KCK: Die Toten von Sivas leben in unserem Kampf weiter

Vor dreißig Jahren wurde das Hotel Madımak in Sivas während einer alevitischen Veranstaltung von einem religiös-nationalistischen Mob angezündet, 35 Menschen verbrannten. Die KCK gedenkt der Toten und warnt vor weiteren Massakern.

Vor dreißig Jahren fand in Sivas (ku. Sêwas) ein antialevitisches Pogrom statt. Das Massaker ereignete sich am 2. Juli 1993 und richtete sich gegen Teilnehmende eines Kulturfestivals, das zu Ehren des alevitischen Volksdichters Pir Sultan Abdal in der zentralanatolischen Stadt veranstaltet worden war. Die Gäste des Festes, die im Hotel Madımak logierten, waren überwiegend alevitische Kunstschaffende; Dichter:innen, Denker:innen, Sänger:innen und Folkloretänzer:innen, aber auch kritische Intellektuelle unterschiedlicher Konfessionen.

Ein religiös und nationalistisch aufgewiegelter Mob nahm unter anderem die Anwesenheit des bekennenden Atheisten und bekannten Schriftstellers Aziz Nesin zum Vorwand, das Hotel in Brand zu setzen. Die eingeschlossenen Menschen konnten sich nicht aus dem brennenden Gebäude retten, weil der wütende Mob ihnen den Weg versperrte und den Brand bejubelte. Obwohl Polizei, Militär und Feuerwehr alarmiert waren, griffen sie erst Stunden später ein. Die Ereignisse wurden über Stunden live im Staatsfernsehen übertragen. 35 Menschen, darunter zwei Hotelangestellte, kamen in dem Feuer im Madımak-Hotel ums Leben.

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) erinnert aus Anlass des Jahrestages an die Toten und den Hintergrund des Pogroms. „Der türkische Staat, der auf monistischen und völkermörderischen Grundlagen gegründet wurde, war allen Völkern, insbesondere den Kurd:innen und Alevit:innen, feindlich gesinnt und hatte das Ziel, sie durch Unterdrückung, Assimilation, Massaker und allen Methoden des Völkermords zu beseitigen. Das Massaker von Sivas wurde ebenfalls zu diesem Zweck verübt und ist eine Fortsetzung der Massaker an den Alevit:innen in Dersim, Maraş [ku. Gurgum] und Çorum“, so die Ko-Vorsitzenden des KCK-Exekutivrats.

Der Staat betrachtet die alevitische Gemeinschaft als Gefahr

Weiter heißt es in der Erklärung: „Die Alevit:innen sind eine Gesellschaft mit einem Glauben und einer Tradition, in der es keine Ausbeutungsverhältnisse gibt und in der gemeinschaftliche, demokratische, freiheitliche und sozialistische Elemente vorherrschen. Aufgrund dieser Merkmale wurde die alevitische Gemeinschaft im Laufe der Geschichte von den Machthabenden angegriffen und massakriert. Man kann sagen, dass die alevitische Gemeinschaft eine der Gemeinschaften ist, die aufgrund ihrer demokratischen, freiheitlichen und gemeinschaftlichen Werte in der Geschichte die meisten Massaker und Völkermorde erlitten haben. Die Unterdrückung und die Massaker an der alevitischen Gemeinschaft haben während des nationalstaatlichen Prozesses mit einer monistischen Mentalität noch zugenommen. Da der Staat eine monistische, machtbesessene und antidemokratische Mentalität hat, sieht er die alevitische Gemeinschaft als eine Gefahr für sich selbst an und versucht, den alevitischen Glauben und die alevitische Kultur durch genozidale Methoden zu beseitigen. Dieses Vorgehen des Staates gegenüber der alevitischen Gemeinschaft und dem alevitischen Glauben zeigt deutlich sein völkermörderisches Gesicht.

Der vereinte Kampf für Demokratie sollte verhindert werden

Die monistische Staatsmentalität in der Türkei und in Bakurê Kurdistanê [Nordkurdistan] kann nur durch Unterdrückung, Massaker und Völkermord überleben und ihre Existenz sichern. Die Massaker an den Alevit:innen zeigen, dass der kolonialistische Staat nicht nur dem kurdischen Volk, sondern auch den Alevit:innen und allen Völkern feindlich gesinnt ist. Diese Feindseligkeit des Staates gegenüber allen Völkern und die massakrierende Realität machen eine demokratische Einheit und einen gemeinsamen Kampf für die Rechte notwendig und zwingend. Wir glauben, dass dies eine der wichtigsten Schlussfolgerungen ist, die wir aus den Massakern ziehen sollten. Denn die Massaker zielen hauptsächlich darauf ab, die Demokratisierung und den demokratischen Wandel zu verhindern und den Fortbestand des monistischen, reaktionären, faschistischen und antidemokratischen Systems zu sichern. Das Massaker in Sivas hat diese Realität noch deutlicher gemacht. Führende Intellektuelle, Schriftsteller:innen und Künstler:innen der alevitischen Gemeinschaft, die ein wichtiges demokratisches Bewusstsein und eine große Reife erlangt haben und die die Gesellschaft bei der Demokratisierung der Türkei anführen, wurden ins Visier genommen und massakriert, um die Entwicklung eines demokratischen Kampfes zu verhindern.

