ihrer Kontrolle stehenden Kommunalverwaltungen an. Während sie bisher vor allem die vom kurdischen Volk gewählten Kommunalverwaltungen angegriffen hat, nimmt sie jetzt auch den systemimmanenten oppositionellen Stadtverwaltungen jede Gestaltungsmöglichkeit. Dabei handelt es sich um eine andere Form der Zwangsverwaltung.

Demokratie bedeutet, dass die Macht beim Volk liegt. Die AKP/MHP-Regierung betrachtet die Kommunalverwaltungen und damit die lokale Demokratie und die Stärke der Bevölkerung als eigenen Staat und greift an. Sie akzeptiert keine demokratischen Strukturen oder gesellschaftliche Organisierung außerhalb der zentralen autoritären Macht. Damit ist sie nicht nur demokratiefeindlich, sondern auch gesellschaftsfeindlich, was letztlich dasselbe ist.

Sich gegen Gewalt an Frauen positionieren

Dem Staat geht es nicht um das Volk, die Gesellschaft und die Menschen. Das zeigt sich konkret daran, dass die Werktätigen weiter arbeiten müssen und der Pandemie dabei schutzlos ausgesetzt sind. Zu der ansteigenden Gewalt gegen Frauen wird geschwiegen. Der Umgang mit den Problemen der Bevölkerung wird von Macht und Ausbeutung bestimmt. Entsprechend gibt es auch keine Haltung zu den Problemen in der Beziehung zwischen Frau und Mann, die zu den schwerwiegendsten Problemen der Gesellschaft zählen. Die Regierung ruft richtigerweise zur Eindämmung der Pandemie dazu auf, zu Hause zu bleiben, aber sie kümmert sich nicht um die ökonomischen und sozialen Probleme, die dadurch entstehen. Männliche Gewalt und die Unterdrückung von Frauen, die früher nur den halben Tag lang auftauchten, verteilen sich jetzt über 24 Stunden am Tag. Die Fälle von Gewalt an Frauen häufen sich. Die Regierung hat bereits früher nichts dagegen unternommen und tut es auch heute nicht. Sie betrachtet es vielmehr als normal, dass Frauen Gewalt erfahren. An diesem Punkt möchten wir gegenüber dem kurdischen Volk und den Völkern der Türkei betonen, dass Gewalt an Frauen eine gesellschaftliche Krankheit ist, die den Mann hässlich macht. Wir glauben, dass die auf der Frauenrevolution basierende demokratische Revolution in Kurdistan auch die Männer verändert und es dem gesamten kurdischen Volk und den Männern gut tut, gleichberechtigte und demokratische Beziehungen mit den Frauen aufzubauen. Wir rufen dazu auf, sich gegen jede Form von Gewalt an Frauen zu positionieren.

Gesundheitssystem für Reiche

In der Zeit des Coronavirus ist noch offensichtlicher geworden, dass die AKP/MHP-Regierung eine Last auf dem Rücken der Völker ist. Da es ihr nur um den Machterhalt geht, orientiert sich ihre Politik nicht an der Lösung der Probleme der Bevölkerung. Mit dem Geld, das für den Krieg und das Gehalt dschihadistischer Söldner ausgegeben wird, hätte ein Gesundheitssystem finanziert werden können, das in der gesamten Türkei sofort auf die Pandemie reagieren und vorbeugende Maßnahmen treffen könnte. Es gibt jedoch keine Vorbereitungen und kein System, das dem Bedarf der Bevölkerung entspricht. Ein großer Teil des Gesundheitssektors ist Firmen überlassen worden, die ihre Dienste für Geld anbieten. Es ist ein Gesundheitssystem für die materiell Gutgestellten in der Gesellschaft, nicht für die Mittellosen. Auch das verweist auf den Charakter der Regierung.

Drohendes Massensterben in den Gefängnissen

Sie verwendet nicht ein Prozent der Energie, die sie der Aggression gegen das kurdische Volk und die Demokratiekräfte widmet, für die Lösung der Probleme der Bevölkerung. Es handelt sich um eine Regierung, die ausschließlich auf ihrer Kurden- und Demokratiefeindlichkeit aufbaut und alle bestehenden Mittel für diese Feindseligkeit mobilisiert. Dass aufgrund der Pandemie die Gefängnisse evakuiert werden müssen, haben vor allem die demokratischen Kräfte auf die Agenda gebracht, aber die faschistische Regierung gönnt es den kurdischen Müttern nicht und überlässt die Kurden und die mit den Kurden freundschaftlich verbundenen Demokratiekräfte der Gefahr eines Massensterbens in den Gefängnissen.

Die Zeit ist reif

Die Kurden und alle Völker der Türkei müssen erkennen, dass diese Regierung gesellschaftsfeindlich ist. Sie hat zwei Monate lang alle Maßnahmen gegen das Virus hinausgezögert und damit den Tod von Tausenden Menschen ermöglicht. Sie begeht ein Verbrechen, indem sie die lokale Solidarität in der Gesellschaft verhindert und den Kampf gegen die Auswirkungen der Pandemie schwächt.

Die Völker und alle gesellschaftlichen Gruppen müssen gegen das Virus kämpfen, indem sie die organisierte Solidarität untereinander stärken. Sie müssen mit allen Mitteln und Methoden gegen die faschistische Regierungskoalition kämpfen, die seit Jahren Verbrechen gegen die Bevölkerung begeht. Jetzt ist die Zeit gekommen, sich von dieser Regierung zu befreien.