Von staatlich organisierten Kräften verübtes Pogrom

Das Pogrom von Sivas wurde, wie andere antialevitische Massaker auch, vom Staat und von staatlich organisierten Kräften verübt. Zunächst wurde das Umfeld vorbereitet, indem konfessionelle und religiöse Empfindlichkeiten geschürt wurden, und dann wurde das Massaker von paramilitärischen faschistischen Strukturen durchgeführt. Die Tatsache, dass das Massaker von den Machthabern des Staates gutgeheißen wurde und die Täter nicht vor Gericht gestellt und bestraft wurden, verdeutlicht diese Tatsache. Dass die Politik des Völkermords an der alevitischen Gemeinschaft fortgesetzt wird, beweist die Verbindung des Staates mit den Massakern.

Eines der wichtigsten Merkmale des Massakers von Sivas war das Ziel, zu verhindern, dass der sich in Kurdistan entwickelnde revolutionäre demokratische Kampf mit dem revolutionären, demokratischen Kampf in der Türkei zusammentrifft. Der Kampf, der in Kurdistan unter der Führung unserer Bewegung gegen die kolonialistische Mentalität und die faschistische Ordnung vom 12. September [Militärputsch 1980] entstand, hat in den 1990er Jahren eine große Entwicklung genommen und eine demokratische Volksbewegung erreicht. Der revolutionäre Kampf und die demokratische Volksbewegung, die sich in Kurdistan entwickelten, begannen den Kampf in der Türkei positiv zu beeinflussen. Das Massaker in Sivas sollte das Zusammentreffen des Kampfes in Kurdistan mit dem Kampf in der Türkei und die Bildung einer starken demokratischen Einheit verhindern. Denn Kurd:innen und Alevit:innen sind die grundlegendste Dynamik bei der Demokratisierung der Türkei. Mit den ständigen Massakern an Kurd:innen und Alevit:innen sollen die grundlegenden Dynamiken, die eine Demokratisierung der Türkei gewährleisten können, ausgeschaltet werden.

Die kurdische Bewegung hat die alevitische Gemeinschaft immer unterstützt

Von Anfang an hat unsere Bewegung mit ihrem Kampf gegen die völkermörderische kolonialistische faschistische Mentalität die Demokratie- und Freiheitsforderungen des kurdischen Volkes sowie aller Völker, Frauen und Unterdrückten in der Türkei, insbesondere der alevitischen Gemeinschaft, angestrebt und sich darum bemüht. Rêber Apo [Abdullah Öcalan] hat einen sehr intensiven intellektuellen und praktischen Kampf für das kurdisch-alevitische Volk und die gesamte alevitische Gemeinschaft geführt, um ihre Glaubens- und Identitätswerte zu unterstützen und ihre Freiheit zu erlangen. Er hat die demokratischen, freiheitlichen Werte, die der alevitische Glaube und die alevitische Kultur in sich tragen, hervorgehoben und es als eine moralische, demokratische und revolutionäre Verantwortung angesehen, diese Werte am Leben zu erhalten. Diese intensive Bemühung von Rêber Apo hat den demokratischen Charakter unseres Kampfes vertieft, der für die Koexistenz aller Völker, Kulturen und Glaubensrichtungen mit ihren Unterschieden eintritt.

Die Erinnerung an die Toten von Sivas lebt in unserem Kampf weiter

Die faschistische AKP/MHP-Regierung steht heute für eine massakrierende und völkermordende Mentalität und Politik. Der Zusammenschluss aller reaktionären, monistischen, faschistischen Strukturen um die AKP/MHP-Regierung dient dem Zweck, noch größere Massaker zu verüben. Die AKP/MHP-Regierung führt bereits jetzt täglich eine Massakerpolitik gegen Kurd:innen, Alevit:innen, Frauen, Arbeiter:innen, Werktätige, Intellektuelle, Schriftsteller:innen und Künstler:innen durch. Das Isolations- und Foltersystem auf Imralı, der Krieg gegen die Kurd:innen, die Unterdrückung und Angriffe gegen Alevit:innen, die Massaker an Frauen, die Ausbeutung von Arbeiter:innen und Werktätigen, das Verbot von Kunst, die Inhaftierung von Intellektuellen und Journalist:innen und die Versuche, sie zum Schweigen zu bringen, sollten als Massaker betrachtet werden. Die richtige Haltung angesichts aller Massaker, insbesondere des Massakers von Sivas, ist, dass diejenigen, die für Demokratie und Freiheit gegen diese reaktionäre, monistische, faschistische und massakrierende Politik der AKP/MHP-Regierung kämpfen, ihre demokratische Einheit weiter ausbauen und den demokratischen Kampf weiterentwickeln sollten.

Mit dieser Überzeugung möchten wir noch einmal betonen, dass sich alle Kräfte der Freiheit und Demokratie noch stärker um die Prinzipien des demokratischen Kampfes und Lebens vereinen müssen. Nur so kann dem Massaker ein Ende gesetzt werden und die Täter können zur Rechenschaft gezogen werden. In dieser Überzeugung gedenken wir noch einmal ehrfürchtig der Gefallenen des Massakers von Sivas, die brutal und skrupellos verbrannt wurden. Die Erinnerung sie wird immer in unserem Kampf weiterleben und unseren Weg erleuchten."